18.10.2024
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Dokument-Nr. 21182

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Bundesgerichtshof Urteil18.06.2015

Zahnarztpraxis muss für Hinter­grundmusik im Wartezimmer keine GEMA-Gebühren zahlenWiedergabe von Hörfunksen­dungen in Zahnarztpraxen ist nicht vergü­tungs­pflichtig

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Wiedergabe von Hinter­grundmusik in Zahnarztpraxen im Allgemeinen keine - vergütungs­pflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne des Ur­heber­rechts­gesetzes darstellt.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Verviel­fäl­ti­gungs­rechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Sie ist von der Verwer­tungs­ge­sell­schaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungs­schutz­rechten (GVL) ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträ­ger­her­steller (GVL) geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksen­dungen als Hinter­grundmusik übertragen.

Zahnarztpraxis beruft sich auf Urteil des EuGH und kündigt Lizenzvertrag mit GEMA

Die Parteien haben am 6. August 2003 einen urheber­recht­lichen Lizenzvertrag geschlossen, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung des Repertoires der GEMA, der VG-Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksen­dungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung eingeräumt hat. Der Beklagte hat der Klägerin zum 17. Dezember 2012 die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Diese hat er damit begründet, dass die Wiedergabe von Hinter­grundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 keine öffentliche Wiedergabe darstelle. Die Klägerin hat den Beklagten mit ihrer Klage auf Zahlung der für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Mai 2013 geschuldeten Vergütung von 113,57 Euro in Anspruch genommen.

Vorinstanzen weisen Klage überwiegend ab

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 61,64 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat angenommen, die Klägerin könne von dem Beklagten lediglich die Zahlung einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 16. Dezember 2012 in Höhe von 61,64 Euro beanspruchen. Der Lizenzvertrag sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden.

Lizenzvertrag wurde durch berechtigte fristlose Kündigung beendet

Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 entfallenden Vergütung 51,93 Euro erstrebt. Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin kann die restliche Vergütung nicht beanspruchen, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten mit Wirkung zum 17. Dezember 2012 beendet worden ist. Der Beklagte war zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, weil die Geschäfts­grundlage des Lizenzvertrages durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 entfallen ist.

Lizenzvertrag zum Zeitpunkt der Vertrags­schließung nicht zu beanstanden

Die Parteien hatten den Lizenzvertrag am 6. August 2003 in der damals zutreffenden Annahme geschlossen, dass die Rechtsprechung in der Lautspre­cher­über­tragung von Hörfunksen­dungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine - vergü­tungs­pflichtige - öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG* sieht, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§ 22 Satz 1 Fall 1 UrhG**) und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG***).

Voraussetzungen für urheber­rechtliche Belange bei Hinter­grundmusik in Zahnarztpraxis nicht gegeben

Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. März 2012 ist zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft**** und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums***** jedenfalls voraussetzt, dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit diesem Urteil ferner entschieden, dass diese Voraussetzungen im Allgemeinen nicht erfüllt sind, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksen­dungen als Hinter­grundmusik wiedergibt.

BGH ist an Rechtsprechung des EuGH gebunden

Der Bundes­ge­richtshof ist an die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union gebunden und hat die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Rechts richt­li­ni­en­konform auszulegen. Der vom Bundes­ge­richtshof zu beurteilende Sachverhalt stimmte darüber hinaus in allen wesentlichen Punkten mit dem Sachverhalt überein, der dem Gerichtshof der Europäischen Union bei seiner Entscheidung vorgelegen hatte. Der Bundes­ge­richtshof hat daher entschieden, dass die Wiedergabe von Hörfunksen­dungen in Zahnarztpraxen im Allgemeinen - und so auch bei dem Beklagten - nicht öffentlich und damit auch nicht vergü­tungs­pflichtig ist.

*§ 15 Abs. 3 UrhG:

Erläuterungen
Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.

**§ 22 Satz 1 UrhG:

Das Recht der Wiedergabe von Funksendungen [...] ist das Recht, Funksendungen [...] des Werkes durch [...] Lautsprecher [...] öffentlich wahrnehmbar zu machen.

***§ 78 Abs. 2 Nr. 3 UrhG:

Dem ausübenden Künstler ist eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn die Sendung [...] der Darbietung öffentlich wahrnehmbar gemacht wird.

****Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 29/2001/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke [...] zu erlauben oder zu verbieten.

*****Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG:

Die Mitgliedstaaten sehen ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröf­fent­lichten Tonträgers oder eines Verviel­fäl­ti­gungs­stücks eines solchen Tonträgers für [...] eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträ­ger­her­steller gewährleistet.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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