15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 11179

Drucken
Beschluss12.01.2011BundesgerichtshofGSSt 1/10
Vorinstanz:
  • Landgericht Mannheim, Urteil12.12.2008, 22 KLs 628 Js 34798/02
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss12.01.2011

BGH: Stunden- oder tagelange Verlesung von Ankla­ge­schriften nicht erforderlichVerlesen eines inhaltlich auf den wesentlichen Kern reduzierten Teils des Anklagesatzes ausreichend

Der Bundes­ge­richtshof hat die Anforderungen an die nach der Straf­pro­zess­ordnung zu Beginn der Haupt­ver­handlung erforderliche Verlesung des Anklagesatzes für Strafverfahren präzisiert, die eine Vielzahl von gleichartig begangenen Straftaten zum Gegenstand haben. Demnach ist ein Verlesen eines inhaltlich auf den wesentlichen Kern reduzierten Teils des Anklagesatzes ausreichend.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangs­ver­fahren waren dem Haupt­an­ge­klagten Serien von Betrugstaten - insgesamt mehr als 1.400 Taten - vorgeworfen worden. Er hatte in einem Zeitraum von knapp fünf Jahren aus von ihm gegründeten Gesellschaften heraus die Geschädigten – zumeist Handwerker und Gewer­be­treibende – mit Hilfe seiner mitangeklagten Mittäter, die als Vermittler agierten, durch täuschende Angaben zum Abschluss von Verträgen über völlig nutzlose Werbeanzeigen veranlasst. Den Tatopfern waren dadurch Schäden in unter­schied­licher Höhe entstanden. Der Gesamtschaden belief sich auf mehr als 1,8 Millionen Euro.

Listen zur Anklageschrift umfassen mehr als 100 Seiten

In der Anklageschrift hatte die Staats­an­walt­schaft im so genannten Anklagesatz die sämtliche Einzeltaten prägende gleichartige Begehungsweise geschildert sowie den Tatzeitraum, die Zahl der dem Haupt­an­ge­klagten und den Mitangeklagten jeweils vorgeworfenen Einzeltaten und den Gesamtschaden angegeben. Die individuellen Merkmale der Einzeltaten (Name, Anschrift und Telefonnummer des Geschädigten, Tag des Anrufs und der Bestellung, Name des anrufenden Mittäters, Höhe des Einzelschadens) waren in mehreren Listen mit fortlaufenden Nummern zusam­men­ge­stellt, die der Anklageschrift als Anlagen beigefügt und im Anklagesatz in Bezug genommen waren. Für die Mitangeklagten waren die Einzeltaten, an denen sie jeweils beteiligt waren, in weiteren Listen zusam­men­ge­stellt. Diese Listen bestanden ausschließlich aus Zahlen. Insgesamt hatten die – eng beschriebenen - Listen einen Umfang von mehr als 100 Seiten.

Angeklagte beanstanden ausbleibendes Verlesen aller Listen als Verstoß gegen die Straf­pro­zess­ordnung

Mit ihren Rechtsmitteln hatten zwei der Angeklagten es als einen Verstoß gegen die Straf­pro­zess­ordnung beanstandet, dass der Staatsanwalt bei der Verlesung des Anklagesatzes in der Haupt­ver­handlung die Listen nicht mit verlesen hatte. Im Revisi­ons­ver­fahren war deshalb zu klären, welche Anforderungen in Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichartig begangener Taten an die Verlesung des Anklagesatzes zu stellen sind. In der Straf­recht­s­praxis gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung.

Rechte der Verfah­rens­be­tei­ligten durch Verzicht auf Verlesung der Einzel­tat­details nicht berührt

Der Bundes­ge­richtshof hat nunmehr entschieden, dass es in solchen Strafverfahren genügt, wenn ein inhaltlich auf den wesentlichen Kern reduzierter Teil des Anklagesatzes verlesen wird; Listen wie die im Ausgangs­ver­fahren brauchen nach der Straf­pro­zess­ordnung nicht vorgelesen zu werden. Er hat dieses Ergebnis aus einer Auslegung des Begriffs "Verlesen" abgeleitet und unter anderem hervorgehoben, dass das Gesetz nicht will, dass stunden- oder tagelang Tatdetails und Daten verlesen werden, die sich in ihrer Massierung durch Zuhören weder den Verfah­rens­be­tei­ligten noch anwesenden Zuhörern einprägen; eine solche Verlesung, der kein Zuhörer über längere Zeit folgen könnte, nähme in erheblichem Umfang Ressourcen in Anspruch, ohne irgendeinen Ertrag für das weitere Verfahren zu bringen. Durch den Verzicht auf die Verlesung der Einzel­tat­details werden Rechte der Verfah­rens­be­tei­ligten nicht berührt und die Verteidigung des Angeklagten nicht erschwert.

Wie das Gericht betonte, bleibt die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt in der Haupt­ver­handlung in allen Einzelheiten aufzuklären, von der Entscheidung unberührt.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss11179

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI