18.10.2024
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Dokument-Nr. 12725

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Beschluss26.10.2000Bundesgerichtshof3 StR 6/00
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AnwBl 2002, 607Zeitschrift: Anwaltsblatt (AnwBl), Jahrgang: 2002, Seite: 607
  • BGHSt 46, 178Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshof in Strafsachen (BGHSt), Band: 46, Seite: 178
  • DAR 2001, 201Zeitschrift: Deutsches Autorecht (DAR), Jahrgang: 2001, Seite: 201
  • JR 2002, 121Zeitschrift: Juristische Rundschau (JR), Jahrgang: 2002, Seite: 121
  • NJW 2001, 309Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2001, Seite: 309
  • NStZ 2001, 107Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ), Jahrgang: 2001, Seite: 107
  • StV 2001, 1Zeitschrift: Der Strafverteidiger (StV), Jahrgang: 2001, Seite: 1
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss26.10.2000

BGH zum Anspruch auf einen kostenlosen Dolmetscher und Pflicht­ver­teidiger für nicht Deutsch sprechenden BeschuldigtenGemäß EMRK ist für jeden Beschuldigten, der die Gerichtssprache nicht versteht, unentgeltlich ein Dolmetscher heranzuziehen

Der Bundes­ge­richtshof hatte zu entscheiden, in welchem Umfang ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Beschuldigter im Strafverfahren Anspruch auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers hat und ob ihm stets ein Pflicht­ver­teidiger beizuordnen ist.

In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte das Amtsgericht Delmenhorst zwei des Deutschen nicht mächtige, mittellose Asylbewerber wegen Laden­die­b­stählen nach Jugend­s­trafrecht zu je zwei Wochen Dauerarrest verurteilt. Mit ihren Revisionen rügten die Angeklagten, dass sie vor dem Amtsgericht nicht von Rechtsanwälten verteidigt worden seien; dies sei unter anderem schon wegen ihrer fehlenden Deutschkenntnisse erforderlich gewesen.

Bayerisches OLG: Fehlende Deutsch­kenntnisse eines Beschuldigten machen Beiordnung eines Pflicht­ver­tei­digers erforderlich

Das für die Entscheidung über die Revisionen zuständige Oberlan­des­gericht Oldenburg hält diese Beanstandung für unbegründet. Dagegen hatte unter anderem das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden, dass fehlende Deutsch­kenntnisse eines Beschuldigten die Beiordnung eines Pflicht­ver­tei­digers erforderlich machen, weil nur auf diesem Wege die Erstattung von Dolmet­scher­kosten für Gespräche zwischen Beschuldigtem und Anwalt gesichert sei. Zur Entscheidung über die divergierenden Rechtsmeinungen hat das Oberlan­des­gericht Oldenburg die Sache dem Bundes­ge­richtshof vorgelegt.

BGH: Sämtliche entstehenden und notwendigen Dolmet­scher­kosten sind zu erstatten

Der Bundes­ge­richtshof stellte in seiner Entscheidung klar, dass das in Art. 6 Abs. 3 lit. e der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK) jedem Beschuldigten, der die Gerichtssprache nicht versteht, eingeräumte Recht, unentgeltlich einen Dolmetscher beizuziehen, auch für die Abgabe und Entgegennahme verfah­rens­re­le­vanter Erklärungen außerhalb gerichtlich oder durch Ermitt­lungs­be­hörden anberaumter Termine gilt. Es erstreckt sich auch auf die Verteidigung vorbereitende Gespräche des Beschuldigten mit einem Rechtsanwalt und besteht unabhängig davon, ob der Beschuldigte finanziell in der Lage wäre, einen Dolmetscher aus eigener Tasche zu bezahlen. Entsprechend sind ihm sämtliche entstehenden notwendigen Dolmet­scher­kosten zu erstatten.

Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch ist direkt aus geltender Menschen­rechts­kon­vention abzuleiten

Zwar sieht das deutsche Gerichts­kos­tenrecht nur im Falle der Pflicht­ver­tei­digung eine Erstattung notwendiger Auslagen des Verteidigers vor, zu denen auch Kosten für die Zuziehung eines Dolmetschers zu Gesprächen zwischen Beschuldigtem und Verteidiger zählen können. Dies zwingt jedoch nicht dazu, einem des Deutschen nicht mächtigen Beschuldigten auch dann einen Pflicht­ver­teidiger beizuordnen, wenn im übrigen die hierfür in der Straf­pro­zess­ordnung vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nur um auf diesem Wege die Möglichkeit für die Erstattung von Dolmet­scher­kosten zu eröffnen und damit der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK Rechnung zu tragen. Denn der Koste­n­er­stat­tungs­an­spruch des Beschuldigten ist direkt aus der als unmittelbares Bundesrecht geltenden EMRK abzuleiten und durch eine ergänzende Auslegung des deutschen Gerichts­kos­ten­rechts umzusetzen.

Beiordnung eines Verteidigers kann bei mangelnden Deutsch­kennt­nissen eher geboten sein als bei Beschuldigtem mit Deutsch­kennt­nissen

Damit ist auch einem des Deutschen nicht kundigen Beschuldigten ein Verteidiger nur beizuordnen, wenn die in der Straf­pro­zess­ordnung für die Pflicht­ver­tei­digung allgemein geregelten Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei können allerdings bei im übrigen gleicher Sachlage mangelnde Deutsch­kenntnisse eines Beschuldigten die Beiordnung eines Verteidigers eher geboten erscheinen lassen als dies bei einem des Deutschen mächtigen Beschuldigten der Fall wäre.

Erläuterungen
Das Urteil ist aus dem Jahre 2000 und erscheint im Rahmen der Reihe "Wissenswerte Urteile".

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online..

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