21.11.2024
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Beschluss12.08.2021Bundesgerichtshof3 StR 441/20
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Bundesgerichtshof Beschluss12.08.2021

NSU-Prozess: Urteile gegen Zschäpe und zwei weiteren Angeklagten rechtskräftigBGH verwirft Revisionen

Der Bundes­ge­richtshof hat die Revisionen der Angeklagten Beate Z., Ralf W. und Holger G., mit denen sich diese gegen ihre Verurteilung durch das Oberlan­des­gericht München gewandt hatten, im Beschlusswege verworfen, das Rechtsmittel der Angeklagten Z. unter geringfügiger Änderung des Schuldspruchs.

Mit Urteil vom 11. Juli 2018 hatte das Oberlan­des­gericht die Angeklagte Z. wegen einer Vielzahl von Fällen des (versuchten) Mordes, des (versuchten) besonders schweren Raubes, der besonders schweren räuberischen Erpressung und der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie zahlreicher weiterer - hiermit tateinheitlich verwirklichter - Delikte zu einer lebenslangen Gesamt­frei­heits­strafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Den Angeklagten W. hatte es der Beihilfe zum vielfachen Mord schuldig gesprochen und gegen ihn auf eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren erkannt. Den Angeklagten G. hatte es wegen mehrfacher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren verurteilt.

Angeklagte legten Revision ein

Nach den vom Oberlan­des­gericht getroffenen Feststellungen teilte die Angeklagte Z. mit den mittlerweile verstorbenen Böhnhardt und Mundlos eine rassistische, antisemitische und staats­feindliche Ideologie. Anfang 1998 beschlossen die drei durch ein enges persönliches Verhältnis Verbundenen, sich gegen sie gerichteten Maßnahmen der Ermitt­lungs­be­hörden durch Flucht zu entziehen. Sie brachen den Kontakt zu ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld nahezu ab; ausgenommen waren einige wenige gleichgesinnte Vertraute, darunter die Angeklagten W. und G. Die Angeklagte Z. kam mit Böhnhardt und Mundlos nach dem Abtauchen auf der Basis der gemeinsamen politisch-ideologischen Einstellung überein, künftig eine Vielzahl willkürlich ausgewählter Menschen wegen deren südländischer - vornehmlich türkischer Herkunft oder als Repräsentanten des Staates zu töten. Durch die desta­bi­li­sierende Wirkung dieser Mordanschläge erstrebten sie eine ihren natio­nal­so­zi­a­listisch-rassistischen Vorstellungen entsprechende Änderung der Staats- und Gesell­schaftsform Deutschlands. Um diese Wirkung deutlich zu vergrößern, planten sie, die Öffentlichkeit zunächst nur den Seriencharakter der Taten erkennen zu lassen und erst später ein noch gemein­schaftlich zu erstellendes Beken­nungs­do­kument zu veröffentlichen, mit dem sich der - von ihnen gebildete - Personenverband "Natio­nal­so­zi­a­lis­tischer Untergrund" (NSU) nachträglich verantwortlich erklärt. Mit ihren Revisionen hatten die drei Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts gerügt; die Angeklagten Z. und W. hatten darüber hinaus das erstin­sta­nzliche Verfahren beanstandet.

BGH ändert Schuldspruch bei Zschäpe geringfügig

Der BGH hat die Revision der Angeklagten verworfen und den Schuldspruch der Angeklagten Zschäpe geringfügig geändert, während ihre Verfah­rens­be­an­stan­dungen insgesamt erfolglos geblieben sind. Zwar hat die Schuld­spruch­än­derung zum Wegfall einer Einzelstrafe geführt; die lebenslange Gesamt­frei­heits­strafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben. Die Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Auch soweit das Oberlan­des­gericht festgestellt hat, die Angeklagte Z. habe an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt, findet die tatrichterliche Überzeu­gungs­bildung in den Ergebnissen der Beweisaufnahme eine tragfähige Tatsa­chen­grundlage und beruht auf möglichen Schluss­fol­ge­rungen, die rational nachvollziehbar und in hohem Maße plausibel sind. Die auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs vorzunehmende wertende Gesamt­be­trachtung aller vom Oberlan­des­gericht festgestellten Umstände führt zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte Z. die Mordanschläge und Raubüberfälle im Sinne des § 25 Abs. 2 StPO gemein­schaftlich mit Böhnhardt und Mundlos beging. Die Angeklagte hatte in hierfür ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse. Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft ist in den Blick zu nehmen, dass die Angeklagte Z. zwar keinen tatherr­schafts­be­grün­denden Beitrag im Ausfüh­rungs­stadium der Taten leistete. Sie nahm jedoch maßgeblichen Einfluss bereits auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung. Darüber hinaus beeinflusste sie durch die Zusage der von ihr vorzunehmenden Handlungen (Legen­die­rung­s­tä­tigkeit, Beweis­mit­tel­ver­nichtung, Tatbekennung) wesentlich die Delikts­ver­wirk­lichung und erbrachte auch insoweit - zusätzlich über die Beteiligung an der Tatplanung hinaus - einen hierfür bedeutenden objektiven Tatbeitrag. Ohne das von ihr versprochene Verhalten hätten die nach dem Verei­ni­gungs­konzept verfolgten Ziele der Taten nicht erreicht werden können.

Tatinteresses an Durchführung und Gelingen der Taten spricht für Annahme von Mittäterschaft

Bezüglich des Tatinteresses fällt wesentlich ins Gewicht, dass dasjenige der Angeklagten Z. nicht hinter demjenigen von Böhnhardt und Mundlos zurückstand. Dieses starke Interesse an der Durchführung und dem Gelingen der Taten hat nicht deshalb eine geringere Bedeutung für die Beurteilung der Tatbeteiligung als Mittäterschaft, weil es sich mit den übergeordneten gemeinsamen Zielen aller dem "NSU" zugehörigen Personen deckte. Zwar führt die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung für sich gesehen nicht zur Zurechnung der Tat an das einzelne Mitglied. Jedoch kann etwa ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung sowohl den Charakter eines hierauf gerichteten Perso­nen­zu­sam­men­schlusses bestimmen als auch erhebliche Bedeutung für die Qualifizierung der Tatbeteiligung als Täterschaft anstelle Teilnahme haben.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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