23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen ein Formular für die Steuererklärung.
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss21.11.2012

Steuer­hin­ter­ziehung im Emissi­ons­zer­ti­fi­ka­te­handel mit etabliertem Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hungs­systemBGH bestätigt Verurteilung der Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen

Der Bundes­ge­richtshof hat die vom Landgericht Frankfurt am Main in mehreren Fällen verhängten Haftstrafen wegen Steuer­hin­ter­ziehung im Emissi­ons­zer­ti­fi­ka­te­handel mit etabliertem Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hungs­system bestätigt. Die Nachprüfung des Urteils durch den Bundes­ge­richtshof ergab keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat sechs Angeklagte (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil haben vier der Angeklagten erfolglos Revision eingelegt; die Staats­an­walt­schaft hat ihre Revisionen zurückgenommen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Hintergrund

Gegenstand der Verurteilung ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissi­ons­zer­ti­fikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. Euro hinterzogen wurden. Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass nach dem europäischen Emissi­ons­han­dels­system den Betreibern geneh­mi­gungs­pflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissi­ons­be­rech­ti­gungen (so genannte Emissi­ons­zer­ti­fikate) zugeteilt werden. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie (Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003), die in Deutschland am 15. Juli 2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Regis­trier­stellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissi­ons­han­dels­stelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagen­be­treiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden.

Steuervergütung durch Handel mit Zertifikaten

Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Regis­trier­stellen bestehende elektronische Emissi­ons­han­dels­konten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekun­den­schnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zerti­fi­ka­te­mengen im Wert von mehreren Millionen Euro möglich. Bis zur Einführung des - weniger betrugs­an­fälligen - so genannten Reverse-Charge-Verfahrens für Emissi­ons­zer­ti­fikate zum 1. Juli 2010 auch in Deutschland (andere Mitgliedstaaten der EU hatten dies bereits im Jahr 2009 eingeführt) konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuer­ver­gü­tungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatz­steu­er­an­mel­dungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte.

Angeklagte etablierten bereits bekanntes Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hungs­system

Die Betrugs­an­fäl­ligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handels­be­reichen bereits bekanntes Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hungs­system: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissi­ons­zer­tifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den so genannten "Missing Trader") verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (so genannter "Buffer") weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischen­ge­schaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat - wiederum mit einem geringen Preisaufschlag - schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den so genannten "Distributor".

Distributor macht in Rechnung des "Buffers" ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend

Das Hinter­zie­hungs­system der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der "Missing Trader" keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglicht. Es ging wie folgt vonstatten: Der "Missing Trader" stellt dem "Buffer" eine Rechnung mit Umsatz­steu­er­ausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung "Missing Trader"). Der "Buffer" nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend.

Schein­rech­nungen zur "Neutralisierung" der Steuerzahllast

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als "Missing Trader", teils als "Buffer". Die "Buffer" gaben zwar Umsatz­steu­er­an­mel­dungen ab, "neutralisierten" aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Schein­rech­nungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungs­be­ziehung nicht bestand) gegenrechneten. Die "Buffer" machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom "Missing Trader" gestellten Rechnungen mit Umsatz­steu­er­ausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissi­ons­zer­ti­fikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zerti­fi­kat­mengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser "Buffer" bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer - insofern völlig risikolos - erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte.

Angeklagte hatten keine Vorsteu­er­ab­zugs­be­rech­tigung gem. § 15 UStG

Das Landgericht hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatz­steu­er­an­mel­dungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuer­hin­ter­ziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen "Lieferanten" geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. Euro als hinterzogen an, weil eine Vorsteu­er­ab­zugs­be­rech­tigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Schein­rech­nungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteu­er­ab­zugs­be­rech­tigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unter­neh­me­rischen Tätigkeit von Rechnungs­steller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinter­zie­hungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl.

BGH verneint Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten

Der Bundes­ge­richtshof hat die Revisionen der Angeklagten, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere steht es einer vollendeten Steuer­hin­ter­ziehung nicht entgegen, dass Finanzbehörden - wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde - zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermitt­lung­s­tak­tischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatz­steu­er­hin­ter­zie­hungs­systems nicht zu gefährden) Steuer­ver­gü­tungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermitt­lungs­be­hörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss15016

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI