Dokument-Nr. 31201
Permalink https://urteile.news/
Bundesgerichtshof Urteil16.12.2021
BGH präzisiert Rechtsprechung zu Grenzen rechtsstaatswidriger TatprovokationBGH hebt landgerichtliches Urteil teilweise auf
Der Bundesgerichtshof hat über die Revisionen von zwei Angeklagten entschieden, die vom Landgericht Freiburg unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.
Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte K.H. im Zeitraum Oktober und November 2019 einen schwunghaften Handel mit Kleinmengen an Cannabisprodukten und Kokain. Spätestens Anfang März 2020 schloss er sich mit dem nicht revidierenden, bis dahin nicht vorbestraften Mitangeklagten I. zusammen, um fortan gemeinsam Betäubungsmittel zu veräußern. Am 4. März 2020 nahm ein Verdeckter Ermittler mit dem Angeklagten K.H. Kontakt auf, erwarb von diesem 10 Gramm Marihuana und fragte, ob es auch möglich sei, eine "größere Menge" zu erwerben. In der Folgezeit kaufte der Verdeckte Ermittler in drei weiteren Fällen Cannabisprodukte und Kokain im zweistelligen (Cannabis) beziehungsweise einstelligen (Kokain) Grammbereich, fragte dabei aber wiederholt nach der Möglichkeit einer größeren Lieferung, die er auf drei Kilogramm Marihuana und 50 bis 100 Gramm Kokain konkretisierte. Dem Angeklagten K.H. und dem Mitangeklagten I., die diese Menge an Betäubungsmittel nicht über ihre bisherigen Lieferanten beschaffen konnten und auch die hierfür üblichen Preise nicht kannten, gelang es schlussendlich, die vom Verdeckten Ermittler nachgefragten Mengen über den Angeklagten D.H. zu beschaffen. Bei der Übergabe der Betäubungsmittel an den Verdeckten Ermittler griff die Polizei zu.
Weitere Aufklärung für die Beurteilung rechtsstaatswidrige Tatprovokation notwendig
Der BGH hat das landgerichtliche Urteil, soweit es den Angeklagten K.H. betrifft, unter Erstreckung auf den Mitangeklagten I. teilweise aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, um eine weitere Aufklärung der für die Beurteilung der polizeilichen Tatprovokation notwendigen Tatsachen zu ermöglichen. Läge eine nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, dann würde dies ein Verfahrenshindernis begründen. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter und gegebenenfalls in welchem Umfang ("Aufstiftung" zu deutlich gewichtigeren Straftaten) bereits in Betäubungsmittelgeschäfte verwickelt war und inwieweit der Verdeckte Ermittler physischen oder psychischen Druck aufgebaut hat.
Angeklagten D.H. durch Verdeckten Ermittler nicht rechtsstaatswidrige beeinflusst
Die Revision des nur mittelbar von dem Einsatz des Verdeckten Ermittlers betroffenen Angeklagten D.H. hat der Senat dagegen verworfen, weil ihm gegenüber keine Anhaltspunkte für eine - auch nur mittelbare - rechtsstaatswidrige Beeinflussung durch den Verdeckten Ermittler ersichtlich waren.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.12.2021
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)
Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.
Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil31201
Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.