18.10.2024
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Dokument-Nr. 33104

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Bundesgerichtshof Beschluss13.07.2023

BGH ordnet Fortdauer der Unter­su­chungshaft gegen Beschuldigte aus dem sogenannten Reichs­bür­ger­milieu anHaftgrund der Fluchtgefahr gegeben

Der Bundes­ge­richtshof hat im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Sechs-Monats-Haftprüfung entschieden, dass die Unter­su­chungshaft gegen 22 dem Milieu der sogenannten Reichsbürger zugehörige Beschuldigte fortzudauern hat. Die Beschuldigten waren im Dezember 2022 auf der Grundlage von Haftbefehlen des Ermitt­lungs­richters des Bundes­ge­richtshofs festgenommen worden.

Gegen 19 Beschuldigte waren die Haftanordnungen auf den Vorwurf der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, gegen drei weitere Beschuldigte auf denjenigen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gestützt. Zwei der mutmaßlichen Mitglieder sollen überdies als Rädelsführer agiert haben. Der Ermitt­lungs­richter des Bundes­ge­richtshofs hatte die Haftgründe der Fluchtgefahr und - weitgehend auch - der Schwer­kri­mi­nalität angenommen.

BGH: "Hochwahr­scheinlich" terroristische Vereinigung

Der 3. Strafsenat hat nach den von den Ermitt­lungs­be­hörden bisher gewonnenen Erkenntnissen folgenden Sachverhalt als hochwahr­scheinlich erachtet: Die Beschuldigten, die der sogenannten Reichsbürger- und QAnon-Bewegung angehörten, schlossen sich zu einer auf längere Dauer angelegten Organisation zusammen, die sich zum Ziel setzte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland insbesondere durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten zu überwinden sowie durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Sie lehnten die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Institutionen ab. Auf der Grundlage einer entsprechenden gemeinsamen Gesinnung erwarteten sie an einem unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten "Tag X" einen Angriff auf die oberste Ebene der staatlichen Führung der Bundesrepublik Deutschland durch die "Allianz", einen Geheimbund bestehend aus Angehörigen ausländischer Regierungen, Streitkräften und Geheimdiensten. Zum Zwecke der Umsetzung ihrer Umsturzpläne schufen die Angehörigen der Gruppierung organi­sa­to­rische, hierarchische und verwal­tung­s­ähnliche Strukturen mit einem sogenannten Rat als zentralem Gremium und einem militärischen Arm. Dieser von ihnen vereinfacht als das "Militär" bezeichnete Teil der Organisation sollte im Zuge des Angriffs durch die "Allianz" die noch verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates mit Waffen bekämpfen und ihre Machtergreifung durch ein deutsch­land­weites Netz von sogenannten Heimat­schutz­kom­panien absichern. Die Mitglieder der Vereinigung waren der Überzeugung, ein zeitlich noch nicht feststehendes, tagesaktuelles Ereignis werde als Startsignal der "Allianz" an sie zu werten sein, selbst aktiv zu werden und mit Gewalt gegen staatliche Stellen vorzugehen. Sie hatten ihren Entschluss, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Anwendung von Waffengewalt gegen Repräsentanten des Staates zu beseitigen und sie durch eine eigene Staatsstruktur zu ersetzen, bereits fest gefasst. Auch oblag es allein ihrer Deutung, welches tagesaktuelle Ereignis der "Allianz" zuzurechnen und als das erhoffte Startsignal an die Vereinigung zu werten sein sollte. Die Mitglieder der Vereinigung hatten mithin nur noch darüber zu entscheiden, wann die Umsturzpläne umgesetzt werden. Daneben plante der engste Führungszirkel der Vereinigung das gewaltsame Eindringen einer bewaffneten Gruppe von bis 16 Personen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr oder anderer militärischer oder polizeilicher Spezi­al­ein­heiten, in das Reichs­tags­gebäude. Er beabsichtigte, Abgeordnete, Kabinetts­mit­glieder und deren Mitarbeiter verhaften und abzuführen zu lassen. Hierfür war er bereits in konkrete Vorbe­rei­tungs­hand­lungen eingetreten.

Dringender Verdacht der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung

Der 3. Strafsenat hat bei 20 Beschuldigten, darunter auch einem, dem im Haftbefehl lediglich die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen worden war, den dringenden Verdacht der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) sowie der Vorbereitung eines hochver­rä­te­rischen Unternehmens (§ 83 Abs. 1 StGB) bejaht. Nach der maßgeblichen Verdachtslage handelte es sich bei der Gruppierung um die Beschuldigten hochwahr­scheinlich um eine terroristische Vereinigung im Sinne der § 129 Abs. 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Denn sie bestand aus mehr als zwei Personen, war auf längere Dauer angelegt, hatte eine organi­sa­to­rische Struktur und verfolgte mit der Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie der Schaffung eines neuen deutschen Staatswesens ein übergeordnetes gemeinsames Interesse. Dieses Ziel wollten die Mitglieder der Vereinigung nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen hochwahr­scheinlich durch die Begehung von Katalogtaten im Sinne des § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erreichen. Die Beschuldigten wussten und fanden sich um des von ihnen verfolgten Zieles willen damit ab, dass es sowohl bei der vermeintlichen Unterstützung eines Angriffs durch die "Allianz" am "Tag X" als auch bei der gewaltsamen Erstürmung des Reichs­tags­ge­bäudes zu vorsätzlichen Tötungen von Repräsentanten des Staates und Amtsträgern gemäß §§ 211, 212 StGB kommen werde. Die 20 Beschuldigten gliederten sich nach dem aus dem Aktenmaterial ersichtlichen Erkenntnisstand mit hoher Wahrschein­lichkeit einvernehmlich in die terroristische Vereinigung ein und trugen mit ihrem Wirken im Rat bzw. für den militärischen Arm unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Organisation bei. Zwei Beschuldigte waren überdies Rädelsführer der Gruppierung; ihnen kamen nach den internen Absprachen, den Plänen der Verei­ni­gungs­mit­glieder und auch rein tatsächlich im Hinblick auf Art, Umfang und Gewicht ihrer Mitwirkung eine Führungsrolle zu.

Vorbereitung eines hochver­rä­te­rischen Unternehmens

Darüber hinaus hat der 3. Strafsenat die vorgenannten 20 Beschuldigten als der Vorbereitung eines hochver­rä­te­rischen Unternehmens nach § 83 Abs. 1 StGB dringend verdächtig erachtet. Ihre Aktivitäten zielten hochwahr­scheinlich darauf ab, die grund­ge­setzliche Ordnung gewaltsam zu ändern und damit einen Verfas­sungs­hoch­verrat zu begehen. Die Handlungen der Beschuldigten, von denen im Sinne eines dringenden Tatverdachts auszugehen gewesen ist, beruhten zwar bei objektiver Betrachtung auf einem jedenfalls teilweise nicht ohne Weiteres nachvoll­ziehbaren gedanklichen Fundament. Sie wiesen jedoch gleichwohl den zur Tatbe­stand­s­er­füllung erforderlichen spezifischen Gefähr­lich­keitsgrad auf. Zum Zeitpunkt der Zerschlagung der Vereinigung im Dezember 2022 waren bereits nicht unerhebliche Finanzmittel zusam­men­ge­tragen, Satel­li­ten­te­lefone, Munition und weitere Militä­raus­rüstung beschafft, Schießübungen durchgeführt und mehrere Heimat­schutz­kom­panien aufgebaut worden; zudem verfügten einige Mitglieder bereits über eigene Waffen nebst Munition. Daneben war die bewaffnete Erstürmung des Reichs­tags­ge­bäudes nicht nur geplant, sondern einige Mitglieder der Vereinigung waren diesbezüglich schon in konkrete Vorbe­rei­tungs­hand­lungen eingetreten. Bei zwei Beschuldigten hat der 3. Strafsenat den dringenden Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB) angenommen, da sie mit hoher Wahrschein­lichkeit vorsätzlich die Betei­li­gungs­hand­lungen einzelner Mitglieder der terroristischen Vereinigung sowohl physisch als auch psychisch förderten. Nach den Entscheidungen lagen auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft vor. Danach war bei allen Beschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr, in den Fällen der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung auch derjenige der Schwer­kri­mi­nalität gegeben. Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Schließlich ist nach Abwägung zwischen den Freiheits­grund­rechten der Beschuldigten einerseits sowie dem jeweiligen Straf­ver­fol­gungs­in­teresse der Allgemeinheit andererseits der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit gewahrt.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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