15.11.2024
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Bundesfinanzhof Beschluss10.01.2012

Bundesfinanzhof äußert Zweifel an Verfas­sungs­mä­ßigkeit des so genannten "Treaty override"Bundes­ver­fas­sungs­gericht muss über Normen­kon­trol­lantrag entscheiden

Der Bundesfinanzhof hat dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die seit langem schwelende Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch ein so genanntes "Treaty override" gegen Verfas­sungsrecht verstößt.

Konkreter Hintergrund dieses Vorla­ge­be­schlusses ist die Regelung des § 50 d Abs. 8 des Einkom­men­steu­er­ge­setzes (EStG). Danach wird für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuer­pflichtigen aus nicht­selb­ständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) vereinbarte Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der steuer­pflichtige Arbeitnehmer nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteu­e­rungsrecht zusteht, auf dieses Besteu­e­rungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Das Gesetz setzt sich unter diesen Voraussetzungen im Ergebnis einseitig über die völkerrechtlich vereinbarte Freistellung der Arbeitslöhne hinweg; der Völker­rechts­vertrag wird gebrochen.

Bundesfinanzhof verweist auf Verstoß gegen Gleichheitssatz und gegen verfas­sungs­mäßige Ordnung

Der Bundesfinanzhof ist davon überzeugt, dass dies nicht in Einklang mit der verfas­sungs­mäßigen Ordnung und dem Gleichheitssatz steht. Die herkömmliche, früher auch vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht vertretene Rechtauffassung, wonach es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, den Völker­rechts­vertrag zu "überschreiben", lasse sich nach zwischen­zeitlich wohl gewandelter Sicht des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht länger aufrecht­er­halten: Zum einen laufe § 50 d Abs. 8 EStG der in Art. 25 des Grundgesetzes niedergelegten materiell-rechtlichen Wertent­scheidung zum Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Recht­fer­ti­gungsgrund vorliege. Ein solcher Recht­fer­ti­gungsgrund sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass der Steuer­pflichtige in beiden Vertragsstaaten unbesteuert bleiben und so genannte weiße Einkünfte erzielen könne. Zum anderen sieht der Bundesfinanzhof Gleich­heits­verstöße darin, dass der betreffende Arbeitnehmer, der im Ausland arbeitet, infolge der Regelung in § 50 d Abs. 8 EStG unbeschadet des Abkommens so behandelt wird wie ein Arbeitnehmer, der im Inland arbeitet, und überdies, dass das Gesetz ihn im Ergebnis gegenüber einem Steuer­pflichtigen mit anderen Einkünften als solchen aus nicht­selb­ständiger Arbeit benachteiligt.

Sachverhalt des zugrunde liegenden Falls

Im Streitfall klagte der Geschäftsführer und Arbeitnehmer einer inländischen Kapital­ge­sell­schaft, der für die Gesellschaft in der Türkei gearbeitet hatte. Er beanspruchte, mit seinem Arbeitslohn aus dieser Tätigkeit in Deutschland steuerbefreit zu werden, weil das Besteu­e­rungsrecht hierfür nach dem DBA-Türkei nicht Deutschland, sondern der Türkei gebühre. Das Finanzamt berief sich indessen auf § 50 d Abs. 8 EStG. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er in der Türkei entsprechende Einkommensteuer bezahlt oder dass die Türkei auf das ihr zustehende Besteu­e­rungsrecht verzichtet habe. Auf die abkom­mens­rechtliche Freistellung komme es daher nicht an.

Durch Normen­kon­trol­ler­suchen steht Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfas­sungs­ge­richts

Das Normen­kon­trol­ler­suchen, über das das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nun zu entscheiden haben wird, betrifft unmittelbar nur die Vorschrift des § 50 d Abs. 8 EStG. Mittelbar steht jedoch - und darin liegt letztlich die Brisanz des Ersuchens - eine Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfas­sungs­ge­richts: Der deutsche Gesetzgeber hat vor allem in der jüngeren Vergangenheit in erheblichem Maße von dem seit langem umstrittenen Mittel des Treaty overriding Gebrauch gemacht, auch, um eine "Keinmal­be­steuerung" zu vermeiden. Erst in letzter Zeit geht Deutschland verstärkt dazu über, entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteu­e­rungs­rechts an den Wohnsitzstaat bei besagter "Keinmal­be­steuerung" in den jeweiligen Abkommen selbst zu verankern oder auch ein Abkommen zu kündigen. Ein Beispiel für eine solche Kündigung wie für solche abkom­mens­eigenen Rückfa­ll­klauseln gibt gerade das DBA-Türkei in seiner alten Fassung aus dem Jahre 1985 und seiner nunmehr neuverhandelten Fassung vom 19. September 2011.

Quelle: Bundesfinanzhof/ra-online

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