23.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil25.04.2023

Vertragliches Mitglied in Yoga-Ashram ist Arbeitnehmerin mit Anspruch auf MindestlohnKein Selbst­be­stimmungs­recht für Yoga-Ashram als Religions- oder Weltan­schau­ungs­ge­mein­schaft

Das verfassungs­rechtlich gewährleistete Selbst­be­stimmungs­recht von Religions- und Weltanschauungs­gemeinschaften kann nur von einem Verein in Anspruch genommen werden, der ein hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweist. Andernfalls ist es ihm verwehrt, mit seinen Mitgliedern zu vereinbaren, außerhalb eines Arbeits­verhältnisses fremdbestimmte, weisungs­ge­bundene Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten, sofern diese nicht ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt sind. Die hat das Bundes­arbeits­gericht entschieden.

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck „die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion“ ist. Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt er Einrichtungen, in denen Kurse, Workshops, Seminare, Veranstaltungen und Vorträge zu Yoga und verwandten Disziplinen durchgeführt werden. Dort bestehen sog. Sevaka-Gemeinschaften. Sevakas sind Vereins­an­ge­hörige, die in der indischen Ashram- und Kloster­tra­dition zusammenleben und ihr Leben ganz der Übung und Verbreitung der Yoga Vidya Lehre widmen. Sie sind aufgrund ihrer Vereins­mit­glied­schaft verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten Sevazeit zu leisten. Gegenstand der Sevadienste sind z.B. Tätigkeiten in Küche, Haushalt, Garten, Gebäu­de­un­ter­haltung, Werbung, Buchhaltung, Boutique etc. sowie die Durchführung von Yogaunterricht und die Leitung von Seminaren. Als Leistung zur Daseinsfürsorge stellt der Beklagte den Sevakas Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung und zahlt ein monatliches Taschengeld iHv. bis zu 390,00 Euro, bei Führungs-verantwortung bis zu 180,00 Euro zusätzlich. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflege­ver­sichert und erhalten eine zusätzliche Alters­ver­sorgung. Die Klägerin ist Volljuristin. Sie lebte vom März 2012 bis zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft beim Beklagten Ende Juni 2020 als Sevaka in dessen Yoga-Ashram und leistete dort im Rahmen ihrer Sevazeit verschiedene Arbeiten.

Klage auf Zahlung von Mindestlohn für Tätigkeit in Ashram­ge­mein­schaft

Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe ein Arbeits­ver­hältnis bestanden, und verlangt ab dem 1. Januar 2017 auf der Grundlage der vertraglichen Regel­a­r­beitszeit von 42 Wochenstunden gesetzlichen Mindestlohn iHv. 46.118,54 Euro brutto. Der Beklagte hat eingewendet, die Klägerin habe gemeinnützige Sevadienste als Mitglied einer hinduistischen Ashram­ge­mein­schaft und nicht in einem Arbeits­ver­hältnis geleistet. Die Religi­o­ns­freiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG und das Selbst­be­stim­mungsrecht aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV ermöglichten es, eine geistliche Lebens­ge­mein­schaft zu schaffen, in der die Mitglieder außerhalb eines Arbeits­ver­hält­nisses gemeinnützigen Dienst an der Gesellschaft leisteten. Das Arbeitsgericht hat - soweit für die Revision von Bedeutung - der Klage stattgegeben. Das Landes­a­r­beits­gericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen.

BAG bejahrt Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn

Das Bundes­a­r­beits­gericht hat der Revision stattgegeben und die Sache zurückverwiesen. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Beklagten und hat für den streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG. Sie war vertraglich zu Sevadiensten und damit iSv. § 611 a Abs. 1 BGB zur Leistung weisungs­ge­bundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Der Arbeit­neh­me­rei­gen­schaft stehen weder die besonderen Gestal­tungs­rechte von Religions- und Weltan­schau­ungs­ge­mein­schaften noch die Verein­s­au­tonomie des Art. 9 Abs. 1 GG entgegen. Der Beklagte ist weder Religions- noch Weltan­schau­ungs­ge­mein­schaft. Es fehlt das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Beklagte bezieht sich in seiner Satzung u.a. auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen. Aufgrund dieses weit gefassten Spektrums ist ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltan­schau­licher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht hinreichend erkennbar.

Arbeits­rechtliche Schutz­be­stim­mungen dürfen nicht umgangen werden

Auch die grundgesetzlich geschützte Verein­s­au­tonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) erlaubt die Erbringung fremdbestimmter, weisungs­ge­bundener Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit außerhalb eines Arbeits­ver­hält­nisses allenfalls dann, wenn zwingende arbeits­rechtliche Schutz­be­stim­mungen nicht umgangen werden. Zu diesen zählt u.a. eine Vergü­tungs­zusage, die den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, auf den Kost und Logis nicht anzurechnen sind. Denn dieser bezweckt die Existenz­si­cherung durch Arbeits­ein­kommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG).

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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