18.10.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil01.06.2022

Arbeitgeber dürfen Corona-Testpflicht für Arbeitnehmer anordnenTestpflicht verhältnis- und rechtmäßig

Der Arbeitgeber kann zur Umsetzung der ihn treffenden arbeits­schutz­rechtlichen Verpflichtungen berechtigt sein, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen. Dies hat das Bundes­arbeits­gericht entschieden.

Die Klägerin war als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper mit einem Brutto­mo­nats­gehalt von zuletzt 8.351,86 Euro beschäftigt. Zu Beginn der Spielzeit 2020/21 hat die Bayerische Staatsoper, nachdem sie zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen bereits bauliche und organi­sa­to­rische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenbereichs und die Neuregelung von Zu- und Abgängen ergriffen hatte, im Rahmen ihres betrieblichen Hygienekonzepts in Zusammenarbeit u.a. mit dem Institut für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum rechts der Isar eine Teststrategie entwickelt. Vorgesehen war die Einteilung der Beschäftigten in Risikogruppen und je nach Gruppe die Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests in unter­schied­lichen Zeitabständen. Als Orches­ter­mu­sikerin sollte die Klägerin zunächst wie alle Mitarbeiter zu Beginn der Spielzeit einen negativen PCR-Test vorlegen und in der Folge weitere PCR-Tests im Abstand von ein bis drei Wochen vornehmen lassen. Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an, alternativ konnten die Mitarbeiter PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass sie ohne Testung nicht an Aufführungen und Proben teilnehmen könne. Sie hat sich geweigert, PCR-Tests durchführen zu lassen und insbesondere gemeint, diese seien zu ungenau und stellten einen unver­hält­nis­mäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit dar. Anlasslose Massentests seien unzulässig. Der beklagte Freistaat hat daraufhin in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 die Gehalts­zah­lungen eingestellt. Seit Ende Oktober 2020 legte die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht PCR-Testbefunde vor. Mit ihrer Klage hat sie für die Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt, hilfsweise die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens. Weiter verlangt sie, ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 beschäftigt zu werden.

Fürsor­ge­pflichten für Arbeitnehmer

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die vom Senat nachträglich zugelassene Re-vision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der Arbeitgeber ist nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeits­leis­tungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Die öffentlich-rechtlichen Arbeits­schutz­normen des Arbeits­schutz­ge­setzes (ArbSchG) konkretisieren den Inhalt der Fürsor­ge­pflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Zur Umsetzung arbeits­schutz­recht­licher Maßnahmen kann der Arbeitgeber Weisungen nach § 106 Satz 2 GewO hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erteilen. Das hierbei zu beachtende billige Ermessen wird im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.

Betriebliches Hygienekonzept rechtmäßig

Hiervon ausgehend war die Anweisung des beklagten Freistaats zur Durchführung von PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper rechtmäßig. Die Bayerische Staatsoper hat mit Blick auf die pandemische Verbreitung von SARS-CoV-2 mit diffusem Anste­ckungs­ge­schehen zunächst technische und organi­sa­to­rische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenraums und Anpassungen bei den aufzuführenden Stücken ergriffen, diese aber als nicht als ausreichend erachtet. Sie hat sodann - auch um den Vorgaben der Sechsten Bayerischen Infek­ti­o­ns­schutz­maß­nahmen-Verordnung zu genügen - mit wissen­schaft­licher Unterstützung durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und das Klinikum rechts der Isar ein Hygienekonzept erarbeitet, das für Personen aus der Gruppe der Orches­ter­musiker PCR-Tests alle ein bis drei Wochen vorsah. Hierdurch sollte der Spielbetrieb ermöglicht und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt werden. Die auf diesem Konzept beruhenden Anweisungen an die Klägerin entsprachen billigem Ermessen iSv. § 106 GewO.

PCR-Testpflicht ist minimaler Eingriff

Der mit der Durchführung der Tests verbundene minimale Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist verhältnismäßig. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung macht die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Meldepflichten und die Kontakt­nach­ver­folgung ohnedies im Betrieb bekannt wird. Da hiernach die arbeit­ge­ber­seitige Anweisung zur Umsetzung des betrieblichen Hygienekonzepts rechtmäßig war, hat der beklagte Freistaat zu Recht eingewandt (§ 297 BGB), dass Vergü­tungs­ansprüche wegen Annahmeverzugs im streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum jedenfalls mit Blick auf den fehlenden Leistungswillen der Klägerin, die die Durchführung von PCR-Tests verweigert hat, nicht bestehen. Der auf die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens gerichtete Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet. Eine Vergütung dieser Zeiten ist nur geschuldet, soweit sie auf die tarif­ver­traglich geregelten Dienste - Proben und Aufführungen - bezogen sind. An diesen hat die Klägerin im Streitzeitraum nicht teilgenommen. Der Beschäf­ti­gungs­antrag, mit dem die Klägerin ihren Einsatz ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 erreichen wollte, ist als Globalantrag schon deshalb unbegründet, weil bereits der für die Zahlungsanträge maßgebliche Zeitraum zeigt, dass wirksame Testanordnungen möglich sind.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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