Dokument-Nr. 15526
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- NJW 2013, 954Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 954
- NZA 2013, 319Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2013, Seite: 319
- Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil22.02.2011, 3 Sa 474/09
Bundesarbeitsgericht Urteil25.10.2012
Telefonate im Operationssaal: Private Handynutzung eines Chefarztes während einer Operation rechtfertigt keine fristlose KündigungVorherige Abmahnung als milderes Mittel erforderlich
Führt ein Chefarzt während einer Operation private Telefonate mit seinem Handy, so rechtfertigt dies grundsätzlich keine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber muss als milderes Mittel zunächst die Abmahnung wählen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Chefarzt nahm zu seinen Operationen sowohl das Diensttelefon als auch sein privates Handy mit in den Operationssaal. Die Klinik gestatte die Annahme von dienstlichen Anrufen während einer Operation. Der Chefarzt führte jedoch nicht nur dienstliche Gespräche, sondern auch private Telefonate. Er ließ die Anrufe teilweise von einem Mitglied des Operationsteams annehmen. Die Klinik war der Meinung, dass durch die Telefonate die ärztliche Konzentration beeinträchtigt worden und eine Gefahr für die Sterilität der Umgebung zu befürchten gewesen sei. Sie kündigte dem Chefarzt daher fristlos. Dieser erhob daraufhin Kündigungsschutzklage. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Dagegen richtete sich die Revision des Chefarztes.
Fristlose, außerordentliche Kündigung war unwirksam
Das Bundesarbeitsgericht entschied zu Gunsten des Chefarztes. Denn die fristlose, außerordentliche Kündigung sei unwirksam gewesen.
Fristlose Kündigung setzt wichtigen Grund voraus
Das Bundesarbeitsgericht führte zunächst aus, dass eine fristlose Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen könne (§ 626 Abs. 1 BGB). Dies setze voraus, dass der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände an sich, also typischerweise als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet sei. Nachfolgend müsse geprüft werden, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls zumutbar sei oder nicht (vgl. BAG, Urt. v. 19.04.2012 - 2 AZR 258/11).
Einzelfallabwägung erforderlich
Es habe eine Bewertung im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stattzufinden, so das Bundesarbeitsgericht weiter. Daher müsse in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abgewogen werden. Dabei seien vor allem folgende Aspekte zu berücksichtigen: das Gewicht und die Auswirkung der Vertragspflichtverletzung, die Schwere des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Ablauf (vgl. BAG, Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 323/10).
Mildere Mittel sind stets zu wählen
Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts komme eine außerordentliche Kündigung jedoch nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber keine milderen Mittel zur Reaktion zumutbar seien. Als milderes Mittel kommen insbesondere eine Abmahnung und eine ordentliche Kündigung in Betracht (vgl. BAG, Urt. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09). Beruhe nämlich die Vertragspflichtverletzung auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, könne in der Regel davon ausgegangen werden, dass sein künftiges Verhalten regelmäßig durch eine Abmahnung positiv beeinflusst werde (vgl. BAG, Urt. v. 19.04.2012 - 2 AZR 186/11).
Vorherige Abmahnung war hier notwendig
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sei es dem Arbeitgeber hier zuzumuten gewesen, den Chefarzt zunächst nur abzumahnen und daher weiterzubeschäftigen. Es sei vor allem zu beachten gewesen, dass ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren, nicht bestanden habe. Die Klinik habe vielmehr durch die Zulassung von dienstlichen Telefonaten es billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt werde. Mit privaten Telefonaten seien aber keine weitergehende oder andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden gewesen als mit dienstlich veranlassten.
Erhebliche Vertragspflichtverletzung lag vor
Das Bundesarbeitsgericht ging aber durchaus davon aus, dass der Chefarzt aufgrund seiner privaten Telefonate seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt habe. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass er eine leitende Stellung innehatte und er eine gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation hatte. Er sei daher dazu verpflichtet gewesen, Störungen, die die Konzentration aller Operationsteilnehmer beeinträchtigen können und nicht durch Notfälle notwendig seien, zu vermeiden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.04.2013
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)
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