21.11.2024
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Arbeitsgericht Kiel Urteil19.11.2008

Zweckverband muss Lohn für vermeintlichen Praktikanten nachzahlenWird der Praktikant als volle Arbeitskraft eingesetzt, muss er auch so bezahlt werden

Nicht jeder als Praktikant bezeichnete Beschäftigte ist auch ein solcher. Überwiegt im Vertrags­ver­hältnis die Arbeitsleistung gegenüber dem Ausbil­dungszweck, so ist der Beschäftigte unabhängig von der Bezeichnung im Vertrag Arbeitnehmer und als solcher zu vergüten. Dies entschied das Arbeitsgericht Kiel in einem Rechtsstreit zwischen einem formell als Praktikanten Beschäftigten und einem Alten­heim­be­treiber.

Ein Praktikant wird in aller Regel vorübergehend in einem Betrieb praktisch tätig, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen, ohne dass eine systematische Berufs­aus­bildung stattfindet. Der Ausbil­dungszweck steht im Vordergrund und muss die für den Betrieb erbrachten Leistungen und Arbeits­er­gebnisse deutlich überwiegen.

Sachverhalt

Der Kläger war bereits im Rahmen einer berufs­vor­be­rei­tenden Maßnahme ab Anfang 2007 beim Beklagten eingesetzt und schloss dann für ein knappes Jahr eine als Prakti­kan­ten­vertrag bezeichnete Vereinbarung. Die vertraglich vorgesehene wöchentliche Anwesen­heitszeit betrug 38,5 Stunden, die Vergütung EUR 200 monatlich. Gleichzeitig unterschrieben die Parteien eine Stellen­be­schreibung für Wohnbe­reichs­helfer. Der Beklagte stellte dem Kläger für den Fall, dass das Praktikum erfolgreich absolviert werde, einen Ausbil­dungsplatz für eine 18-monatige Ausbildung zum Alten­pfle­ge­helfer in Aussicht.

Kläger wurde kein Ausbil­dungs­ver­hältnis angeboten

Der Kläger wurde in den Dienstplänen des Beklagten geführt und hat die Tätigkeiten eines Wohnbe­reichs­helfers erbracht. Nach Auslaufen der Vereinbarung hat der Beklagte dem Kläger keinen Ausbil­dungs­vertrag angeboten. Der Kläger klagte daraufhin für die Vertrags­laufzeit die für einen Wohnbe­reichs­helfer übliche Vergütung in Höhe von monatlich EUR 1.286 brutto, insgesamt EUR 10.317 ein.

Arbeitsgericht: Arbeits­ver­hältnis liegt vor

Die Klage war vor dem Arbeitsgericht in vollem Umfang erfolgreich. Das Gericht sah das Vertrags­ver­hältnis entgegen der anderslautenden Vereinbarung als Arbeits­ver­hältnis an und stellte klar, dass es nicht auf den Vertrags­wortlaut, sondern die praktische Durchführung des Vertrags­ver­hält­nisses ankommt. Der Kläger war in den Betrieb des Beklagten eingegliedert und hatte nach Weisung der examinierten Pflegekräfte die ihm übertragenen Tätigkeiten zu erbringen. Der Beklagte hatte nichts dazu vorgetragen, welche Fähigkeiten, Tätigkeiten und/oder Qualifikationen der Kläger hätte erlernen müssen und auf welcher Basis ihm dies vermitteln worden wären. Das Gericht stellte weiter ein Missverhältnis zwischen der eigentlichen Ausbil­dungsdauer zum Alten­pfle­ge­helfer und der Dauer des angeblichen Praktikums fest. Es erschloss sich dem Gericht nicht, inwieweit für eine 18-monatige Ausbildung zum Ausgleich etwaiger Defizite ein 17-monatiges Praktikum erforderlich sein soll.

Vergü­tungs­ver­ein­barung über 200,- EUR monatlich ist sittenwidrig

Da zwischen den Parteien ein Arbeits­ver­hältnis bestand, war nach Auffassung des Gerichts die Vergü­tungs­ver­ein­barung über monatlich EUR 200 unwirksam. Sie war sittenwidrig und stellte unzulässigen Lohnwucher dar. Insofern hatte der Beklagte gemäß § 612 Abs. 2 BGB die für einen Wohnbe­reichs­helfer übliche Vergütung nachzuzahlen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 10/08 des LAG Schleswig-Holstein vom 29.12.2008

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