03.12.2024
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Dokument-Nr. 3869

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Urteil07.11.1968Amtsgericht Tiergarten380 Ds 161/68
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Amtsgericht Tiergarten Urteil07.11.1968

Beate Klarsfeld wegen Ohrfeige auf Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger zu Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteiltVerurteilung wegen Beleidigung in Tateinheit mit Körper­ver­letzung / Kiesinger stellte Strafantrag

Die Ohrfeige auf Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger rückte 1968 Beate Klarsfeld ins Licht der Öffentlichkeit. 2012 ist Klarsfeld Kandidatin der Partei Die Linke für die Bundes­präsidenten­wahl. Für die verabreichte Ohrfeige verurteilte sie das Amtsgericht Tiergarten in einem Schnell­ver­fahren zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr ohne Bewährung. Kostenlose-urteile.de fasst die Umstände der Tat und die Verurteilung zusammen.

Wenige Tage nach der Ohrfeige auf Kiesinger sagte Beate Klarsfeld in einem Interview mit dem SPIEGEL, dass sie die Ohrfeige bereits am 9. Mai 1968 geplant und lange vorbereitet hatte. Am 7. November 1968 schritt sie schließlich zur Tat. Zu diesem Zeitpunkt war die am 13. Februar 1939 in Berlin geborene Klarsfeld 29 Jahre alt. Mit der Ohrfeige wollte sie zum Ausdruck bringen, dass ein Teil des deutschen Volkes - insbesondere die Jugend - sich dagegen auflehnt, dass ein Nazi an der Spitze der Bundesregierung steht.

Tathergang

Die Ohrfeige fand auf dem CDU Parteitag in Berlin am 7. November 1968 statt. Es war der letzte Tag des Partei­kon­gresses, der in der Berliner Kongresshalle (seit 1989 "Haus der Kulturen der Welt" genannt) abgehalten wurde. Mit dem Presseausweis ihres Mannes soll Klarsfeld in das von Polizisten geschützte Gebäude gelangt sein, berichtet die Frankfurter Rundschau. Nachdem sie auf einen Saaldiener eingeredet hat, wird sie nach vorn zum Podium gelassen. Gegen 10.50 Uhr näherte sich Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger an. Mit den Worten "Nazi, Nazi" schlug sie ihm von hinten mit dem Handrücken ins Gesicht. Danach wurde sie von Sicher­heits­beamten überwältigt und abgeführt. Bundeskanzler Kiesinger hielt sich das linke Auge zu. Ein herbeigerufener Arzt stellte die Diagnose: leichte Binde­haut­ent­zündung. Nach der Tat wurde Beate Klarsfeld in einem Nebenraum vernommen.

Strafantrag und Strafbarkeit wegen Beleidigung und oder Körper­ver­letzung stand im Raum

Kanzler Kiesinger, seine Berater und Parteikollegen waren zunächst uneins, wie strafrechtlich wegen der Tat mit Klarsfeld zu verfahren sei. Der SPIEGEL berichtet, dass Kiesinger die "körperliche Attacke" einer jungen Frau nicht so ernst nehmen wollte. Man überlegte, ob Kiesinger Strafantrag stellen sollte, damit Klarsfeld auch wegen Beleidigung verfolgt werden könnte. Eine Bestrafung wegen Beleidigung kommt nämlich nur in Betracht, wenn das Opfer zuvor einen Strafantrag gestellt hat (so genanntes Antragsdelikt). Kiesinger und seine Berater befürchteten, dass bei einem Prozess seine umstrittene Vergangenheit diskutiert werden könnte. Am Nachmittag entschloss sich dann Kiesinger aber doch einen Strafantrag zu stellen. Im Auto auf der Fahrt zum Flughafen soll er den Strafantrag unterzeichnet haben, berichtet der SPIEGEL.

Gerichts­ver­handlung am gleichen Tag

Im Rahmen eines so genannten "beschleunigten Verfahrens" wird Beate Klarsfeld angeklagt. Der Prozess findet noch am gleichen Tag statt und beginnt um 17.41 Uhr vor dem Bereit­schafts­gericht des Amtsgerichts Tiergarten. Klarsfeld lässt sich von Horst Mahler verteidigen. Mit ihm konnte sie vor dem Verfahren nur einmal zwanzig und einmal sieben Minuten sprechen, schreibt der SPIEGEL. In der Verhandlung beantragte Mahler vergebens, dass Kiesinger als Zeuge geladen werde. Nur rund zwei Stunden dauerte der Prozess. Die Staats­an­walt­schaft beantragte eine Strafe von zwölf Monaten und die Aufrecht­er­haltung des Haftbefehls.

1 Jahr Freiheitsstrafe

Das Gericht verurteilte Klarsfeld wegen Beleidigung in Tateinheit mit Körperverletzung antragsgemäß zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr. Damit verhängte es die höchste Strafe, die überhaupt in einem beschleunigten Verfahren möglich war. Die Fortdauer des Haftbefehls ordnete der Richter allerdings nicht an. Der Richter begründete die Höhe der Strafe damit, dass politische Überzeugungen nicht mit Gewalt vertreten werden dürften. Derartiges müsse angesichts der deutschen Vergangenheit bereits im Keim erstickt werden. Dass der Verletzte Bundeskanzler war, habe keinen Einfluss auf die Höhe der Strafe gehabt.

Berufung

Klarsfeld legte gegen das Urteil Berufung ein. Im Berufungs­ver­fahren standen Klarsfeld die Rechtsanwälte Horst Mahler und Egon Geis als Verteidiger zur Seite. Im April 1969 fand eine erste Berufungs­ver­handlung vor der 33. Kleinen Strafkammer des Moabiter Schwurgerichts in Berlin statt, die allerdings an der Frage scheiterte, ob Kiesinger als Zeuge vorgeladen werden sollte. Das Gericht hatte keine Zeit mehr, sich mit der Frage zu befassen. Ende August 1969 ging das Verfahren dann weiter.

§ 220 StPO

Auf Antrag von Rechtsanwalt Geis, der sich auf § 220 StPO berief, wurde Kurt Georg Kiesinger durch einen Gerichts­voll­zieher zu der Berufungs­ver­handlung geladen. Kiesinger erschien allerdings nicht. Seine Begründung "andere Verpflichtungen" zu haben, akzeptierte die Strafkammer als hinreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen.

Das Verfahren endete mit einer Reduzierung der Strafe auf vier Monate Gefängnis, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Quelle: ra-online, Der Spiegel, Die Zeit, Netzeitung, Frankfurter Rundschau u.a.

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