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- Eigenbedarfskündigung kann an existentiellen gesundheitlichen Gefahren für bisherigen Mieter scheiternAmtsgericht München, Urteil28.09.2017, 433 C 10588/17
- Unwirksame Eigenbedarfskündigung eines betagten, langjährigen Mieters aufgrund ernsthafter SuizidgefahrLandgericht Berlin, Urteil08.07.2015, 65 S 281/14
Amtsgericht München Urteil22.11.2019
Suizidgefahr eines Mieters kann berechtigter Eigenbedarfskündigung entgegenstehenMietverhältnis ist auf unbestimmte Zeit fortzusetzen
Eine für den Fall einer Räumungspflicht festgestellte Selbstmordgefahr eines fast 90 Jahre alten Mieters kann einer grundsätzlich berechtigten Kündigung wegen Eigenbedarfs entgegenstehen. Dies entschied das Amtsgericht München.
Der Beklagte 89-jährigen Mieter des zugrunde liegenden Falls hatte mit seiner damals noch lebenden Ehefrau vom Voreigentümer 1975 eine Drei-Zimmer-Wohnung, 1. OG, 80 m², in München-Neuperlach angemietet und zahlt dafür zuzüglich Garage an die Klägerin aktuell 996,89 Euro monatlich warm. Die Vermieterin bewohnt mit ihrer erwachsenen Tochter eine Zwei-Zimmer-Wohnung, während ihr ebenfalls erwachsener Sohn nach Trennung von seiner Freundin ein 9m² großes Zimmer bei seinem Vater bewohnt. Dieser Sohn hatte in zwei familiengerichtlichen Verfahren nun drei Tage Umgang mit dem gemeinsamen Kind erreicht, davon einmal mit Übernachtung bei ihm. In der 52 m² Wohnung des Opas muss für letztere jeweils umgebaut werden.
Mieter legt Widerspruch gegen Eigenbedarfskündigung der Vermieterin ein
Die Klägerin kündigte dem Beklagten, mit Schreiben vom 24. Februar 2018 unter Benennung des geschilderten Eigenbedarfs zum 30. November 2018. Im Namen des Beklagten legte der Mieterverein München e.V. mit Schreiben vom 26. September 2018, dessen Zugang innerhalb der gesetzlichen Sechsmonatsfrist bei der Klägerin streitig war, Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung ein und benannte dort als Härtegründe Hüft- und Kniegelenkserkrankungen sowie seine langjährige Verwurzelung im Wohnumfeld.
Klägerin hält Finden einer Ersatzwohnung im nahen Umfeld für möglich
Die Klägerin behauptete, dass der Beklagte in der näheren Umgebung eine Ersatzwohnung finden könne, wenn er sich nur ausreichend darum bemühte. Die Wohnung sei nur über mehrere Treppenstufen erreichbar, also nicht altersgerecht. Man würde den Beklagten tatkräftig bei seinem Umzug unterstützen, der überdies ja noch zweimal die Woche nach Riem fahren könne, um dort im Tierheim zu helfen. Der Beklagte gab an, dass er seit der Kündigung fünf Kilo abgenommen und auf 26 Bewerbungen nur Absagen erhalten habe. Einer Rücknahme der Klage, von der Klägerin nach Eingang des gerichtlich erholten Sachverständigengutachtens erklärt, stimmt er nicht zu.
Eigenbedarf grundsätzlich glaubhaft dargelegt
Das Amtsgericht München gab dem Beklagten Recht. Die Anhörung der Beteiligten und die durchgeführte Beweisaufnahme habe zwar zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der behauptete Eigenbedarf tatsächlich bestehe. Die Klägerin und der Sohn der Klägerin hätten bei ihrer Vernehmung für das Gericht glaubwürdig und glaubhaft ausgesagt, dass der Sohn die streitgegenständliche Wohnung für sich und das Umgangsrecht mit seinem Sohn benötige und dort einziehen möchte. Sein zweijähriges Kind benötige ein stabiles Umfeld für den Umgang.
Psychischer Gesundheitszustand des Mieters als Folge der Kündigung erheblich beeinträchtigt
Der Mieter könne allerdings gemäß § 574 BGB einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter der Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei. Nach der Beweisaufnahme sei der Widerspruch rechtzeitig erfolgt. Vorliegend habe der Beklagte bisher noch keine ausreichenden Bemühungen unternommen, eine Ersatzwohnung zu finden. Die Beweisaufnahme habe zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Beklagte entsprechend dieser langen Wohndauer in dem Viertel Neuperlach stark verwurzelt sei. Letztlich sei für das Gericht in der Abwägung das Ergebnis des schriftlichen Gutachtens des vom Gericht bestellten Sachverständigen ausschlaggebend gewesen. Danach sei der psychische Gesundheitszustand des Beklagten schon als Folge der Kündigung bereits erheblich beeinträchtigt gewesen. Hierdurch habe sich eine mittelschwere depressive Episode manifestiert. Durch einen Umzug würde sich sein psychisches Befinden aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter verschlechtern, bis hin zu einer schweren depressiven Episode, bei der auch ein Suizid nicht ausgeschlossen werden könne. Zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung habe ein Anhaltspunkt dafür bestanden, dass der Beklagte seine Beschwerden stärker beschreiben würde als sie vorliegen oder gar simulieren würde. Für den Fall, dass er aus seiner Wohnung ausziehen müsste, werde konkret der Suizid erwogen. Es handele sich bei ihm um einen alten, alleinstehenden Mann mit einer depressiven Episode und einem ungelösten Problem, nämlich dem Verlust seiner Wohnung und seines Lebensmittelpunktes. Er sei daher als erheblich gefährdet anzusehen. Unter Berücksichtigung dieser Gefährdung sei eine Räumung der Wohnung für den Beklagten nicht zumutbar. Nachdem auch nicht absehbar sei, ob und wann die festgestellte Gefährdung nicht mehr bestehe, sei das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 22.11.2019
Quelle: Amtsgericht München/ra-online (pm/kg)
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