Amtsgericht München Hinweisbeschluss13.08.2014
Dash-Cam-Aufzeichnungen können nicht als Beweismittel in einem Zivilprozess verwertet werdenPermanente Überwachung des Straßenverkehrs verstößt gegen das Bundesdatenschutzgesetz und Kunsturheberrecht
Die Videoaufzeichnungen mit Hilfe der Dash-Cam dürfen in einem Prozess nicht als Beweismittel verwendet werden. Der PKW Fahrer muss daher mit anderen Mitteln seine Unschuld beweisen, um den Prozess nicht zu verlieren. Dies hat Amtsgericht München mit Hinweisbeschluss bekanntgegeben.
Im vorliegenden Verfahren möchte ein PKW Fahrer, der in einen Unfall verwickelt wurde, im Rahmen des Prozesses seine Unschuld mit Videoaufzeichnungen seiner Car-Cam bzw. Dash-Cam beweisen.
Unfallschilderung:
Am 14.1.14 um circa 17 Uhr wollte ein Münchner mit seinem PKW vom Parkplatz des Grundstücks Frankfurter Ring 162 in München in den Frankfurter Ring nach rechts einfahren. Der Frankfurter Ring hat an dieser Stelle zwei Fahrspuren in eine Richtung. Der Münchener behauptet, er habe an der Einmündung sein Fahrzeug bis zum Stillstand abgebremst und sei erst losgefahren, als die rechte Fahrspur frei war. In diesem Augenblick sei der Unfallgegner aus Erding plötzlich und ohne zu blinken mit seinem Fahrzeug von der linken Fahrspur auf die rechte Fahrspur gewechselt, wo es zur Kollision kam. Der Erdinger PKW Fahrer behauptet dagegen, er sei bereits auf der rechten Fahrspur des Frankfurter Rings gefahren, als der Münchner aus der Grundstücksausfahrt einscherte. Der Münchner habe ihn offensichtlich übersehen. Der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen.
Benennung von Unfallzeugen nicht möglich
Weder der Münchner noch der Erdinger Fahrer können Unfallzeugen benennen. Der Münchner Fahrer hatte jedoch eine Dash-Cam in seinem PKW installiert, mit der der gesamte Vorfall aufgezeichnet wurde. Mit diesen Aufzeichnungen möchte der Münchner beweisen, dass er -entgegen dem Beweis des ersten Anscheins - nicht schuld an dem Unfall war.
Verwertung der Videoaufzeichnungen als Beweismittel wegen Verstoß gegen Bundesdatenschutzgesetz abgelehnt
Der zuständige Richter lehnt eine Verwertung und Verwendung der Videoaufzeichnungen als Beweismittel ab.
Die Verwertbarkeit solcher Aufnahmen hänge nach ständiger Rechtsprechung von den schutzwürdigen Interessen der Parteien ab, die gegeneinander abzuwägen sind (vgl. AG München, Urteil v. 06.06.2013 - 343 C 4445/13 - Zur Zulässigkeit von privaten Videoaufnahmen als Beweismittel). Ein Indiz für die Beurteilung sei auch, ob ein Verstoß gegen einfachgesetzliche Bestimmungen vorliege. Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine im PKW installierte Autokamera verstoße gegen § 6 b Abs. 1 Nr.3 Bundesdatenschutzgesetz sowie gegen § 22 S.1. Kunsturhebergesetz und verletze den beklagten Erdinger in seinem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs.1 Grundgesetz.
Schutz des Einzelnen vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Das Bundesdatenschutzgesetz bezweckt den Schutz des Einzelnen vor Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsrechts. Danach ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit Videoüberwachung nur zulässig, wenn sie für einen konkreten Zweck erforderlich ist und nicht andere schutzwürdige Interessen überwiegen.
Schutzwürdiges Interesse der Gefilmten überwiegt
Der Zweck der Autokamera, die Sicherung von Beweismitteln bei einem möglichen Unfall zu sichern, sei zwar, so das Amtsgericht, hinreichend konkret, es würden aber die schutzwürdigen Interessen der Gefilmten überwiegen. Die Zulassung solcher Videos als Beweismittel würde zu einer weiten Verbreitung der Ausstattung mit Car-Cams führen. Was mit den Aufzeichnungen geschehe und wem diese zugänglich gemacht würden, wäre völlig unkontrollierbar.
Veröffentlichung der Bilder nur mit Einwilligung der Abgebildeten möglich
Die Verwendung der Autokamera verstoße auch gegen § 22 Satz 1 Kunsturhebergesetz. Danach dürfen Bilder nur mit Einwilligung des Abgebildeten öffentlich gemacht werden. Der permanente Einsatz der Autokamera führe auch zur Erstellung von Fotos von Personen, die außerhalb des KFZ am Straßenrand oder in anderen PKWs oder in sonstiger Weise am Straßenverkehr beteiligt sind. Dies verletze diese Personen in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch konkurrierende Grundrechte anderer einschränkbar
Durch die unbefugte Erstellung von Aufnahmen werde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Dieses Recht könne eingeschränkt werden durch konkurrierende Grundrechte anderer. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung festgestellt, dass allein das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Straf- und Zivilrechtspflege nicht ausreiche, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem Persönlichkeitsrecht zukomme. Vielmehr müssten weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzwürdig ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 11.08.2009 - 2 BvR 941/08 - Zur Video-Aufzeichnung von Verkehrkskontrollen).
Bloße Möglichkeit einer Beweisführung genügt Anforderungen nicht
Das Amtsgericht München stellt fest, dass die bloße Möglichkeit, dass eine Beweisführung notwendig werden könnte, nicht diesen Anforderungen genügt, da im Straßenverkehr generell die Gefahr besteht, in einen Unfall verwickelt zu werden.
Das Gericht stellt abschließend fest:
Die Alternative zu dieser Ansicht des Gerichts würde konsequenter Weise bedeuten, dass jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem PKW, sondern auch an seiner Kleidung befestigen könnte, dass jedermann permanent gefilmt und überwacht werden könnte und so das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung praktisch aufgegeben würde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 15.08.2014
Quelle: Amtsgericht München/ ra-online