21.11.2024
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Amtsgericht München Urteil16.02.2023

Reise­rücktritts­versicherung an Auskunft der eigens angebotenen medizinischen Stornoberatung gebundenVerweigerung der Kostenübernahme stellt eklatantem Widerspruch der eigenen AVB dar

Im Streit um Leistungen aus einem Reise­rücktritts­versi­che­rungs­vertrag verurteilte das Amtsgericht München eine Versicherung zur Zahlung der für die Stornierung einer Pauschalreise angefallenen Kosten in Höhe von 1.128 EUR.

Die Freundin der Klägerin hatte für sich und die Klägerin eine 5-tägige Pauschalreise nach Ibiza für September 2021 zu einem Gesamtpreis von 1.410 EUR gebucht und bei der Beklagten für beide eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen. Die Versi­che­rungs­be­din­gungen der Beklagten enthielten folgende Bestimmungen: „Ihr Service-Plus in der Stornokosten-Versicherung: „Ist Ihre Reise aufgrund von Krankheit, Unfall oder aus anderen Gründen gefährdet? Sind Sie sich unsicher, ob sie ihre Reise antreten können oder doch stornieren müssen? Unsere telefonische Stornoberatung gibt Ihnen hier die richtige Empfehlung. (…) Wir unterstützen Sie bei der Entscheidung, ob und wann sie ihre Reise stornieren sollten. (…) 14.3 Haben Sie die medizinische Stornoberatung eingeschaltet und A) empfiehlt diese, die Reise zu stornieren? Dann sind Sie verpflichtet, ihre Reise unverzüglich zu stornieren. Bei der seit 2017 an Morbus Basedow leidenden Klägerin wurde kurz vor Reisebeginn ein Knoten im Bereich der Schilddrüse festgestellt und als frühester Termin für die weitere medizinische Abklärung der Tag vor der geplanten Abreise angeboten. Die Ärztin der von der Klägerin daraufhin in Anspruch genommenen Medizinischen Stornoberatung der Beklagten riet telefonisch zur Stornierung der Reise, was beide umgehend taten. Die Beklagte verweigerte den von der Klägerin geltend gemachten Ersatz der Stornokosten und vertrat die Auffassung, die von ihr angebotene Medizinische Stornoberatung würde nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung beraten. Über die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein versichertes Ereignis vorläge, würde jedoch erst im Rahmen der Schaden­be­a­r­beitung befunden und entschieden.

AG: Anspruch auf Erstattung der Stornie­rungs­kosten gemäß Reiserücktritts-Versicherung

Das AG gab der Klage vollumfänglich statt und begründete dies wie folgt: Dabei kann vorliegend offenbleiben, ob eine unerwartete schwere Erkrankung im Sinne der AVB bei der Klägerin zum Stornie­rungs­zeitpunkt vorlag, welche zu einer so starken gesund­heit­lichen Beein­träch­tigung der Klägerin führte, dass diese die Reise nicht planmäßig antreten konnte. Denn jedenfalls hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Stornie­rungs­kosten gemäß der zwischen den Parteien am 02.07.2021 geschlossenen Reiserücktritts-Versicherung i. V. m. § 242 BGB. Die Beklagte muss sich nach dem Grundsatz des venire contra factum proprium an dem festhalten lassen, was die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung der Klägerin in dem Telefongespräch geraten hat. Zwar darf eine Partei ihre Rechtsansicht durchaus ändern, missbräuchlich ist wider­sprüch­liches Verhalten aber dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrau­en­s­tat­bestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines wider­sprüch­lichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Die Beklagte hat mit ihrer Beratung gegenüber der Klägerin einen Vertrau­en­s­tat­bestand geschaffen, dass die Stornierung der Reise den vertraglichen Voraussetzungen der Reise­rück­tritts­ver­si­cherung entspricht. In Ziffer 2.2 der AVB wird die Leistung der Medizinischen Stornoberatung dahingehend konkretisiert, dass eine Unterstützung bei der Entscheidung angeboten wird, ob und wann die Vertragspartei ihre versicherte Reise stornieren soll. Nach der offenen Formulierung dieser Vertrags­be­dingung ist mithin entgegen der Ansicht der Beklagten davon auszugehen, dass die Medizinische Stornoberatung nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung berät, sondern auch darüber, ob überhaupt ein Stornie­rungsgrund im Sinne einer unerwarteten schweren Erkrankung gegeben ist. Dies wird auch dadurch gestützt, dass es sich explizit um eine medizinische und nicht um eine allgemeine Stornoberatung handelt und Rücksprache mit Ärzten gehalten werden kann. Die Beklagte weist schließlich selbst im Versi­che­rungs­schein den Versi­che­rungs­nehmer darauf hin, dass die Medizinische Stornoberatung die „richtige“ Empfehlung gibt und empfiehlt die Durchführung bei Unsicherheiten über das Eintreten des Versi­che­rungsfalls.

Auskunft der Ärztin der Versicherung zuzurechnen

Wenn die Medizinische Stornoberatung der Beklagten, wie von der Beklagtenseite vorgetragen – keine Entscheidung darüber treffen kann, ob tatsächlich ein versichertes Ereignis vorliegt, muss dies gegenüber dem Versi­che­rungs­nehmer in der Beratung auch offengelegt werden und auf das Risiko einer abweichenden späteren Entscheidung der Beklagten über den Eintritt des Versi­che­rungsfalls hingewiesen werden. Wobei aus Sicht des Gerichts höchst fraglich ist, warum die Beklagte den Versi­che­rungs­nehmern ihre Medizinische Stornoberatung überhaupt als Entschei­dungs­grundlage empfiehlt, wenn sie selbst meint, sich an die Empfehlungen ihrer eigenen Beratung nicht halten zu müssen. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten steht in eklatantem Widerspruch zu Ziff. 2 und 14 ihrer eigenen AVB. Die Auskunft der Ärztin der Medizinischen Stornoberatung muss sich die Beklagte gemäß § 278 S. 1 BGB auch zurechnen lassen, sie hat sich dieser insoweit als Erfül­lungs­ge­hilfin bedient. Die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist mithin unvereinbar mit der späteren Verweigerung der Kostenübernahme durch die Beklagte mit der Begründung, es habe keine schwere unerwartete Erkrankung zum Stornie­rungs­zeitpunkt vorgelegen. Das Vertrauen der Klägerin in die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung der Beklagten ist auch schutzwürdig, die Klägerin konnte und durfte darauf vertrauen, dass die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung sie richtig sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt der Stornierung als auch im Hinblick darauf, ob ein Stornie­rungsgrund vorliegt, berät.“

Quelle: Amtsgericht München, ra-online (pm/ab)

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