Mit der von ihm vertretenen Auffassung widersprach der zuständige Richter des Amtsgerichts der Rechtsprechung der Mehrzahl der Oberlandesgerichte, darunter auch der des Oberlandesgerichts Hamm - der für sein Gericht zuständigen Revisionsinstanz (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 22.03.2011 - III-3 RBs 61/11 -). Diese Gerichte sehen in § 100 h Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage.
Die ausdrückliche Angabe eines die Fotoaufnahmen erlaubenden Gesetzes war durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Dieses hatte ausdrücklich entschieden, dass die Anfertigung von durchlaufenden Videoaufzeichnungen einer Rechtsgrundlage bedürfe, weil durch hoheitliche Bildaufnahmen in das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen werde. In einer späteren Entscheidung äußerte das Bundesverfassungsgericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Heranziehung des § 100 h StPO als Ermächtigungsgrundlage. Zugleich führte es aber aus, dass es nicht die Sache des Verfassungsgerichts sei, die Ermächtigungsgrundlage für einen Sachverhalt zu benennen, sondern dass dies der fachgerichtlichen Rechtsprechung obliege.
Der zuständige Richter am Amtsgericht Herford wiederum entnahm diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, dass er ohne weiteres abweichend von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu dem Ergebnis kommen könne, dass eine solche Ermächtigungsgrundlage in dem von ihm zu entscheidenden Fall nicht gegeben sei. Weiter führte er aus, dass sich die anderen Gerichte bislang auch immer nur mit der Frage des "Ob" der Zulässigkeit einer Bildaufnahme befasst hätten - nicht aber mit der weiteren Frage des "Wie" und des "Warum".
Es sei in der Rechtsprechung bislang nicht ausreichend diskutiert worden, ob und in welchem Umfang gesetzliche Maßnahmen und Regelungen erforderlich sind, um einen Missbrauch von Bildaufnahmen bei der Straßenverkehrsüberwachung zu verhindern. Es fehle also eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema der "Abzocke", insbesondere durch vollautomatische Überwachungsanlagen. Das Gericht kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es für Bildaufnahmen zur Überwachung des Straßenverkehrs keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gebe.
Zur Begründung seiner Entscheidung holte der Richter weit aus. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren sehe einen weiten Ermessenspielraum hinsichtlich der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vor. Das Verfahren sei deshalb anfällig für sachfremde Erwägungen. Deshalb müsse überprüft werden, ob und in welchem Umfang es verbindliche Regelungen gebe, wie das pflichtgemäße Ermessen ausgeübt werde. In den letzten Jahren, führte der Richter aus, habe er den Eindruck gewonnen, dass die Verkehrsüberwachung durch Überwachungsanlagen immer intensiver geworden sei.
In vielen Fällen werden Geschwindigkeitskontrollen außerhalb von Gefahrenstellen getätigt. In solchen Fällen lasse sich die Verfolgungstätigkeit der Ordnungsbehörden nur mit fiskalischen Gesichtspunkten erklären. Fiskalische Gesichtspunkte seien aber weder durch die Vorschriften der Polizeigesetze, der Ordnungsbehördengesetze oder Straßenverkehrsgesetze abgedeckt.
Insgesamt sei festzuhalten, dass die rechtliche Situation bei der Verkehrsüberwachung und Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten aufgrund von Bildaufnahmen völlig unbefriedigend sei. Für den Betroffenen liegen in juristischer Hinsicht keine "blühenden Landschaften" vor, sondern eher ein gesetzliches "Niemandsland". Bei dieser Ausgangssituation sei es erforderlich, bei der Prüfung einer Ermächtigungsgrundlage für Bildaufnahmen im Straßenverkehr einen strengen Maßstab anzulegen. Andernfalls würden nämlich die Grundrechte der Betroffenen entscheidend beeinträchtigt.
Der Richter führte weiter aus, er habe in den letzten Jahrzehnten kein einziges Mal erlebt, dass eine Bußgeldbehörde irgendwelche Überlegungen zu Grund und Anlass der Geschwindigkeitsmessungen aktenkundig gemacht hätte. Es sei auf gerichtliche Nachfrage lediglich die vage Auskunft erteilt worden, dass es am Kontrollpunkt einen "Unfallschwerpunkt" gebe. Das Gericht habe deshalb den Eindruck gewonnen, dass es sich dabei um "Leerformeln" handele.
Aus diesen Gründen sei es nicht ausreichend, § 110 h StPO als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen. Diese Vorschrift regele lediglich, dass solche Bildaufnahmen überhaupt zulässig seien. Es fehlen jedoch die erforderlichen Regelungen für weitere Einzelheiten.Überdies treffe § 100 h StPO zwar dem Wortlaut nach auf Bildaufnahmen im Straßenverkehr zu. Von der Entstehungsgeschichte bestehen aber Bedenken, aus dieser Vorschrift Überwachungsmaßnahmen im Straßenverkehr herzuleiten. Aus Sicht eines Betroffenen stelle sich die Anwendung dieses "Terroristenparagraphen" als justizpolitische Katastrophe dar. Es dürfte einem normalen Kraftfahrer nicht zu vermitteln sein, dass er bezüglich der Anfertigung von Bildaufnahmen auf die gleiche Stufe wie ein Schwerverbrecher gestellt werde.
§ 100 h StPO sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 lediglich in der Not herangezogen worden, keine bessere Vorschrift gefunden zu haben. Aus alledem sei ein Beweisverwertungsverbot zu folgern. Angesichts der großen wirtschaftlichen Bedeutung für die Bußgeldbehörden herrsche eine massive Missbrauchsgefahr, wenn unzulässige fiskalische Gründe für die Überwachungsmaßnahme in Betracht kommen. Nur bei der Annahme eines Beweisverwertungsverbotes könne im Übrigen erwartet werden, dass der Gesetzgeber die erforderlichen gesetzlichen Regelungen treffe. Für das Gericht sei nicht nachvollziehbar, dass bisher keine entsprechenden parlamentarischen Anstrengungen unternommen worden seien.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.03.2011
Quelle: ra-online, Amtsgericht Herford (vt/we)