21.11.2024
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Amtsgericht Herford Urteil08.12.2010

Amtsgericht Herford: Im Zweifel für den Raser - Messfotos aus Radarkontrolle sind nicht verwertbarMangels gesetzlicher Ermäch­ti­gungs­grundlage besteht für 'Blitzerfotos' ein Beweis­ver­wer­tungs­verbot

Das Amtsgericht Herford vertritt die Auffassung, dass im Rahmen von Radarkontrollen zur Ermittlung von Geschwin­dig­keits­ver­stößen im Straßenverkehr gefertigte Fotos des Pkw-Fahrers mangels einer gesetzlichen Ermäch­ti­gungs­grundlage vor Gericht nicht verwertbar sind. Für die gefertigten Fotos bestehe ein Beweis­er­he­bungs­verbot, welches aufgrund ausdrücklichen Widerspruchs des Fahrers zu einem Beweis­ver­wer­tungs­verbot im Gerichts­ver­fahren über die Verkehrs­ord­nungs­wid­rigkeit führe.

Mit der von ihm vertretenen Auffassung widersprach der zuständige Richter des Amtsgerichts der Rechtsprechung der Mehrzahl der Oberlan­des­ge­richte, darunter auch der des Oberlan­des­ge­richts Hamm - der für sein Gericht zuständigen Revisi­ons­instanz (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 22.03.2011 - III-3 RBs 61/11 -). Diese Gerichte sehen in § 100 h Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Straf­pro­zess­ordnung (StPO) eine ausreichende Ermäch­ti­gungs­grundlage.

Hoheitliche Bildaufnahmen von Bürgern sind ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Die ausdrückliche Angabe eines die Fotoaufnahmen erlaubenden Gesetzes war durch einen Beschluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts notwendig geworden. Dieses hatte ausdrücklich entschieden, dass die Anfertigung von durchlaufenden Video­auf­zeich­nungen einer Rechtsgrundlage bedürfe, weil durch hoheitliche Bildaufnahmen in das Recht der Bürger auf informationelle Selbst­be­stimmung eingegriffen werde. In einer späteren Entscheidung äußerte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken gegen die Heranziehung des § 100 h StPO als Ermäch­ti­gungs­grundlage. Zugleich führte es aber aus, dass es nicht die Sache des Verfas­sungs­ge­richts sei, die Ermäch­ti­gungs­grundlage für einen Sachverhalt zu benennen, sondern dass dies der fachge­richt­lichen Rechtsprechung obliege.

Amtsgericht Herford diskutiert erstmals das "Warum" der Geschwin­dig­keits­kon­trollen

Der zuständige Richter am Amtsgericht Herford wiederum entnahm diesen Entscheidungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, dass er ohne weiteres abweichend von der Rechtsprechung der Oberlan­des­ge­richte zu dem Ergebnis kommen könne, dass eine solche Ermäch­ti­gungs­grundlage in dem von ihm zu entscheidenden Fall nicht gegeben sei. Weiter führte er aus, dass sich die anderen Gerichte bislang auch immer nur mit der Frage des "Ob" der Zulässigkeit einer Bildaufnahme befasst hätten - nicht aber mit der weiteren Frage des "Wie" und des "Warum".

Geschwin­dig­keits­kon­trollen sind oftmals reine Abzocke

Es sei in der Rechtsprechung bislang nicht ausreichend diskutiert worden, ob und in welchem Umfang gesetzliche Maßnahmen und Regelungen erforderlich sind, um einen Missbrauch von Bildaufnahmen bei der Straßen­ver­kehrs­über­wachung zu verhindern. Es fehle also eine ernsthafte Ausein­an­der­setzung mit dem Thema der "Abzocke", insbesondere durch vollau­to­ma­tische Überwa­chungs­anlagen. Das Gericht kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es für Bildaufnahmen zur Überwachung des Straßenverkehrs keine ausreichende Ermäch­ti­gungs­grundlage gebe.

Verkehrs­über­wachung wird immer intensiver - aus Sicher­heits­gründen ...

Zur Begründung seiner Entscheidung holte der Richter weit aus. Das Ordnungs­wid­rig­kei­ten­ver­fahren sehe einen weiten Ermes­sen­s­pielraum hinsichtlich der Verfolgung von Ordnungs­wid­rig­keiten vor. Das Verfahren sei deshalb anfällig für sachfremde Erwägungen. Deshalb müsse überprüft werden, ob und in welchem Umfang es verbindliche Regelungen gebe, wie das pflichtgemäße Ermessen ausgeübt werde. In den letzten Jahren, führte der Richter aus, habe er den Eindruck gewonnen, dass die Verkehrs­über­wachung durch Überwa­chungs­anlagen immer intensiver geworden sei.

... oder doch eher aus rein finanziellen Gründen?

In vielen Fällen werden Geschwin­dig­keits­kon­trollen außerhalb von Gefahrenstellen getätigt. In solchen Fällen lasse sich die Verfol­gung­s­tä­tigkeit der Ordnungs­be­hörden nur mit fiskalischen Gesichtspunkten erklären. Fiskalische Gesichtspunkte seien aber weder durch die Vorschriften der Polizeigesetze, der Ordnungs­be­hör­den­gesetze oder Straßen­ver­kehrs­gesetze abgedeckt.

Statt blühender Landschaften herrscht gesetzliches Niemandsland

Insgesamt sei festzuhalten, dass die rechtliche Situation bei der Verkehrs­über­wachung und Verfolgung von Verkehrs­ord­nungs­wid­rig­keiten aufgrund von Bildaufnahmen völlig unbefriedigend sei. Für den Betroffenen liegen in juristischer Hinsicht keine "blühenden Landschaften" vor, sondern eher ein gesetzliches "Niemandsland". Bei dieser Ausgangs­si­tuation sei es erforderlich, bei der Prüfung einer Ermäch­ti­gungs­grundlage für Bildaufnahmen im Straßenverkehr einen strengen Maßstab anzulegen. Andernfalls würden nämlich die Grundrechte der Betroffenen entscheidend beeinträchtigt.

Bußgeldbehörden können ihre Kontrollen nicht begründen

Der Richter führte weiter aus, er habe in den letzten Jahrzehnten kein einziges Mal erlebt, dass eine Bußgeldbehörde irgendwelche Überlegungen zu Grund und Anlass der Geschwin­dig­keits­mes­sungen aktenkundig gemacht hätte. Es sei auf gerichtliche Nachfrage lediglich die vage Auskunft erteilt worden, dass es am Kontrollpunkt einen "Unfall­schwerpunkt" gebe. Das Gericht habe deshalb den Eindruck gewonnen, dass es sich dabei um "Leerformeln" handele.

§ 100 h StPO ist ein "Terro­ris­ten­pa­ragraph" - Keine Anwendbarkeit auf normale Kraftfahrer

Aus diesen Gründen sei es nicht ausreichend, § 110 h StPO als Ermäch­ti­gungs­grundlage heranzuziehen. Diese Vorschrift regele lediglich, dass solche Bildaufnahmen überhaupt zulässig seien. Es fehlen jedoch die erforderlichen Regelungen für weitere Einzelheiten.Überdies treffe § 100 h StPO zwar dem Wortlaut nach auf Bildaufnahmen im Straßenverkehr zu. Von der Entste­hungs­ge­schichte bestehen aber Bedenken, aus dieser Vorschrift Überwa­chungs­maß­nahmen im Straßenverkehr herzuleiten. Aus Sicht eines Betroffenen stelle sich die Anwendung dieses "Terro­ris­ten­pa­ra­graphen" als justiz­po­li­tische Katastrophe dar. Es dürfte einem normalen Kraftfahrer nicht zu vermitteln sein, dass er bezüglich der Anfertigung von Bildaufnahmen auf die gleiche Stufe wie ein Schwer­ver­brecher gestellt werde.

Amtsgericht kann mangelnde parla­men­ta­rische Anstrengungen nicht nachvollziehen

§ 100 h StPO sei nach der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 11.08.2009 lediglich in der Not herangezogen worden, keine bessere Vorschrift gefunden zu haben. Aus alledem sei ein Beweisverwertungsverbot zu folgern. Angesichts der großen wirtschaft­lichen Bedeutung für die Bußgeldbehörden herrsche eine massive Missbrauchs­gefahr, wenn unzulässige fiskalische Gründe für die Überwa­chungs­maßnahme in Betracht kommen. Nur bei der Annahme eines Beweis­ver­wer­tungs­verbotes könne im Übrigen erwartet werden, dass der Gesetzgeber die erforderlichen gesetzlichen Regelungen treffe. Für das Gericht sei nicht nachvollziehbar, dass bisher keine entsprechenden parla­men­ta­rischen Anstrengungen unternommen worden seien.

Quelle: ra-online, Amtsgericht Herford (vt/we)

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