21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss22.07.2022

Verwertung eines Geschwin­digkeits­mess­ergebnisses ohne Speicherung von Rohmessdaten verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein faires VerfahrenVerfassungs­beschwerde wegen Nichtbeachtung des Subsi­dia­ri­täts­grundsatz bereits unzulässig

Der Verfassung­sgerichts­hof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat eine Verfassungs­beschwerde zurückgewiesen, der eine Verurteilung wegen eines Geschwin­digkeits­verstoßes zugrunde lag.

Der Beschwer­de­führer war Betroffener in einem Bußgeld­ver­fahren, in dem ihm ein Geschwin­dig­keits­verstoß (Überschreitung der zulässigen Höchst­ge­schwin­digkeit außerhalb geschlossener Ortschaften nach Toleranzabzug um 70 km/h) vorgeworfen wurde. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines mobilen Messgerätes des Typs PoliScan Speed M1. Bei diesem Messgerät werden kontinuierlich Laserimpulse ausgesendet, die vom Fahrzeug reflektiert und vom Gerätesensor erfasst werden und aus denen die Gerätesoftware sodann Position und Geschwindigkeit des Fahrzeugs berechnet. Diese dem Rechenvorgang zugrun­de­lie­genden Positions- und Zeitdaten werden als Rohmessdaten bezeichnet und von dem Gerät PoliScan Speed M1 – wie auch von verschiedenen anderen Messgeräten – nicht dauerhaft, sondern nur bis zur Errechnung des Geschwin­dig­keits­wertes abgespeichert, obwohl eine dauerhafte Speicherung technisch möglich wäre.

Rohmessdaten gelöscht - Verstoß gegen Recht auf faires Verfahren

Während des Bußgeld­ver­fahrens begehrte der Beschwer­de­führer über seine Verteidigung die Überlassung verschiedener, nicht in der Bußgeldakte enthaltener Messunterlagen. Zudem stellte er – schon vor der Entscheidung der Bußgeldbehörde – einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Darüber hinaus machte er geltend, die Verwertung des ermittelten Geschwin­dig­keits­mess­wertes bei gleichzeitiger Löschung der Rohmessdaten verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Das Amtsgericht Wittlich verurteilte den Beschwer­de­führer im Juli 2020 wegen des Geschwin­dig­keits­ver­stoßes zu einer Geldbuße von 970,00 Euro und untersagte ihm für die Dauer von zwei Monaten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Seine gegen die amtsge­richtliche Entscheidung erhobene Rechts­be­schwerde verwarf das Oberlan­des­gericht Koblenz im Februar 2021. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwer­de­führer sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts als auch gegen den Beschluss des Oberlan­des­ge­richts und macht unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend. Seine Verurteilung basiere auf einem Messwert, der sich aus Rohmessdaten errechne, die aber nach der Messung vom Gerät gelöscht worden seien und damit zur nachträglichen Überprüfung nicht mehr herangezogen werden könnten. Darüber hinaus habe er Einsicht in verschiedene Dokumente und Unterlagen begehrt, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte seien. Die Ablehnung seines Einsichts­antrags stelle sich als eigenständiger Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren dar.

Verfas­sungs­be­schwerde bereits unzulässig - Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet

Nachdem der Verfas­sungs­ge­richtshof bereits im vergangenen Jahr einen Antrag des Beschwer­de­führers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hatte, blieb nunmehr auch die Verfas­sungs­be­schwerde ohne Erfolg. Was die vom Beschwer­de­führer begehrten, tatsächlich vorhandenen Unterlagen anbelange, erweise sich die Verfas­sungs­be­schwerde bereits als unzulässig. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfas­sungs­be­schwerde müsse der Beschwer­de­führer schon im fachge­richt­lichen Verfahren die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen, um eine Grund­rechts­ver­letzung zu verhindern. Hierzu gehöre auch, dass der Betroffene eines Ordnungs­wid­rig­kei­ten­ver­fahrens den Anspruch auf Zugäng­lich­machung der von ihm für erforderlich gehaltenen Daten und Unterlagen bereits gegenüber der Bußgeldstelle geltend mache und im Falle einer Verweigerung einen ord­nungs­gemäßen Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem zuständigen Amtsgericht stelle. Dies sei vorliegend unterblieben, da der anwaltlich vertretene Beschwer­de­führer schon vor der Entscheidung der Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Ent­scheidung gestellt habe, der in dieser (bedingten) Form nicht zulässig sei.

Rüge wegen Nichtspei­cherung der Rohmessdaten erfolglos

Hinsichtlich der gerügten Nichtspei­cherung der Rohmessdaten durch das Geschwin­dig­keits­messgerät bleibe die Verfas­sungs­be­schwerde in der Sache ohne Erfolg, da der Beschwer­de­führer hierdurch nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 77 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz verletzt werde. Aus dieser Gewährleistung folge im Grundsatz das Recht des Betroffenen eines Bußgeld­ver­fahrens, in tatsächlich vorhandene Unterlagen Einsicht zu nehmen. Auf diese Weise werde dem auch von dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht in jüngerer Zeit betonten Gedanken der „Waffen­gleichheit“ zwischen Bußgeldbehörde und Betroffenem Rechnung getragen und diesem die Möglichkeit eröffnet, selbst nach Entlas­tungs­mo­menten in Gestalt von Fehlern im standardisiert ablaufenden Messverfahren zu suchen. Der Gedanke der Waffen­gleichheit komme im Falle der tatsächlich nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten allerdings nicht zum Tragen, da die Rohmessdaten weder dem Betroffenen, noch der Bußgeldstelle, der Staats­an­walt­schaft oder dem Gericht zur Verfügung stünden.

Kein Recht auf zwingende Speicherung der Rohmessdaten

Der Beschwer­de­führer könne aus dem Recht auf ein faires Verfahren aber auch nicht für sich herleiten, dass bei standa­r­di­sierten Messverfahren, zu denen auch die vorliegende Geschwin­dig­keits­messung zähle, Rohmessdaten zwingend gespeichert werden müssten. Das Recht auf ein faires Verfahren schütze den Einzelnen davor, dass rechts­­staatlich Unverzichtbares preisgegeben werde und stelle damit verfas­sungs­rechtliche Minde­st­an­for­de­rungen auf, die vorliegend nicht unterschritten worden seien. Denn die Nichtspei­cherung der Rohmessdaten, deren Nutzen für eine nachträgliche Überprüfung des Messergebnisses im technisch-fachwis­sen­schaft­lichen Schrifttum ohnehin umstrit­ten sei, werde durch verschiedene rechts­s­taatliche Sicherungen hinreichend ausge­glichen. Zum einen stelle ein mehrstufiges Zulassungs- bzw. Konfor­mi­täts­prü­fungs­­­ver­fahren sicher, dass das Messgerät den Anforderungen des Mess- und Eichrechts entspreche. Dadurch werde die Überprüfung des einzelnen Geschwin­dig­keits­mess­wertes gleichsam auf das Messgerät selbst und sein Zulas­sungs­ver­fahren vorverlagert.

Vorgang der Geschwin­dig­keits­messung nachträglich überprüfbar

Zum anderen werde die fehlende vollständige Überprüfbarkeit des Messergebnisses durch die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen die system­im­ma­nenten Messfehler erfassenden Toleranzwert kompensiert. Schließlich bestünden verschiedene weitere Möglichkeiten des Betroffenen und seines Verteidigers, den Vorgang der Geschwin­dig­keits­messung nachträglich einer Überprüfung zu unterziehen, da ihm nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts wie auch des Verfas­sungs­ge­richtshofs Rheinland-Pfalz auf seinen ordnungsgemäßen Antrag hin vorhandene Unterlagen und Informationen mit erkennbarer Relevanz für die Verteidigung regel­mäßig zur Verfügung gestellt werden müssten.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)

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