21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss27.10.2022

Herausgabe von Unterlagen zu Geschwin­digkeits­messgeräten nur bei Relevanz für die VerteidigungBeschwer­de­führer trotzdem zum zweiten Mal erfolgreich

Der Verfassungs­gerichts­hof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat einer Verfassungs­beschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwin­digkeits­verstoßes zugrunde lag.

Der Beschwer­de­führer war Betroffener in einem Bußgeldverfahren, in dem ihm ein Geschwin­dig­keits­verstoß vorgeworfen wurde. Die Geschwin­dig­keits­messung erfolgte mittels eines in einem Anhänger (sog. Enforcement Trailer) eingebauten Messgerätes. Nachdem der Beschwer­de­führer gegen den Bußgeldbescheid aus dem Jahr 2018 Einspruch eingelegt und Einsicht in verschiedene Unterlagen zu Messung und Messgerät begehrt hatte, kam es im Februar 2019 zu einer Haupt­ver­handlung vor dem Amtsgericht Wittlich, das den Beschwer­de­führer zu einer Geldbuße in Höhe von 120 Euro verurteilte. Sein Antrag auf Zulassung der Rechts­be­schwerde blieb bei dem Oberlan­des­gericht Koblenz ohne Erfolg. Eine erste Landes­ver­fas­sungs­be­schwerde des Beschwer­de­führers hatte seinerzeit teilweise Erfolg. Der Verfas­sungs­ge­richtshof Rheinland-Pfalz hob die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Koblenz wegen eines Verstoßes gegen die Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und den gesetzlichen Richter auf, da das Oberlan­des­gericht im Rechts­mit­tel­ver­fahren die uneinheitliche oberge­richtliche Rechtsprechung zum Recht auf Einsichtnahme in die Aufbauanleitung eines Messgerätes nicht berücksichtigt habe. In der Folgezeit hob das Oberlan­des­gericht Koblenz das Urteil des Amtsgerichts Wittlich auf. Es kam zu einer erneuten Haupt­ver­handlung, die Gegenstand der vorliegenden Verfas­sungs­be­schwerde ist. Auch in diesem zweiten Verfahren begehrte der Beschwer­de­führer Einsicht in verschiedene, nicht in der Bußgeldakte enthaltene Unterlagen, unter anderem in die Reparatur- und Wartungs­nachweise des Messgeräts sowie in die sog. Case-List bzw. Statistikdatei, die Informationen über die Anzahl der vom Messgerät erfassten Fahrzeuge und Geschwin­dig­keits­über­schrei­tungen sowie über vom Gerät selbständig verworfene Geschwin­dig­keits­mes­sungen enthält. Beide Einsichts­anträge blieben wiederum ohne Erfolg; das Amtsgericht Wittlich verurteilte den Beschwer­de­führer erneut wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße, nunmehr - aufgrund der Verfahrensdauer - in Höhe von 80 Euro. Seine gegen die amtsge­richtliche Entscheidung erhobene Rechts­be­schwerde verwarf das Oberlan­des­gericht Koblenz. Mit seiner erneuten Verfas­sungs­be­schwerde wandte sich der Beschwer­de­führer gegen die ergangenen Entscheidungen des Amtsgerichts Wittlich sowie des Oberlan­des­ge­richts Koblenz. Er machte unter anderem geltend, die Nicht­über­lassung der Reparatur- und Wartungs­nachweise des Messgeräts sowie der Case-List bzw. Statistikdatei verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren.

Anspruch auf Einsicht nur bei erkennbarer Relevanz für die Verteidigung

Auch diese Verfas­sungs­be­schwerde hatte nun Erfolg. Allerdings verstoße das Urteil des Amtsgerichts Wittlich nicht schon deshalb gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 77 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -), weil dem Beschwer­de­führer keine Einsichtnahme in die Case-List bzw. Statistikdatei ermöglicht worden sei. Zwar folge aus dem Recht auf ein faires Verfahren im Grundsatz der Anspruch des Betroffenen eines Bußgeld­ver­fahrens, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die - wie etwa die Case-List bzw. Statistikdatei - nicht zur Bußgeldakte genommen wurden, da hierdurch dem Gedanken der "Waffen­gleichheit" Rechnung getragen werde. Allerdings bestehe ein solcher Anspruch nicht unbegrenzt, da gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungs­wid­rig­keiten eine sachgerechte Eingrenzung des Infor­ma­ti­o­ns­zugangs erforderlich sei. Das Einsichtsrecht bestehe nur für eine solche Information, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungs­wid­rig­kei­ten­vorwurf stehe und eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufweise. Ein Dokument, dem bei objektiver Betrachtung ganz offensichtlich keine Bedeutung für die Verteidigung zukomme, müsse daher nicht zur Verfügung gestellt werden, auch wenn der Betroffene dies anders beurteile. Die Case-List bzw. Statistikdatei gebe zwar Auskunft über die Anzahl der vom Messgerät in einem bestimmten Zeitraum insgesamt festgestellten Geschwin­dig­keits­über­schrei­tungen und der erfassten Fahrzeuge, diese Informationen ließen aber ersichtlich keine Rückschlüsse auf die Messgenauigkeit bzw. Messrichtigkeit der (nicht annullierten) konkreten Einzelmessung zu. Selbst eine hohe Annul­la­ti­o­nsrate gebe keinen Hinweis auf fehlerhafte oder auffällige Messungen. Sie sei vielmehr gerade Ausdruck einer funkti­o­nie­renden Quali­täts­prüfung durch das Gerät selbst.

Einsicht in Reparatur- und Wartungs­un­terlagen muss aber gewährt werden

Die Verfas­sungs­be­schwerde sei aber deswegen erfolgreich, weil dem Beschwer­de­führer keine umfassende Auskunft zu den Reparatur- und Wartungs­un­terlagen des konkreten Messgerätes - auch über den Tag der Messung hinaus - erteilt worden sei. Anders als die Case-List bzw. Statistikdatei seien diese Informationen zur Aufdeckung einer Funkti­o­ns­be­ein­träch­tigung des Messgerätes nicht schlechthin ungeeignet.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)

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