18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss05.02.2015

Baustellen-Lärm: Behörde muss bei Überschreitung von Richtwerten zum Schutz von Nachbarn einschreitenBaustellen-Betrieb kann bei wiederholter und hartnäckiger Missachtung behördlicher Anordnungen vorläufig untersagt werden

Überschreitet Lärm von einer Baustelle die in der Allgemeinen Verwaltungs­vor­schrift zum Schutz gegen Baulärm vom 19. August 1970 (AVV Baulärm) festgelegten "Eingreif-Richtwerte" an der Wohnung eines Nachbarn, muss die Immissions­schutz­behörde auf Antrag des Nachbarn geeignete Maßnahmen zur Begrenzung des Baulärms anordnen, deren Auswahl in ihrem Ermessen steht. Der Nachbar kann aber konkrete Einzelmaßnahmen verlangen, wenn sich behördlich angeordnete Maßnahmen als unwirksam erweisen. Missachtet der Bauherr vollziehbare behördliche Anordnungen wiederholt und hartnäckig, kann auch der Betrieb der Baustelle vorläufig untersagt werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Verwaltungs­gerichts­hofs Baden-Württemberg hervor.

Die beigeladenen Bauherrinnen des zugrunde liegenden Verfahrens errichten auf dem ehemaligen Flugfeld in Böblingen fünf Mehrfa­mi­li­en­häuser nebst Tiefgarage und Stellplätzen. Die Antragstellerin ist Mieterin einer Wohnung im 4. OG eines Gebäudes neben der Großbaustelle in einem Mischgebiet (Gewerbe/Wohnen). Sie beschwerte sich seit Baubeginn über unzumutbaren Lärm. Der Antragsgegner ordnete Maßnahmen zur Lärmminderung an, setzte die in der AVV Baulärm für Mischgebiete festgelegten Immissions-Richtwerte fest (60 dB(A) tags von 7 bis 20 Uhr, 45 dB(A) nachts von 20 bis 7 Uhr) und drohte den Beigeladenen bei Nichtbefolgung der angeordneten Maßnahmen Zwangsgelder von 1.000 bis 1.500 Euro an. Die Antragstellerin rügte anschließend, die Beigeladenen setzten die Anordnungen ungenügend um; die Immissions-Richtwerte würden fortlaufend überschritten. Sie beantragte daher beim Verwal­tungs­gericht Stuttgart eine einstweilige Anordnung mit weitergehenden Maßnahmen zur Lärmminderung.

Bauherrin muss wöchentlich Lärmprognosen sowie Maßnah­men­katalog zur Minderung des Baulärms vorlegen

Das Verwal­tungs­gericht lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Antragstellerin fehle das Rechts­schutz­be­dürfnis, weil die Behörde bereits geeignete Maßnahmen ergriffen habe. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Bade-Württemberg ist dem nicht gefolgt und hat den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung u.a. dazu verpflichtet, sich von den Beigeladenen wöchentlich Lärmprognosen sowie einen Maßnah­men­katalog zur Minderung des Baulärms auf zulässige Richtwerte vorlegen zu lassen, und bei Überschrei­tungen der Lärm-Richtwerte die Bauarbeiten vorläufig einzustellen, sofern der Baulärm nicht nachweislich unvermeidbar ist.

Zulässigen Lärmwerte in Mischgebiet wurden hartnäckig und für beträchtliche Zeitdauer überschritten

Die Antragstellerin habe Anspruch darauf, dass die Immis­si­ons­schutz­behörde gegenüber den Bauherrinnen weitere geeignete Maßnahmen zur Lärmminderung anordne, weil die bisher angeordneten Maßnahmen ohne durchgreifenden Erfolg geblieben seien. Die Behörde habe nach dem Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­gesetz (BImSchG) zwar grundsätzlich ein Ermessen, ob und mit welchen Mitteln sie nach diesem Gesetz einschreite und ob sie einen Baustopp anordne. Dieses Ermessen sei hier aber zugunsten der Antragstellerin "auf Null reduziert". Die Bauherrinnen hätten die nach der AVV Baulärm in einem Mischgebiet zulässigen Lärmwerte hartnäckig und für eine beträchtliche Zeitdauer überschritten. Das sei durch zahlreiche schall­tech­nische Messungen nachgewiesen. Die Antragstellerin werde dadurch irreversibel Lärmimmissionen ausgesetzt, die sich zumindest an der Grenze zur Gesund­heits­gefahr bewegten. Der Grundsatz effektiven Rechtschutzes gebiete daher, die Immis­si­ons­schutz­behörde zu einem weitergehenden Einschreiten zu verpflichten und ihr auch konkrete Einzelmaßnahmen aufzugeben.

Hinweis zur weiteren Verfah­ren­s­ent­wicklung:

Erläuterungen
Die Antragstellerin hat nach dem Beschluss des Verwal­tungs­ge­richtshofs beantragt, gegen das Landratsamt ein Zwangsgeld anzudrohen, weil es die einstweilige Anordnung des Verwal­tungs­ge­richtshofs nicht richtig umsetze. Das Verwal­tungs­gericht hat diesen Vollstre­ckungs­antrag abgelehnt. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat die dagegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 29. Mai 2015 überwiegend zurückgewiesen, weil das Landratsamt der Anordnung umfassend nachkomme. Er hat lediglich ein Zwangsgeld von 200 Euro angedroht, weil das Landratsamt und die beauftragte Gutachterin die einstweilige Anordnung des VGH in einer einzelnen Rechtsfrage falsch auslegten (Az. 10 S 835/15).

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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