21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil03.04.2012

Liturgisches Glockengeläut am frühen Morgen für Anwohner zumutbarVerwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg verneint Verletzung von Grundrechten der Anwohner

Anwohner einer Kirche ist zweiminütiges liturgisches Glockengeläut werktags um 6 Uhr nach dem Bundes­immissions­schutzgesetz zumutbar, und zwar auch unter Berück­sich­tigung seiner Grundrechte, insbesondere der Religi­o­ns­freiheit. Dies entschied der Verwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg.

Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls bewohnt ein ca. 68 m von der Konradskirche in Remshalden-Geradstetten entferntes Wohnhaus. Die Beklagte läutet an jedem Werktag um 6 Uhr zwei Minuten lang die große Betglocke im Kirchturm. Der Kläger, der selbst Mitglied in der evangelischen Landeskirche ist, sah sich durch das Glockengeläut in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere in seiner Religionsfreiheit. Er werde gezwungen, ein akustisches religiöses Zeichen zu hören. Verfrühtes Glockengeläut störe ihn auch beim Lesen der Bibel oder der Meditation; vor Sonnenaufgang wohne dem Glockenläuten ein heidnisches, der Abwehr böser Geister dienendes Element inne. Die Beklagte berief sich auf ihr kirchliches Selbst­be­stim­mungsrecht und ihre Religi­o­ns­freiheit. Das morgendliche Geläut sei Zeichen für den Tagesbeginn mit Gott; dieser Brauch werde seit langem gepflegt und sei sozial angemessen.

Anwohner klagt auf Unterlassung des Glockenläutens

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, die Glocken im Kirchturm täglich zwischen 6 und 8 Uhr zu läuten oder läuten zu lassen. Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart verneinte einen solchen Unter­las­sungs­an­spruch. Dem schloss sich der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg im Ergebnis an.

Glockengeläut ist keine schädliche Umwelt­ein­wirkung im Sinne des Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­ge­setzes

Das Gericht stellt zunächst fest, dass es nicht um eine innerkirchliche Angelegenheit gehe, die der Zuständigkeit staatlicher Gerichte entzogen wäre. Der Kläger fühle sich nicht als Kirchenmitglied gestört. Er sehe im Glockengeläut vielmehr eine akustische Beein­träch­tigung seiner persönlichen, auch von religiösen Vorstellungen getragenen Ruhe. Insoweit stehe ihm aber auch unter besonderer Berück­sich­tigung seiner Grundrechte kein öffentlich-rechtlicher Unter­las­sungs­an­spruch nach dem Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­gesetz zu. Das Glockengeläut sei keine schädliche Umwelt­ein­wirkung im Sinne dieses Gesetzes. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die damit verbundenen Immissionen Schwellenwerte der Technischen Anleitung (TA) Lärm überschritten. Die Immissionen seien zudem herkömmlich, sozial angemessen und allgemein akzeptiert. Die TA Lärm schütze die Nachtruhe grundsätzlich nur bis 6 Uhr.

Kirche übt mit Glockengeläut ebenfalls verfas­sungs­rechtlich geschützte eigene Rechte aus

Anderes ergebe sich nicht unter Berück­sich­tigung der Grundrechte des Klägers. Das Glockengeläut berühre zwar seine Religi­o­ns­freiheit. Diese Einwirkung gehe aber nicht vom Staat aus. Der Staat sei auch nicht verpflichtet, zum Schutz der Religi­o­ns­freiheit des Klägers gegen die Beklagte einzuschreiten. Die Beklagte übe mit dem Glockengeläut ebenfalls verfas­sungs­rechtlich geschützte eigene Rechte aus. Die wider­strei­tenden grund­recht­lichen und staats­kir­chen­recht­lichen Gewähr­leis­tungen seien daher in einer Abwägung schonend auszugleichen. Dieser schonende Ausgleich liege in der Beachtung der immis­si­ons­schutz­recht­lichen Schwellenwerte. Ein weitergehender Immis­si­ons­schutz vor Glaubens- und Bekennt­nis­be­kun­dungen der Beklagten stehe dem Kläger nicht zu. Denn dies würde der laizistischen Weltanschauung einen mit der Religi­o­ns­freiheit unvereinbaren Vorrang gegenüber anderen Weltan­schauungen einräumen. Im Übrigen verbleibe dem Kläger schon wegen der Kürze des Läutens der größte Teil der Zeit zwischen 6 und 8 Uhr zu ruhiger Schriftlesung und Meditation. Schließlich geböten auch das Eigen­tums­grundrecht, das Grundrecht der Unver­letz­lichkeit der Wohnung und der allgemeine Gleichheitssatz oder eines der speziellen grund­recht­lichen Diskri­mi­nie­rungs­verbote keine abweichende Würdigung.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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