24.11.2024
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil07.07.2006

Muslimische Lehrerin darf weiter Kopftuch tragenVerbot wäre Ungleich­be­handlung gegenüber dem christlichen Glauben

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hat der Klage einer Stuttgarter Lehrerin gegen das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart - Schule und Bildung -, wegen der dienstlichen Weisung vom 08.12.2004, ihren Dienst in der Schule ohne Kopfbedeckung zu versehen, stattgegeben.

Die Klägerin ist seit 1973 im Schuldienst des Landes und unterrichtet seit 1976 an einer Grund- und Hauptschule in Stuttgart-Bad Cannstatt. 1984 trat sie zum Islam über. Seit 1995 trägt sie auch während des Dienstes ein Kopftuch. Im Juni 2000 wies das (vormals zuständige) Oberschulamt die Klägerin an, ihren Dienst immer dann ohne Kopfbedeckung zu versehen, wenn sie in Kontakt mit Schülerinnen und Schülern sei. Mit Wider­spruchs­be­scheid vom Februar 2002 wurde ihr Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin erhob hiergegen Klage vor dem Verwal­tungs­gericht Stuttgart. Nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide durch das Oberschulamt stellte das Verwal­tungs­gericht das Verfahren am 28.12.2004 ein.

Mit Verfügung vom 08.12.2004 wies das Oberschulamt die Klägerin aufgrund des (geänderten) § 38 Absatz 2 Satz 1 und 2 Schulgesetz erneut an, ihren Dienst in der Schule ohne Kopfbedeckung zu versehen. Mit dem Tragen ihrer Kopfbedeckung, so das Oberschulamt, gebe die Klägerin eine äußere Bekundung ab, die geeignet sei, die Neutralität des Landes gegenüber den Schülern und Eltern und den politischen sowie den religiösen und weltan­schau­lichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Ihr dagegen wiederum eingelegter Widerspruch wurde mit Wider­spruchs­be­scheid vom 27.09.2005 zurückgewiesen. Die Klägerin erhob am 26.10.2005 Klage. Sie ist der Auffassung, durch das Tragen des ähnlich der Form einer Mütze gebundenen, den Halsbereich nicht bedeckenden Kopftuchs gebe sie keine Bekundung mit politischem, religiösem oder weltan­schau­lichem Erklä­rungs­inhalt ab. Die Kopfbedeckung trage auch keine abstrakte Gefahr der Störung des Schulfriedens in sich oder gefährde gar die Neutralität des Staates. Weiter verstoße die Weisung gegen den Gleich­heits­grundsatz, wonach niemand wegen seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe, denn das beklagte Land schreite u.a. nicht gegen Ordens­schwestern ein, die an der staatlichen Grundschule in Baden-Baden-Lichtental in Ordenstracht allgemein bildende Fächer unterrichteten. Das beklagte Land hat dies eingeräumt, ist aber der Auffassung, die Ordenstracht stelle eine christliche Tradition dar, weil die Orden in der geschichtlichen Entwicklung Europas insbesondere im Bereich Bildung und Wohlfahrts­pflege kultur­schöp­ferisch gewirkt hätten. § 38 Absatz 2 Satz 3 SchulG, der die Wahrnehmung des Erzie­hungs­auftrags nach der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen vom Verbot religiöser Bekundungen durch Lehrkräfte im Unterricht ausnehme, sei nach dem Willen des Gesetzgebers gerade auf die Ordenstracht anzuwenden.

Die 18. Kammer hob die angefochtene dienstliche Weisung mit der Begründung auf, die Klägerin werde gleich­heits­widrig in der Praxis der Rechtsanwendung des § 38 Absatz 2 SchulG verletzt. Es bestünden zwar an der Rechtmäßigkeit der Vorschrift und ihrer Vereinbarkeit mit übergeordneten Regelungen (Grundgesetz -GG-, Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten -EMRK-) keine Zweifel und die Klägerin verstoße durch das Tragen des Kopftuchs im Unterricht auch gegen das Verbot religiöser Bekundungen, durch die Zulassung des Unterrichts durch Nonnen in Ordenstracht an staatlichen Schulen in anderen Landesteilen werde die Klägerin aber in ihrem Anspruch auf strikte Gleich­be­handlung der verschiedenen Glaubens­rich­tungen bei Durchsetzung des Verbots und damit in Art. 3 Absatz 1 und 3 GG und Art. 14 EMRK verletzt. Auch das Ordenshabit sei eine eindeutig religiös motivierte Kleidung und nicht nur ein aus Tradition ohne religiöses Bekenntnis getragenes Kleidungsstück. § 38 Absatz 2 Satz 3 SchulG lasse entgegen der Auffassung des beklagten Landes eine Privilegierung christlicher Glaubens­be­kenntnisse nicht zu.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht habe mit Urteil vom 24.06.2004 klargestellt, dass diese Landes­vor­schrift lediglich die Vermittlung der aus der christlich-abendländischen Kultur hervor­ge­gangenen Werte (u.a. Menschenrechte, Handlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie humanitäre Werte) regle, das Erfordernis einer von Glaubens­in­halten losgelösten Vermittlung dieser Wertewelt aber nicht beseitige. Dies entspreche auch der Rechts­auf­fassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, das in seinem zu den Art. 15 bis 17 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, die sich mit Charakter und Prägung der öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg befassten, ergangenen Beschluss vom 17.12.1975 entsprechend entschieden habe.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 07.07.2006

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