15.11.2024
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Dokument-Nr. 29384

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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss29.10.2020

Corona-Pandemie: Pirmasenser Zeitung hat keinen Anspruch auf Auskunft über Infek­ti­o­ns­zahlen in OrtsgemeindenSchutz privater Interessen gebührt Vorrang vor Auskunfts­an­spruch der Presse

Die Pirmasenser Zeitung hat gegenüber dem Landkreis Südwestpfalz keinen Anspruch auf Auskunft über die Corona-Infek­ti­o­ns­zahlen aufgeschlüsselt nach den einzelnen Ortsgemeinden des Landkreises Südwestpfalz. Das hat das Verwal­tungs­gericht Neustadt/Wstr. mit Beschluss vom 29.10.2020 entschieden.

Die Antragstellerin ist Herausgeberin der in Pirmasens erscheinenden Regionalzeitung "Pirmasenser Zeitung". Ihren beim Landkreis Südwestpfalz (im Folgenden: Antragsgegner) gestellten Antrag, ihr die Corona-Infek­ti­o­ns­zahlen aufgeschlüsselt nach den einzelnen Ortsgemeinden des Landkreises Südwestpfalz mitzuteilen, lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, auf Empfehlung des Landes­da­ten­schutz­be­auf­tragten würden keine Infek­ti­o­ns­zahlen auf Ebene der Ortsgemeinde bekanntgegeben.

Zeitung beruft sich auf Selbst­be­stim­mungsrecht der Presse

Am 26. Oktober 2020 hat die Antragstellerin um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz mit der Begründung nachgesucht, es sei ein Infor­ma­ti­o­ns­be­dürfnis der Bürger über das Infek­ti­o­ns­ge­schehen in ihrem Heimatort und regionalen Umfeld vorhanden, und zwar nicht nur aus Neugierde, sondern auch deshalb, weil sich jeder dann besser schützen könne, wenn er wisse, ob evtl. ein Infek­ti­o­ns­ge­schehen im direkten Umfeld vorhanden sei. Mit den erwünschten Auskünften sei eine individuelle Zuordnung von Zahlen zu konkret Betroffenen auch in kleinen Ortsgemeinden nicht möglich. Die begehrte Aufschlüsselung führe auch nicht dazu, dass aus der Berich­t­er­stattung Rückschlüsse auf bestimmte Personen möglich seien. Sie berufe sich auf das grund­ge­setzliche geschützte Selbst­be­stim­mungsrecht der Presse.

Kein presse­recht­licher Auskunfts­an­spruch

Das VG hat den Eilantrag des Antragstellers mit folgender Begründung abgelehnt: Die Antragstellerin habe keinen presse­recht­lichen Auskunftsanspruch gegen den Antragsgegner auf Erteilung der begehrten Auskünfte über die Gesamtzahl der seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie dokumentierten Infek­ti­o­ns­zahlen, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Ortsgemeinden bzw. entsprechende Zahlen aktiver Infektionen im Landkreis Südwestpfalz.

Keine Bewertung und Gewichtung des Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses der Presse

Die Antragstellerin könne sich für ihr Begehren zunächst ohne Weiteres auf den grundgesetzlich geschützten Auskunfts­an­spruch der Presse stützen, indem sie darauf hinweise, dass gebietsbezogene Informationen zu den Corona-Fallzahlen aktuell auf ein sehr hohes öffentliches Interesse treffen. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass vielfach diskutierte Eindäm­mungs­stra­tegien derzeit auch an aktuelle, gebietsbezogene Infek­ti­o­ns­fa­ll­zahlen anknüpften. Damit böten die umstrittenen Daten zweifellos eine Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung. Zwar veröffentliche das zuständige Gesund­heits­mi­nis­terium des Landes Rheinland-Pfalz nur Zahlen auf der Ebene der Landkreise. Es müsse allerdings der Presse unbenommen bleiben, selbst zu entscheiden, welche Datengrundlage sie für ihre Berich­t­er­stattung heranziehe. Eine Bewertung und Gewichtung des Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses der Presse komme grundsätzlich nicht in Betracht.

Größe der Gemeinden macht Bestimmbarkeit der Infizierten möglich

Jedoch könne der Antragsgegner die begehrten Auskünfte verweigern, wenn ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde. Dies sei hier der Fall. Die Kammer sehe eine beachtliche Gefahr, dass die Veröf­fent­lichung der Infek­ti­o­ns­zahlen auf Ortsge­mein­deebene zu einer Bestimmbarkeit der betroffenen Personen führen werde. Maßgeblich dafür sei vor allem die äußerst kleinteilige Gemein­de­struktur im Landkreis Südwestpfalz. So hätten die betreffenden Ortsgemeinden etwa in den Verbands­ge­meinden Thaleischweiler-Wallhalben oder Hauenstein zum Teil weniger als 200 Einwohner, die Ortsgemeinde Hirschthal in der Verbands­ge­meinde Dahner Felsenland habe sogar weniger als 100 Einwohner. Dementsprechend gering seien die Infek­ti­o­ns­zahlen. Angesichts dessen sei es nicht nur wahrscheinlich, dass infizierte Personen in den kleinteiligen Gemeinden insbesondere über den Austausch in sozialen Netzwerken bestimmbar seien, sondern dass von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht werde.

Schutzanspruch der Betroffenen gegenüber Infor­ma­ti­o­nsrecht der Presse vorrangig

Die bisherige Entwicklung seit dem Ausbruch der Pandemie habe nämlich gezeigt, dass im Zuge der zunehmend angespannten politischen Diskussion über den richtigen Umgang auch immer wieder versucht worden sei, anknüpfend an Statistiken darüber zu spekulieren, ob sich infizierte bzw. unter Quarantäne stehende Einzelpersonen, einzelne Familien oder auch bestimmte Gruppen - möglicherweise zu Unrecht - nicht an die vorge­schriebenen bzw. empfohlenen Vorsichts­maß­nahmen hielten. Gerade die sehr geringen (absoluten) Infek­ti­o­ns­zahlen in den maßgeblichen kleinen pfälzischen Ortsgemeinden könnten zu einer solchen Vorgehensweise herausfordern. Damit setze sich der Schutzanspruch der Betroffenen hier gegenüber dem Infor­ma­ti­o­nsrecht der Presse durch.

Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt, ra-online (pm/aw)

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