21.11.2024
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Dokument-Nr. 29333

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Beschluss15.10.2020Verwaltungsgericht Neustadt5 L 827/20.NW
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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss15.10.2020

Keine Befreiung vom Präsen­z­un­terricht für Internatschüler wegen der Corona-Pandemie

Ein Internatschüler einer Schule in Kaiserslautern hat keinen Anspruch auf Befreiung vom Präsen­z­un­terricht und Erteilung von Fernunterricht wegen der Corona-Pandemie. Das hat das Verwal­tungs­gericht Neustadt/Wstr. entschieden.

Der aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz stammende Antragsteller besucht als Inter­nats­schüler eine Klasse hochbegabter Schülerinnen und Schüler in einem Gymnasium in Kaiserslautern. Mitte September 2020 beantragte er die Befreiung vom Präsenzunterricht und die Erteilung von Fernunterricht mit der Begründung, er leide an Asthma bronchiale und gehöre daher zu einer Risikogruppe für die Erkrankung COVID-19. Gleiches gelte für Angehörige des Antragstellers, bei denen teilweise erhebliche Vorerkrankungen vorlägen.

Schüler sieht gesundheitliche Gefahren im Präsen­z­un­terricht

Diesen Antrag lehnte das Land Rheinland-Pfalz ab, woraufhin der Antragsteller um vorläufigen gerichtlichen Rechtschutz nachsuchte. Zur Begründung führte er aus, das von der Schule vorgelegte spezielle Konzept („geschützter Präsen­z­un­terricht“) sei nicht geeignet, den gesund­heit­lichen Gefahren und den pädagogischen und psychologischen Anforderungen gerecht zu werden. Da er eine Schule für Hochbegabte besuche, sei er eigenständiges Lernen gewohnt und könne Aufgaben zu Hause allein bearbeiten und anschließend der Schule übermitteln. Eine Entfremdung von der Klassen­ge­mein­schaft sei nicht zu befürchten, da er gut integriert sei und zwischen­zeitlich Kontakte pflege. Gefährdungen sei er nicht nur in der Schule ausgesetzt, sondern auch auf dem Weg von seinem weiter entfernten Heimatort nach Kaiserslautern in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Gericht lehnt Eilantrag des Schülers ab

Die 5. Kammer des Gerichts hat den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt. Ein Anspruch des Antragstellers darauf, aus gesund­heit­lichen Gründen vom Präsen­z­un­terricht befreit zu werden, folge nicht aus der derzeit geltenden 11. Corona-Bekämp­fungs­ver­ordnung Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem „Hygieneplan-Corona für die Schulen in Rheinland-Pfalz“.

Schul­be­suchs­pflicht entfällt nur, wenn ein Arzt feststellt, dass der Schüler nicht schul­be­suchsfähig ist

Die Schul­be­suchs­pflicht entfalle nur für solche Schülerinnen und Schüler, die nicht schul­be­suchsfähig seien. Diese Voraussetzung habe der Antragsteller aber auch unter Berück­sich­tigung des vorgelegten ärztlichen Attests vom 7. Oktober 2020 nicht hinreichend nachgewiesen. Die Prüfung der Schul­be­suchs­fä­higkeit unter Pande­mie­be­din­gungen erfolge im Fall von Schülerinnen und Schülern mit Grunde­r­kran­kungen bzw. mit Angehörigen mit risikoer­hö­henden Grunde­r­kran­kungen nach den Vorgaben des „Hygieneplan-Corona für die Schulen in Rheinland-Pfalz“. Hierfür bedürfe es der Vorlage eines ärztlichen Attests. Aus dessen Inhalt müsse sich regelmäßig nachvollziehbar ergeben, welche konkret zu benennenden gesund­heit­lichen Beein­träch­ti­gungen aufgrund des Schulbesuchs alsbald zu erwarten seien und woraus diese im Einzelnen resultierten. Darüber hinaus müsse im Regelfall erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Das Gericht müsse aufgrund konkreter und nachvoll­ziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen selbständig zu prüfen. Dies gelte in besonderer Weise für ärztliche Atteste, die als Grundlage für eine wegen der Corona-Pandemie zu gewährende Befreiung vom Präsen­z­un­terricht dienen sollten. Diesen Anforderungen werde das vorgelegte Attest in keiner Weise gerecht. Es werde zwar eine Diagnose genannt, in der Konsequenz jedoch lediglich erklärt, dass eine „Sonder­be­schulung“ notwendig sei, ohne dass klargestellt werde, was darunter zu verstehen sei. Angesichts des derzeit nicht vorhersehbaren Endes der Pande­mie­si­tuation lasse das Attest nicht erkennen, dass der behandelnde Arzt die Folgen einer längerfristigen Isolation für den Antragsteller mit in seine Beurteilung einbezogen habe.

Die geltend gemachten Erkrankungen seiner Angehörigen ließen keine andere Bewertung des geltend gemachten Anspruchs zu. Die Nichtteilnahme von Schülerinnen und Schülern am Präsen­z­un­terricht könne zum Schutz ihrer Angehörigen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies setze voraus, dass ein ärztliches Attest des betreffenden Angehörigen vorgelegt werde, aus dem sich die Corona-relevante Vorerkrankung ergebe. Entsprechende Nachweise, die den erforderlichen „eng begrenzten“ Ausnahmefall belegten, fehlten.

Keine Verletztung von Grundrechten

Ein Anspruch auf Befreiung vom Präsen­z­un­terricht lasse sich nicht aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit herleiten. Die Verfassung gebiete keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher Gesund­heits­gefahr. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts gelte dies im Zusammenhang mit der SARS-CoV2-Pandemie umso mehr, als ein „gewisses Infek­ti­o­ns­risiko mit dem neuartigen Corona-Virus derzeit für die Gesamt­be­völ­kerung zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre“. Vorliegend sei auch zu berücksichtigen, dass die Schule dem Antragsteller mit den schriftlich formulierten besonderen Maßnahmen das im Hygieneplan vorgegebene Konzept der geschützten Präsenz konsequent umgesetzt habe. Die Befreiung von Sport- und Ethikunterricht zeige ebenso wie die Inter­nats­un­ter­bringung in einem Einzelzimmer die Bereitschaft, den gesamten Schulalltag auf besondere Anste­ckungs­risiken des Antragstellers hin zu überprüfen und insoweit auf seine gesund­heit­lichen Probleme einzugehen. Die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m im Klassenraum sei gesichert, der ohnehin mit einer Größe von 60 m² bei der Klassenstärke von nur 15 Schülerinnen und Schülern unter dem Aspekt des Anste­ckungs­risikos nach allgemeiner Einschätzung äußerst vorteilhaft sei. Zwar werde damit das Anste­ckungs­risiko nicht auf Null reduziert, zumal der Antragsteller offenbar wöchentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen seinem Heimatort und Kaiserslautern pendeln müsse. Dies beruhe allerdings auf der individuellen Entscheidung des Antragstellers und seiner Eltern für die weit entfernt gelegene Schule.

Quelle: Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr., ra-online (pm/pt)

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