21.11.2024
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Verwaltungsgericht Hannover Urteil08.07.2014

"Super Nanny"-Folge von RTL verstößt gegen die MenschenwürdeVerwal­tungs­gericht weist Klage von RTL gegen eine Beanstandungs­ver­fügung der Nieder­säch­sischen Landes­me­di­e­n­anstalt ab

Das Verwal­tungs­gericht Hannover hat eine Klage des Fernsehsenders RTL gegen die Beanstandung einer Folge der Fernsehsendung "Die Super Nanny" abgewiesen. Das Gericht entschied, dass die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder verstößt.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der 2011 ausgestrahlten Folge der inzwischen eingestellten Fernsehreihe "Die Super Nanny" mit der Diplom-Pädagogin Katharina Saalfrank hatte eine allein­er­ziehende Mutter ihre weinenden und verängstigten damals 3, 4 und 7 Jahre alten Kinder beschimpft, bedroht und mehrfach geschlagen. Einzelne gefilmte Handlungen gegen die Kinder wurden im Sendeablauf wiederholt dargestellt. Im Verlaufe der Sendung konfrontierte Frau Saalfrank die Mutter mit ihren Handlungen und überzeugte sie, sich in Therapie zu begeben, die die Mutter nach eigenem Bekunden fortsetzen will.

Kommission für Jugend­me­di­en­schutz beanstandet Verstoß gegen die Menschenwürde durch Ausstrahlung der Sendung

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) hatte vorab gegen die Ausstrahlung der Sendung nach 20 Uhr keine Bedenken und verneinte auch das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde nach den Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (JMStV). Anders sah es die aufgrund von Zuschau­e­r­be­schwerden angerufene Kommission für Jugend­me­di­en­schutz, die in der Ausstrahlung der Sendung einen Verstoß gegen die Menschenwürde erkannte und die Sendung beanstandete.

RTL muss Verstoß künftig unterlassen

Die Entscheidung der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz wurde in dem angefochtenen Bescheid der für das Fernsehprogramm von RTL zuständigen Nieder­säch­sischen Landes­me­di­e­n­anstalt umgesetzt. Außerdem wurden RTL und die programm­ver­ant­wortliche Geschäfts­führerin aufgefordert, den Verstoß künftig zu unterlassen.

RTL verneint Vorliegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde

RTL wandte sich gegen den Beanstan­dungs­be­scheid u.a. mit der Begründung, die zusätzliche Unter­las­sungs­auf­for­derung sei rechtswidrig, weil sie in dem Beschluss der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz nicht enthalten sei. Zudem bestünden Zweifel, ob alle an der Entscheidung beteiligten Mitglieder der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz die Sendung überhaupt in Augenschein genommen hätten. Außerdem sei der Beschluss der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz unzureichend begründet. Ferner hätte sich die Kommission für Jugend­me­di­en­schutz nicht über die abweichende Entscheidung der FSF hinwegsetzen dürfen. Diese entfalte vielmehr eine gesetzliche Sperrwirkung. Schließlich habe auch kein Verstoß gegen die Menschenwürde vorgelegen, weil erkennbar das erzie­hungs­päd­ago­gische Ziel der Sendung und der Kinderschutz im Vordergrund gestanden hätten.

Beanstandung der Sendung gerechtfertigt

Das Verwal­tungs­gericht Hannover hält die Beanstandung der Sendung für rechtens. Die Nieder­säch­sische Landes­me­di­e­n­anstalt ist nach § 11 Abs. 3 des Nieder­säch­sischen Mediengesetzes (NMedienG) berechtigt gewesen, aufgrund der von der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz übermittelten Beanstan­dungs­ent­scheidung zugleich auch RTL und die für das Rundfunk­programm Verantwortliche aufzufordern, den entsprechenden Verstoß zukünftig zu unterlassen, weil es sich um eine einheitliche Rechtsfolge des Verstoßes handelt, der im Geset­zes­wortlaut mit dem Wort "und" gekennzeichnet ist.

Beschluss der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz zur beanstandeten Sendung ausreichend begründet

Das Gericht hat auch keine begründeten Zweifel, dass die an der beanstandenden Entscheidung beteiligten Mitglieder der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz die Sendung in Augenschein genommen haben. Der DVD-Sende­mitt­schnitt war als Anlage zur Einladung zur Sitzung der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz versandt worden. Die Einladung ist "nachrichtlich" auch an die Stellvertreter gerichtet gewesen. Der die Sendefolge beanstandende Beschluss der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz ist gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 JMStV zudem ausreichend begründet. Aus dem Protokoll der entscheidenden Sitzung der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz ergibt sich, dass der Beanstan­dungs­be­schluss einstimmig "nach eingehender Erörterung unter ausführlicher Würdigung der FSF-Prüfent­scheidung sowie der weiteren Sitzungs­un­terlagen" gefasst worden sei und sich die Mitglieder bzw. deren Stellvertreter der Beschluss­vorlage angeschlossen hatten. Nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts genügt es jedenfalls im Falle der Einstimmigkeit, sich der Beschluss­vorlage anzuschließen.

Kommission für Jugend­me­di­en­schutz war zur nachträglichen Beanstandung der Sendung berechtigt

Bei verfas­sungs­kon­former Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV entfaltet die der Ausstrahlung 2011 vorausgegangene - für RTL günstige - FSF-Prüfent­scheidung im Falle eines im Streit stehenden Verstoßes gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV auch keine Sperrwirkung. Die Kommission für Jugend­me­di­en­schutz ist nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts in einem solchen Fall nicht gehindert, die Sendung nachträglich zu beanstanden. Dies folgt aus dem hohen Rang der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). In einem solchen Fall muss nach Auffassung des Gerichts ein Korrektiv gegenüber Prüfent­schei­dungen der FSF bestehen können.

VG bejaht Verstoß gegen die Menschenwürde

Entgegen der voraus­ge­gangenen Prüfent­scheidung der FSF verstößt die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge der Reihe "Die Super Nanny" nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts Hannover auch tatsächlich gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im Zeitpunkt der Ausstrahlung 4jährigen Sohnes. Deshalb ist in dem streit­be­fangenen Bescheid von der NLM zu Recht ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV festgestellt worden.

Folge zeigt insgesamt 10 Gewal­t­hand­lungen der Mutter gegen ihre schutz­be­fohlenen Kinder

In der Fernsehsendung wird ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben, in dem die erzie­hungs­be­rechtigte Mutter gegen das einfach­ge­setzlich von § 1631 Abs. 2 BGB garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen verstößt. Es werden neben zahlreichen Beschimpfungen und Bedrohungen der Mutter gegen ihre schutz­be­fohlenen Kinder insgesamt 10 Gewal­t­hand­lungen gezeigt, die teilweise bis zu 3mal wiederholt werden (= 4mal dargestellt) und auch in einem so genannten "Teaser" als für die Sendung werbendem Vorspann in schneller Schnittfolge eingebunden sind. Insgesamt sind in unter­schied­licher Schnittfolge 22 Gewal­t­hand­lungen der - nach dem Inhalt der Sendung - thera­pie­be­dürftigen Mutter zu sehen. 14 dieser Gewaltszenen richten sich gegen den damals 4jährigen Sohn, der in insgesamt 9 Szenen weint bzw. sich über Schläge beklagt. Die ebenfalls geschlagene 3jährige Tochter weint in 3 Szenen. Auch der u.a. geschlagene 7-jährige Sohn beklagt sich im Gespräch mit Frau Saalfrank über fortgesetzte Schläge.

Wertung der Landes­me­di­e­n­anstalt nicht zu beanstanden

In dem streit­be­fangenen Bescheid der Nieder­säch­sischen Landes­me­di­e­n­anstalt wurde ein Verstoß gegen die Menschenwürde der gezeigten Kinder u.a. aufgrund der Vielzahl der dargestellten Gewalt- und Leidensbilder sowie der mehrfachen Wiederholung dieser Szenen und deren Verwendung in dem so genannten "Teaser" festgestellt. Das Verwal­tungs­gericht beanstandet diese Wertung nicht.

Präsenz des Aufnahmeteams bei Gewal­t­hand­lungen ohne Einschreiten muss Kindern als ein "Ausge­lie­fertsein" vorgekommen sein

Nach Auffassung des Gerichts verbietet die Menschenwürde der beteiligten Kinder vielmehr das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen begangener Gewal­t­hand­lungen und insbesondere die Zusam­men­stellung einzelner dieser Handlungen in einen "Teaser", um Zuschauer anzulocken. Aus dem Gesamt­zu­sam­menhang der Sendung folgt zudem, dass 9 Gewal­t­hand­lungen der Mutter von dem Aufnahmeleiter hingenommen wurden und erst eine in Gegenwart von Frau Saalfrank von der Mutter begangene 10. Gewalthandlung zu einem Einschreiten geführt hatte. Die Präsenz des Aufnahmeteams bei 9 Gewal­t­hand­lungen ohne Einschreiten muss nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richts den Kindern als ein "Ausge­lie­fertsein" nicht nur gegenüber der thera­pie­be­dürftigen Mutter, sondern auch gegenüber dem Aufnahmeteam vorgekommen sein. Deshalb erkennt auch das Verwal­tungs­gericht einen Verstoß gegen die Menschenwürde der Kinder, der nicht durch das erkennbare erzie­hungs­päd­ago­gische Ziel der Sendung, die Situation der Familie positiv zu verändern, gerechtfertigt wird.

Verwal­tungs­gericht lässt Berufung zu

Das Verwal­tungs­gericht hat die Berufung an das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht zugelassen, weil sie der Rechtsfrage, ob bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV ein Einschreiten der Kommission für Jugend­me­di­en­schutz gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV gesperrt sei, wenn der Rundfunk­ver­an­stalter die Vorgaben einer voraus­ge­gangenen für ihn günstigen Prüfent­scheidung der FSF beachtet, grundsätzliche Bedeutung beimisst.

Quelle: Verwaltungsgericht Hannover/ra-online

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