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Verwaltungsgericht Hannover Urteil08.07.2014
"Super Nanny"-Folge von RTL verstößt gegen die MenschenwürdeVerwaltungsgericht weist Klage von RTL gegen eine Beanstandungsverfügung der Niedersächsischen Landesmedienanstalt ab
Das Verwaltungsgericht Hannover hat eine Klage des Fernsehsenders RTL gegen die Beanstandung einer Folge der Fernsehsendung "Die Super Nanny" abgewiesen. Das Gericht entschied, dass die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder verstößt.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der 2011 ausgestrahlten Folge der inzwischen eingestellten Fernsehreihe "Die Super Nanny" mit der Diplom-Pädagogin Katharina Saalfrank hatte eine alleinerziehende Mutter ihre weinenden und verängstigten damals 3, 4 und 7 Jahre alten Kinder beschimpft, bedroht und mehrfach geschlagen. Einzelne gefilmte Handlungen gegen die Kinder wurden im Sendeablauf wiederholt dargestellt. Im Verlaufe der Sendung konfrontierte Frau Saalfrank die Mutter mit ihren Handlungen und überzeugte sie, sich in Therapie zu begeben, die die Mutter nach eigenem Bekunden fortsetzen will.
Kommission für Jugendmedienschutz beanstandet Verstoß gegen die Menschenwürde durch Ausstrahlung der Sendung
Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) hatte vorab gegen die Ausstrahlung der Sendung nach 20 Uhr keine Bedenken und verneinte auch das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde nach den Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (JMStV). Anders sah es die aufgrund von Zuschauerbeschwerden angerufene Kommission für Jugendmedienschutz, die in der Ausstrahlung der Sendung einen Verstoß gegen die Menschenwürde erkannte und die Sendung beanstandete.
RTL muss Verstoß künftig unterlassen
Die Entscheidung der Kommission für Jugendmedienschutz wurde in dem angefochtenen Bescheid der für das Fernsehprogramm von RTL zuständigen Niedersächsischen Landesmedienanstalt umgesetzt. Außerdem wurden RTL und die programmverantwortliche Geschäftsführerin aufgefordert, den Verstoß künftig zu unterlassen.
RTL verneint Vorliegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde
RTL wandte sich gegen den Beanstandungsbescheid u.a. mit der Begründung, die zusätzliche Unterlassungsaufforderung sei rechtswidrig, weil sie in dem Beschluss der Kommission für Jugendmedienschutz nicht enthalten sei. Zudem bestünden Zweifel, ob alle an der Entscheidung beteiligten Mitglieder der Kommission für Jugendmedienschutz die Sendung überhaupt in Augenschein genommen hätten. Außerdem sei der Beschluss der Kommission für Jugendmedienschutz unzureichend begründet. Ferner hätte sich die Kommission für Jugendmedienschutz nicht über die abweichende Entscheidung der FSF hinwegsetzen dürfen. Diese entfalte vielmehr eine gesetzliche Sperrwirkung. Schließlich habe auch kein Verstoß gegen die Menschenwürde vorgelegen, weil erkennbar das erziehungspädagogische Ziel der Sendung und der Kinderschutz im Vordergrund gestanden hätten.
Beanstandung der Sendung gerechtfertigt
Das Verwaltungsgericht Hannover hält die Beanstandung der Sendung für rechtens. Die Niedersächsische Landesmedienanstalt ist nach § 11 Abs. 3 des Niedersächsischen Mediengesetzes (NMedienG) berechtigt gewesen, aufgrund der von der Kommission für Jugendmedienschutz übermittelten Beanstandungsentscheidung zugleich auch RTL und die für das Rundfunkprogramm Verantwortliche aufzufordern, den entsprechenden Verstoß zukünftig zu unterlassen, weil es sich um eine einheitliche Rechtsfolge des Verstoßes handelt, der im Gesetzeswortlaut mit dem Wort "und" gekennzeichnet ist.
Beschluss der Kommission für Jugendmedienschutz zur beanstandeten Sendung ausreichend begründet
Das Gericht hat auch keine begründeten Zweifel, dass die an der beanstandenden Entscheidung beteiligten Mitglieder der Kommission für Jugendmedienschutz die Sendung in Augenschein genommen haben. Der DVD-Sendemittschnitt war als Anlage zur Einladung zur Sitzung der Kommission für Jugendmedienschutz versandt worden. Die Einladung ist "nachrichtlich" auch an die Stellvertreter gerichtet gewesen. Der die Sendefolge beanstandende Beschluss der Kommission für Jugendmedienschutz ist gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 JMStV zudem ausreichend begründet. Aus dem Protokoll der entscheidenden Sitzung der Kommission für Jugendmedienschutz ergibt sich, dass der Beanstandungsbeschluss einstimmig "nach eingehender Erörterung unter ausführlicher Würdigung der FSF-Prüfentscheidung sowie der weiteren Sitzungsunterlagen" gefasst worden sei und sich die Mitglieder bzw. deren Stellvertreter der Beschlussvorlage angeschlossen hatten. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts genügt es jedenfalls im Falle der Einstimmigkeit, sich der Beschlussvorlage anzuschließen.
Kommission für Jugendmedienschutz war zur nachträglichen Beanstandung der Sendung berechtigt
Bei verfassungskonformer Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV entfaltet die der Ausstrahlung 2011 vorausgegangene - für RTL günstige - FSF-Prüfentscheidung im Falle eines im Streit stehenden Verstoßes gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV auch keine Sperrwirkung. Die Kommission für Jugendmedienschutz ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in einem solchen Fall nicht gehindert, die Sendung nachträglich zu beanstanden. Dies folgt aus dem hohen Rang der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). In einem solchen Fall muss nach Auffassung des Gerichts ein Korrektiv gegenüber Prüfentscheidungen der FSF bestehen können.
VG bejaht Verstoß gegen die Menschenwürde
Entgegen der vorausgegangenen Prüfentscheidung der FSF verstößt die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge der Reihe "Die Super Nanny" nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hannover auch tatsächlich gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im Zeitpunkt der Ausstrahlung 4jährigen Sohnes. Deshalb ist in dem streitbefangenen Bescheid von der NLM zu Recht ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV festgestellt worden.
Folge zeigt insgesamt 10 Gewalthandlungen der Mutter gegen ihre schutzbefohlenen Kinder
In der Fernsehsendung wird ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben, in dem die erziehungsberechtigte Mutter gegen das einfachgesetzlich von § 1631 Abs. 2 BGB garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen verstößt. Es werden neben zahlreichen Beschimpfungen und Bedrohungen der Mutter gegen ihre schutzbefohlenen Kinder insgesamt 10 Gewalthandlungen gezeigt, die teilweise bis zu 3mal wiederholt werden (= 4mal dargestellt) und auch in einem so genannten "Teaser" als für die Sendung werbendem Vorspann in schneller Schnittfolge eingebunden sind. Insgesamt sind in unterschiedlicher Schnittfolge 22 Gewalthandlungen der - nach dem Inhalt der Sendung - therapiebedürftigen Mutter zu sehen. 14 dieser Gewaltszenen richten sich gegen den damals 4jährigen Sohn, der in insgesamt 9 Szenen weint bzw. sich über Schläge beklagt. Die ebenfalls geschlagene 3jährige Tochter weint in 3 Szenen. Auch der u.a. geschlagene 7-jährige Sohn beklagt sich im Gespräch mit Frau Saalfrank über fortgesetzte Schläge.
Wertung der Landesmedienanstalt nicht zu beanstanden
In dem streitbefangenen Bescheid der Niedersächsischen Landesmedienanstalt wurde ein Verstoß gegen die Menschenwürde der gezeigten Kinder u.a. aufgrund der Vielzahl der dargestellten Gewalt- und Leidensbilder sowie der mehrfachen Wiederholung dieser Szenen und deren Verwendung in dem so genannten "Teaser" festgestellt. Das Verwaltungsgericht beanstandet diese Wertung nicht.
Präsenz des Aufnahmeteams bei Gewalthandlungen ohne Einschreiten muss Kindern als ein "Ausgeliefertsein" vorgekommen sein
Nach Auffassung des Gerichts verbietet die Menschenwürde der beteiligten Kinder vielmehr das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen begangener Gewalthandlungen und insbesondere die Zusammenstellung einzelner dieser Handlungen in einen "Teaser", um Zuschauer anzulocken. Aus dem Gesamtzusammenhang der Sendung folgt zudem, dass 9 Gewalthandlungen der Mutter von dem Aufnahmeleiter hingenommen wurden und erst eine in Gegenwart von Frau Saalfrank von der Mutter begangene 10. Gewalthandlung zu einem Einschreiten geführt hatte. Die Präsenz des Aufnahmeteams bei 9 Gewalthandlungen ohne Einschreiten muss nach Auffassung des Verwaltungsgerichts den Kindern als ein "Ausgeliefertsein" nicht nur gegenüber der therapiebedürftigen Mutter, sondern auch gegenüber dem Aufnahmeteam vorgekommen sein. Deshalb erkennt auch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen die Menschenwürde der Kinder, der nicht durch das erkennbare erziehungspädagogische Ziel der Sendung, die Situation der Familie positiv zu verändern, gerechtfertigt wird.
Verwaltungsgericht lässt Berufung zu
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zugelassen, weil sie der Rechtsfrage, ob bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV ein Einschreiten der Kommission für Jugendmedienschutz gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV gesperrt sei, wenn der Rundfunkveranstalter die Vorgaben einer vorausgegangenen für ihn günstigen Prüfentscheidung der FSF beachtet, grundsätzliche Bedeutung beimisst.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.07.2014
Quelle: Verwaltungsgericht Hannover/ra-online
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