21.11.2024
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Dokument-Nr. 29003

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Verwaltungsgericht Hannover Beschluss23.07.2020

Keine Beschränkung bei der Vergabe von Integra­ti­o­ns­plätzen in Kinder­ta­gesstätte auf sog. "Gemeindekinder"Gemeinde­kinder­vorbehalt in Benut­zungs­satzung rechtswidrig

Das Verwal­tungs­gericht Hannover hat entschieden, dass eine Gemeinde die Vergabe von Inte­­gra­ti­o­ns­plät­zen in ihrer Kinder­ta­gesstätte nicht auf sogenannte Gemeindekinder beschränken darf.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kinder erhalten seit dem Jahr 2018 von der Region Hannover als Sozia­l­hil­fe­träger einglie­de­rungs­hil­fe­rechtliche Frühförderung. Seit Jahresbeginn 2019 belegen sie dafür zwei Integra­ti­o­ns­plätze in einer Kindertagesstätte ihrer früheren Wohnsitz­ge­meinde, die im gerichtlichen Verfahren beigeladen war.

Gemeinde lehnte weiter Betreuung der Kinder wegen Umzug in Nachbargemeinde ab

Zu Beginn dieses Jahres zog die Familie der Antragsteller in das Gebiet der Nachbargemeinde. Die Beigeladene stellte sich deshalb auf den Standpunkt, dass eine weitere Betreuung der Antragsteller in ihrer KiTa nicht möglich sei, weil ihre Benut­zungs­satzung eine Vergabe von KiTa-Plätzen in ihren Einrichtungen nur für Kinder mit Wohnsitz in ihrem Gemeindegebiet vorsehe. Auf Antrag der Eltern erklärte sich die Beigeladene im Einvernehmen mit der neuen Wohnsitz­ge­meinde bereit, die Antragsteller bis zum Ablauf des laufenden KiTa-Jahres (31.07.2020) auf den von ihnen belegten Plätzen weiter zu betreuen; eine weitere Betreuung in der Einrichtung auch in dem im August beginnenden neuen KiTa-Jahr lehnte sie ab und verwies die Antragsteller auf die Bereitstellung von zwei Integra­ti­o­ns­plätzen in einer KiTa ihrer nunmehrigen Wohnsitz­ge­meinde.

Eilrechts­schutz­antrag erfolgreich

Dem dagegen von den Antragstellern gestellten Eilrechts­schutz­antrag hat das VG im Wesentlichen stattgegeben. Antragsgegnerin war insoweit die Region Hannover, die sowohl als örtlicher Jugend­hil­fe­träger als auch als örtlicher Sozia­l­hil­fe­träger für eine bedarfsgerechte Tagesbetreuung von noch nicht schul­pflichtigen Kindern rechtlich verantwortlich ist. Materiell richtet sich der geltend gemachte Anspruch aus Sicht des Gerichts vorrangig nach § 79 SGB IX, da Maßnahmen der Frühförderung (d.h. Einglie­de­rungs­maß­nahmen für noch nicht eingeschulte entwick­lungs­be­ein­trächtigte Kinder) unabhängig von der Art der bei den betroffenen Kindern vorhandenen Beein­träch­ti­gungen nach Landesrecht vorrangig dem Sozia­l­hil­ferecht zugewiesen sind.

Einrich­tungs­wechsel wegen personale und organi­sa­to­rische Betreu­ungs­kon­ti­nuität unzumutbar

Das VG ist in Auswertung der im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen und Entwick­lungs­be­richte der derzeitigen Betreu­ungs­ein­richtung zu der Überzeugung gelangt, dass den Antragstellern in ihrem aktuellen Entwick­lungsstand ein Einrich­tungs­wechsel aus einglie­de­rungs­fach­lichen Gründen nicht zumutbar ist. Aus allen fachlichen Stellungnahmen ergebe sich ein besonderer Schwerpunkt der Förderung im sozio-emotionalen Bereich, da die Kinder eine ausgeprägte soziale Ängstlichkeit aufwiesen. Sie seien deshalb auf eine möglichst weitgehende personale und organi­sa­to­rische Betreu­ungs­kon­ti­nuität zwingend angewiesen, um ihre schon während der zweimonatigen Schließung der bisherigen Einrichtung im Lockdown erkennbar eingetretenen erheblichen Entwick­lungs­rück­schritte in diesem Bereich kompensieren und anschließend weitere Entwick­lungs­fort­s­chritte erzielen zu können. Ein Einrich­tungs­wechsel, mit dem einherginge, dass die Antragsteller gleichzeitig mit einer ihnen unbekannten Umgebung, unbekannten Abläufen und Ritualen, unbekannten Kindern und unbekannten erwachsenen Betreu­ungs­personen konfrontiert seien, würde sich demgegenüber mit großer Wahrschein­lichkeit geradezu kontraproduktiv auf die Erreichung der mit der Frühförderung verfolgten sozio-emotionalen Entwick­lungsziele auswirken und bereits erreichte Entwick­lungs­fort­s­chritte zunichtemachen. Deshalb seien die für die Antragsteller in einer Kita ihrer jetzigen Wohnsitz­ge­meinde vorgehaltenen Plätze in einer Integra­ti­o­ns­gruppe nicht bedarfsgerecht. Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen dürften sie nicht auf diese verweisen. Dass die Beigeladene die Antragsteller trotz des vorhandenen fachlichen Bedarfs auf weitere Betreuung gerade in der bisher von ihnen besuchten KiTa von der Platzverteilung für das kommende KiTa-Jahr allein wegen des Wegzugs aus dem Gemeindegebiet ausgeschlossen habe, sei rechtswidrig gewesen.

"Gemein­de­kin­der­vor­behalt" in Bezug auf die Belegung von Integra­ti­o­ns­plätzen rechtswidrig

Der in der Benut­zungs­satzung der Beigeladenen geregelte "Gemein­de­kin­der­vor­behalt" sei zumindest in Bezug auf die Belegung von Integra­ti­o­ns­plätzen insoweit rechtswidrig, da er gegen das höherrangige Recht auf Zuweisung eines bedarfs­ge­rechten Integra­ti­o­ns­platzes, der sich vorliegend wegen der Besonderheiten des Einzelfalls auf eine weitere Betreuung gerade in der bisher besuchten Einrichtung verdichtet habe, verstoße. Derartige Plätze dürften von der Gemeinde als Einrich­tungs­trägerin zudem bereits dem Grunde nach nicht autonom, sondern nur im Benehmen mit der Region als örtlich zuständigem Sozia­l­hil­fe­träger vergeben werden. Das kommunale Selbst­ver­wal­tungsrecht werde insoweit von dem materiellen Leistungsrecht eingeschränkt.

VG verweist auf Weisungsrecht für der Region Hannover

Die den Gemeinden nach § 13 Abs. 1 AG KJHG für die Kinder­ta­ges­be­treuung gesetzlich eröffnete Wahrneh­mungs­ver­ant­wortung erstrecke sich nicht auf die Vergabe von Integra­ti­o­ns­plätzen, denn sie beziehe sich nur auf die dahingehenden originär jugend­hil­fe­recht­lichen Aufgaben. Da die Antragsgegnerin als örtlicher Sozia­l­hil­fe­träger den Antragstellern gegenüber für die Gewährung der bedarfs­ge­rechten Einglie­de­rungshilfe rechtlich verantwortlich ist, steht ihr nach Rechts­auf­fassung des VG ein Weisungsrecht gegenüber der Beigeladenen zu, um den bestehenden Anspruch auf Verschaffung der bedarfs­ge­rechten Plätze auch erfüllen zu können. Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Nds. Oberver­wal­tungs­gericht eingelegt werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Hannover, ra-online (pm/ab)

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