21.11.2024
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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss29.09.2011

VG Gelsenkirchen: Studi­en­platz­vergabe in medizinischen Studiengängen wegen überlanger Wartezeit teilweise verfas­sungs­widrigMehr als sechs Jahre Wartezeit für Studienbewerber unzumutbar

Eine Wartezeit von mehr als sechs Jahren für die Zulassung zum Medizinstudium ist unzulässig. Grundsätzlich ist es zwar nicht zu beanstanden, dass bei der Vergabe von Medizin­stu­di­en­plätzen in erster Linie auf die Abiturnote abgestellt wird. Dennoch müssen auch Bewerber mit schwächeren Abiturnoten zumindest eine realistische Chance auf Zulassung haben. Dies entschied das Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen.

Im zugrunde liegenden Streitfall wurde die Stiftung für Hochschulzulassung (früher ZVS) im Wege der einstweiligen Anordnung durch das Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen verpflichtet, vier Studienbewerber aus Remagen, Hannover, Lübeck und Berlin vorläufig zum Studium der Tier- bzw. Humanmedizin zuzulassen. Alle Antragsteller hatten zum Wintersemester 2011/12 keinen Studienplatz bekommen, obwohl sie bereits seit sechs Jahren auf eine Zulassung warten. Das Verwal­tungs­gericht sah nun vor dem Hintergrund entsprechender Entscheidungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Numerus Clausus aus den siebziger Jahren die Grenze des verfas­sungs­rechtlich Zulässigen überschritten und sprach den Antragstellern vorläufig einen Studienplatz (in München, Hannover, Marburg und Kiel) zu. Zwar sei es nicht zu beanstanden, wenn bei der Vergabe von Medizin­stu­di­en­plätzen in erster Linie auf die Abiturnote abgestellt werde. Auch Bewerber mit schwächeren Abiturnoten müssten aber zumindest eine realistische Chance auf Zulassung haben. Dies sei bei Wartezeiten von mehr als sechs Jahren nicht mehr der Fall.

Verga­be­ver­fahren der Studienplätze

Ca. 40 % der Studienplätze in den Studiengängen Tier- und Humanmedizin werden von der Stiftung für Hochschul­zu­lassung in einem zentralen Verga­be­ver­fahren vergeben. Die übrigen Studienplätze vergeben die Hochschulen selbst. Von der Stiftung werden die Studienplätze im Wesentlichen nach den von den Studien­be­werbern erzielten Abitur­durch­schnittsnoten und der von ihnen erreichten Wartezeit vergeben.

Bewerber ohne überdurch­schnittlich Abiturnoten haben ohne erhebliche Wartezeiten keine Chance auf Zulassung zum Studium

Die Antragsteller erfüllten mit ihren Abiturnoten nicht die für eine Auswahl in der Abitur­bes­tenquote zum Wintersemester 2011/2012 maßgeblichen Auswahlgrenzen, die bei Durch­schnittsnoten von 1, bis 1,2 lagen. Nach der vorläufigen Einschätzung des Gerichts, die im Haupt­sa­che­ver­fahren vertieft zu überprüfen ist, führt das zur Zeit anzuwendende Auswahlverfahren in der Praxis insgesamt dazu, dass Bewerber, deren Abiturnote nicht überdurch­schnittlich gut ist, ohne erhebliche Wartezeiten keine Chance auf Zulassung zum Studium in einem der beiden Studiengänge haben. In der Wartezeitquote ist für eine Verteilung neben der angesammelten Wartezeit als nachrangiges Auswahl­kri­terium ebenfalls die Abiturnote maßgeblich. An dieser Auswahlgrenze sind die Antragsteller gescheitert. Für Bewerber, die wegen ihrer schwächeren Abiturnote trotz einer Wartezeit von zwölf Halbjahren zum Wintersemester 2011/2012 nicht ausgewählt worden sind, wird die Wartezeit im Fach Tiermedizin (wegen der Zulassung ausschließlich zum Wintersemester) mindestens vierzehn Halbjahre betragen. Für entsprechende Bewerber im Fach Humanmedizin wird die Wartezeit mindestens dreizehn Halbjahre betragen, wobei schon zum Sommersemester 2011 selbst unter den Bewerbern mit dreizehn Halbjahren die mit den schwächsten Abiturnoten nicht ausgewählt worden sind.

Wartezeiten stiegen über die vergangenen Jahre kontinuierlich an

Verschärfend kommt nach Auffassung des Gerichts hinzu, dass die Wartezeiten in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen sind. Ein Bewerber, der vor sechs Jahren seine Hochschul­zu­gangs­be­rech­tigung erworben habe, habe sich in seiner Lebensplanung also nicht auf eine Wartezeit von sieben Jahren einstellen können. Im Jahr 2005 betrug z. B. die Wartezeit für einen Human­me­di­zin­stu­di­enplatz noch vier Jahre.

Verfas­sungs­wid­rigkeit des Auswahlsystems führt zum Recht auf Zulassung zum Studium

Nach Überzeugung des Gerichts folgt aus der (jedenfalls teilweisen) Verfas­sungs­wid­rigkeit des Auswahlsystems auch ein Recht des einzelnen, unter einer überlangen Wartezeit leidenden Studien­be­werbers auf Zulassung zum Studium.

Das Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen ist bundesweit als einziges Gericht für alle Verfahren gegen die in Dortmund ansässige Stiftung für Hochschul­zu­lassung zuständig.

Quelle: Verwaltunsgericht Gelsenkirchen/ra-online

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