21.11.2024
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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil14.02.2013

Keine polizeiliche Dauer­ob­ser­vation eines früheren Sexual­straf­tätersBaden-Württemberg fehlt es für jahrelange Observation an Rechtsgrundlage

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg hat es der Polizei­di­rektion Freiburg untersagt, die Observation eines mehrfach verurteilten Sexual­straf­täters weiter fortzuführen. Für die jahrelange Observation als rückfa­ll­ge­fährdet angesehener Sexual­straftäter zum Zwecke der Verhinderung erneuter Sexual­straftaten fehlt es in Baden-Württemberg derzeit an einer Rechtsgrundlage.

Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls war im September 2010 aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. In ihr hatte er sich zwanzig Jahre lang - davon zehn Jahre zu Unrecht - befunden, weil er in der Zeit von 1976 bis 1985 Verge­wal­ti­gungen begangen hatte, dafür mehrfach verurteilt und seit Verbüßung seiner letzten Haftstrafe als rückfa­ll­ge­fährdet eingeschätzt worden war. Seit der Entlassung aus der Siche­rungs­ver­wahrung waren ihm in den letzten zwei Jahren außerhalb seiner Wohnung Zivilbeamte auf Schritt und Tritt überall hin gefolgt, um so womöglich erneuten Sexual­straftaten vorzubeugen.

Für schweren Eingriff in Persön­lich­keits­rechte bedarf es spezieller und ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage

Das Verwal­tungs­gericht Freiburg führte aus, dass diese insgesamt 17 mal vom Leiter der Polizei­di­rektion Freiburg für jeweils mehrere Wochen angeordnete Dauerobservation einen schweren Grund­recht­s­eingriff darstelle. Denn auch einem Mehrfach-Sexual­straftäter stehe ein Recht auf einen Bereich autonomer privater Lebens­ge­staltung auch außerhalb seiner häuslich privaten Sphäre zu. Für einen solchen Eingriff in das Persön­lich­keitsrecht bedürfe es daher einer speziellen und ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Diese fehle hier.

Rechtsgrundlage für Dauer­über­wachung nicht gegeben

Die Vorschrift im Landes­po­li­zei­gesetz, die "als besonderes Mittel der Datenerhebung" eine - ohnehin nur zeitlich begrenzte - Observation zum Zwecke der Sammlung perso­nen­be­zogener Daten des Observierten zulasse, tauge nicht als Rechtsgrundlage für die jahrelange Dauer­über­wachung. Denn im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Gewinnung von Erkenntnissen über die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse oder um die Herstellung von Bewegungs­profilen des der Polizei ja bereits wohlbekannten Klägers. Vielmehr diene die völlig offene Überwachung in Form seiner dauernden Begleitung durch Zivilbeamte allein der Abwehr von ihm womöglich ausgehender Übergriffe. Dafür sei die gesetzliche Regelung aber nicht geschaffen worden. Bereits der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg habe im Herbst 2011 Zweifel an der Tauglichkeit dieser Vorschrift als Rechtsgrundlage für eine jahrelange Dauer­über­wachung geäußert. Trotzdem habe der Gesetzgeber bis heute keine neue spezielle Geset­zes­grundlage geschaffen. Die Vorschrift könne deshalb nicht - auch nicht mehr übergangsweise - als noch ausreichende Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Langjährige Observation lässt sich auch nicht übergangsweise auf Bestimmung des Landes­po­li­zei­ge­setzes stützen

Das gelte auch für die Bestimmung im Landes­po­li­zei­gesetz, welche die Polizei ganz pauschal ermächtige, zur "Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit" die "nach ihrem Ermessen erforderlichen" Maßnahmen zu treffen. Auch auf diese Vorschrift lasse sich die langjährige Observation jedenfalls heute nicht einmal mehr übergangsweise stützen. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber dürfe nämlich wesentliche Entscheidungen nicht der Verwaltung als vollziehender Gewalt überlassen. Vielmehr sei er gehalten, für intensive, besondere polizeiliche Eingriffe deren Anlass, Zweck und Grenzen selbst hinreichend klar und bestimmt durch eine spezifische gesetzliche Ermäch­ti­gungs­vor­schrift ausdrücklich festzulegen. Das habe der Gesetzgeber aber bisher trotz ausreichend langer Übergangszeit nicht getan.

Observation nicht nur mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig

Das Gericht führte außerdem aus, dass die Observation nicht nur mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig sei. Selbst wenn die genannten Vorschriften bis zu einer speziellen Regelung der Materie durch den Gesetzgeber noch übergangsweise als Grundlage akzeptiert würden, fehle es nämlich im konkreten Fall an einer vom Kläger für Dritte noch ausgehenden aktuellen und konkreten Gefahr.

Dauer­über­wachung ist mangels Anhaltspunkten für Gefährlichkeit des Klägers einzustellen

Zu dieser Einschätzung kam das Gericht aufgrund der in der fünfstündigen mündlichen Verhandlung durchgeführten ausführlichen Anhörung des Klägers selbst, seines Bewäh­rungs­helfers, des behandelnden Psycho­the­ra­peuten und der ihn überwachenden Polizeibeamten. Das letzte Gutachten, das dem Kläger noch eine gewisse Rückfa­ll­ge­fährdung attestiere, stamme noch aus der Zeit der Siche­rungs­ver­wahrung. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts müsse eine aktuelle Prognose aber auf der Basis des Verhaltens in Freiheit angestellt werden. Insoweit aber ergebe sich eine Gefährdung entgegen der Ansicht der Polizei nicht schon daraus, dass der Kläger nicht ausreichend mit den ihn überwachenden Polizisten kooperiere. Denn dazu sei er rechtlich nicht verpflichtet. Der Kläger sei seit der Erledigung der Siche­rungs­ver­wahrung im Jahr 2010 ein freier Mann, der die Weisungen der Führungs­aufsicht einzuhalten habe, was er auch tue, der sich aber im Übrigen ebenso verhalten könne wie jeder andere freie Mensch. Der Kläger sei insbesondere nicht verpflichtet, seine Aktivitäten, insbesondere Fahrradtouren, den observierenden Polizeibeamten vorher ankündigen. Für das Gelingen der Observation müsse er nicht Sorge tragen. Unkooperatives Verhalten in diesem Zusammenhang könne ihm daher nicht vorgeworfen werden. Der Kläger nehme im Übrigen regelmäßig und pünktlich, ohne dass er dazu verpflichtet sei, an einer wöchentlichen Psychotherapie teil und habe nach Aussagen des Therapeuten nachvollziehbar Fortschritte gemacht. Der Bewäh­rungs­helfer schätze wie auch der behandelnde Psychologe das Risiko als sehr gering ein. Da es keine Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit des Klägers gebe, sei die Dauer­über­wachung einzustellen.

Quelle: Verwaltungsgericht Freiburg/ra-online

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