18.10.2024
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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil19.06.2012

Kirche darf lesbische Erzieherin während der Elternzeit nicht kündigenBesondere Schutz­be­stim­mungen für Mütter in Elternzeit sind zu berücksichtigen

Eine Kündigung nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundes­el­terngeld- und Eltern­zeit­gesetz - BEEG) ist nur in besonderen Fällen möglich. Dies muss eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und Arbeitgebers ergeben, welche im vorliegenden Fall zu Lasten der Arbeitgeberin erfolgte. Dies hat das Verwal­tungs­gericht Augsburg entschieden.

Im zugrunde liegenden Fall war eine lesbische Erzieherin bei der Kirche angestellt und leitete einen katholischen Kindergarten. Sie ging mit ihrer Partnerin eine Leben­s­part­ner­schaft ein. Daraufhin kündigte ihr die Kirche, obwohl die Erzieherin sich in Elternzeit befand. Die Kirche war der Ansicht, dass durch das Eingehen einer eingetragene Leben­s­part­ner­schaft und dem praktizieren von Homosexualität, ein schwerwiegender Verstoß gegen die Loyali­täts­ob­lie­genheit vorgelegen habe. Ein solches Verhalten verstoße gegen einen Grundpfeiler der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Dies führe dazu, dass dem Arbeitgeber die Aufrecht­er­haltung des Arbeits­ver­hält­nisses unzumutbar wird.

Keine Kündigung aufgrund Vorliegens eines besonderen Falles

Das Verwal­tungs­gericht Augsburg entschied, dass ein besonderer Fall gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG nicht vorliege.

Nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts ist ein besonderer Fall nur dann anzunehmen, wenn außer­ge­wöhnliche Umstände es rechtfertigen, die vom Gesetz grundsätzlich als vorrangig angesehenen Interessen des Elternzeit in Anspruch nehmenden Arbeitnehmers hinter die Interessen des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses zurücktreten zu lassen. Ein besonderer Fall kommt insbesondere bei einer schwerwiegenden Verletzung arbeits­ver­trag­licher Nebenpflichten in Betracht. Vorliegend hat sich nach Ansicht des Verwal­tungs­ge­richtes die Arbeitnehmerin zwar durch das Eingehen der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft im Widerspruch zu den berechtigten Loyali­täts­er­war­tungen der Kirche gesetzt und damit eine während der Elternzeit fortbestehende arbeits­ver­tragliche Nebenpflicht verletzt. Dies stellt nach kirchlichem Verständnis einen schwerwiegenden Loyali­täts­verstoß dar. Deshalb liegt jedoch nicht bereits zwangsläufig ein besonderer Fall vor, da der besondere Kündi­gungs­schutz während der Elternzeit sonst ins Leere lief.

Abwägung ergibt Zumutbarkeit für Fortbestehen des Arbeits­ver­hält­nisses

Der Verstoß der Erzieherin gegen ihre arbeits­ver­trag­lichen Nebenpflichten, so das Verwal­tungs­gericht weiter, führt nach Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht dazu, dass die Kirche die Aufrecht­er­haltung des bestehenden Arbeits­ver­hält­nisses während der Elternzeit unzumutbar ist.

Zu Gunsten der Arbeitnehmerin sprach zunächst der Schutzzweck des § 18 BEEG, der Arbeitnehmern während der Elternzeit grundsätzlich die Sorge um ihren Arbeitsplatz nehmen und eine kontinuierliche Erwer­bs­bio­graphie erhalten will. Auch sei das Verhalten der Arbeitnehmerin legitim und kann nicht zum Beispiel mit einer strafbaren Handlung gleichgesetzt werden. Zudem ruhen die arbeits­ver­trag­lichen Hauptpflichten während der Elternzeit, so dass sich die Leben­s­part­ner­schaft und Homosexualität nicht im Rahmen der erzieherischen Arbeit der Arbeitnehmerin auswirken könne. Wobei zu berücksichtigen sei, dass diese ihre Tätigkeit, trotz der bestehenden Homosexualität, bisher beanstan­dungsfrei ausführte.

Keine entge­gen­ste­henden Interessen der Arbeitgeberin

Nach Auffassung des Verwal­tungs­ge­richtes ist der nach kirchlichem Verständnis schwere Loyali­täts­verstoß in der Abwägung zu berücksichtigen. Die Kirche versteht erzieherische Bildung im Sinne der Erfüllung eines religiösen Auftrags und erwartet von einer katholischen Kinder­gar­ten­leiterin auch eine private Lebensführung im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Das Eingehen einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft ist nach kirchlichem Verständnis mit dieser Glaubens- und Sittenlehre unvereinbar.

Das Interesse der Arbeitgeberin an der Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses während der Elternzeit wird allerdings dadurch maßgeblich geschwächt, dass die Erzieherin durch ihr Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht gefährdet habe. Denn sie habe ihre Leben­s­part­ner­schaft nicht nach außen bzw. an die Öffentlichkeit getragen, sondern lediglich gegenüber der Arbeitgeberin angezeigt. Aufgrund ihres Verhaltens wurde die Angelegenheit auch nicht von den Medien aufgegriffen. Dies erfolgte erst nach Klageerhebung durch die Kirche. Im Übrigen bliebe es der Kirche unbenommen, nach Ablauf der Elternzeit, das Eingehen der Leben­s­part­ner­schaft zum Anlass für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung zu nehmen.

Quelle: Verwaltungsgericht Augsburg, ra-online (vt/rb)

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