23.11.2024
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Dokument-Nr. 5890

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Thüringer Verfassungsgerichtshof Urteil11.04.2008

Fünf-Prozent-Klausel bei Wahlen zu Gemeinderäten und Kreistagen in Thüringen verfas­sungs­widrigJede Stimme muss gleichen Wert haben

Der Thüringer Verfas­sungs­ge­richtshof hat in dem konkreten Normen­kon­troll­ver­fahren betreffend die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Wahlen zu den Gemeinderäten und Kreistagen seine Entscheidung verkündet. Er hat entschieden, dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen die Verfassung verstößt und ab den nächsten landesweiten Kommunalwahlen nicht mehr anwendbar ist. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Das Verwal­tungs­gericht Weimar hat dem Verfas­sungs­ge­richtshof aus Anlass einer Wahlanfechtung zur Stadtratswahl in Weimar die Frage vorgelegt, ob die Bestimmung über die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Thüringer Kommu­nal­wahl­gesetz mit der Thüringer Verfassung vereinbar ist.

Fünf-Prozent-Sperrklausel verstößt gegen Thüringer Verfassung

Der Verfas­sungs­ge­richtshof entschied nun, dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen Art. 95 Satz 1 der Thüringer Verfassung verstößt. Die Bestimmung enthält den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Dieser besagt für die in Thüringen bei Kommunalwahlen geltende Verhältniswahl, dass grundsätzlich jede abgegebene gültige Stimme den gleichen Wert haben muss. Bei einer Fünf-Prozent-Sperrklausel zählen die Stimmen bei der Sitzverteilung im Ergebnis nicht mit, die auf Parteien, Wählergruppen oder Einzelbewerber entfallen, die keine fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Dadurch führt die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu einer Ungleichbehandlung der Stimmen.

Funkti­o­ns­fä­higkeit der Kommu­na­l­ver­tre­tungen ist auch bei Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel wahrscheinlich gegeben

Gründe, die diese Ungleich­be­handlung rechtfertigen können, ließen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennen. Es ist anerkannt, dass es der Sinn von Wahlen ist, funktionsfähige Volks­ver­tre­tungen hervorzubringen. Die Absicherung der Funkti­o­ns­fä­higkeit der gewählten Volks­ver­tre­tungen kann grundsätzlich eine Rechtfertigung für Beschränkungen im Wahlrecht sein. Voraussetzung ist allerdings, dass solche Funkti­o­ns­s­tö­rungen mit einiger Wahrschein­lichkeit auch eintreten werden. Um dies festzustellen, ist die politische Wirklichkeit zu betrachten und sind auch Erfahrungen aus anderen Bundesländern mit vergleichbarer Kommu­nal­struktur zu berücksichtigen. Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat hierzu eine Beweisaufnahme durchgeführt. Im Ergebnis konnten keine Tatsachen festgestellt werden, die im Falle des Wegfalls der Fünf-Prozent-Sperrklausel eine Störung der Funkti­o­ns­fä­higkeit der Kommu­na­l­ver­tre­tungen wahrscheinlich machen. Die Thüringer Kommunalordnung enthält genügend Bestimmungen, welche die Funkti­o­ns­fä­higkeit der Kommu­na­l­ver­tre­tungen sicherstellen, auch wenn eine Vielzahl von Gruppierungen und Einzelbewerbern in den Gemeinderäten und Kreistagen mitwirken. Ebenso wenig konnte der Verfas­sungs­ge­richtshof eine Gefährdung des Gemeinwohls feststellen, wenn mehreren Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern der Einzug in die kommunalen Vertre­tungs­organe gelingt. Schließlich rechtfertigt auch die Gefahr der Anwesenheit radikaler Parteien in den Kommu­na­l­ver­tre­tungen die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht. Parteien, die nicht verboten sind, dürfen durch die Wahlge­setz­gebung nicht benachteiligt werden. Ihr Ausschluss kann nur durch ein Parteiverbot durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bewirkt werden.

Keine Auswirkung auf die zurückliegenden Wahlen

Obwohl die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen die Thüringer Verfassung verstößt, wirkt sich dies nach der Entscheidung des Thüringer Verfas­sungs­ge­richtshofs nicht auf die zurückliegenden Wahlen aus. Die Klausel ist erst bei den nächsten landesweiten Kommunalwahlen nicht mehr anzuwenden. Dem Gesetzgeber ist eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen, um zu überdenken, ob und gegebenenfalls wie er auf den Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel reagieren will. Außerdem haben sich die Wähler bei der letzten Kommunalwahl auf die Fünf- Prozent-Sperrklausel eingestellt und in der Regel ihr Wahlverhalten danach ausgerichtet. Eine mögliche schlichte Neuberechnung des Wahlergebnisses träfe den wahren Wählerwillen nicht notwendig besser als das Ergebnis unter Anwendung der Fünf-Prozent-Sperrklausel.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Thüringen vom 11.04.2008

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