Das Verwaltungsgericht Weimar hat dem Verfassungsgerichtshof aus Anlass einer Wahlanfechtung zur Stadtratswahl in Weimar die Frage vorgelegt, ob die Bestimmung über die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Thüringer Kommunalwahlgesetz mit der Thüringer Verfassung vereinbar ist.
Der Verfassungsgerichtshof entschied nun, dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen Art. 95 Satz 1 der Thüringer Verfassung verstößt. Die Bestimmung enthält den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Dieser besagt für die in Thüringen bei Kommunalwahlen geltende Verhältniswahl, dass grundsätzlich jede abgegebene gültige Stimme den gleichen Wert haben muss. Bei einer Fünf-Prozent-Sperrklausel zählen die Stimmen bei der Sitzverteilung im Ergebnis nicht mit, die auf Parteien, Wählergruppen oder Einzelbewerber entfallen, die keine fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Dadurch führt die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu einer Ungleichbehandlung der Stimmen.
Gründe, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen können, ließen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennen. Es ist anerkannt, dass es der Sinn von Wahlen ist, funktionsfähige Volksvertretungen hervorzubringen. Die Absicherung der Funktionsfähigkeit der gewählten Volksvertretungen kann grundsätzlich eine Rechtfertigung für Beschränkungen im Wahlrecht sein. Voraussetzung ist allerdings, dass solche Funktionsstörungen mit einiger Wahrscheinlichkeit auch eintreten werden. Um dies festzustellen, ist die politische Wirklichkeit zu betrachten und sind auch Erfahrungen aus anderen Bundesländern mit vergleichbarer Kommunalstruktur zu berücksichtigen. Der Verfassungsgerichtshof hat hierzu eine Beweisaufnahme durchgeführt. Im Ergebnis konnten keine Tatsachen festgestellt werden, die im Falle des Wegfalls der Fünf-Prozent-Sperrklausel eine Störung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen wahrscheinlich machen. Die Thüringer Kommunalordnung enthält genügend Bestimmungen, welche die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen sicherstellen, auch wenn eine Vielzahl von Gruppierungen und Einzelbewerbern in den Gemeinderäten und Kreistagen mitwirken. Ebenso wenig konnte der Verfassungsgerichtshof eine Gefährdung des Gemeinwohls feststellen, wenn mehreren Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern der Einzug in die kommunalen Vertretungsorgane gelingt. Schließlich rechtfertigt auch die Gefahr der Anwesenheit radikaler Parteien in den Kommunalvertretungen die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht. Parteien, die nicht verboten sind, dürfen durch die Wahlgesetzgebung nicht benachteiligt werden. Ihr Ausschluss kann nur durch ein Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht bewirkt werden.
Obwohl die Fünf-Prozent-Sperrklausel gegen die Thüringer Verfassung verstößt, wirkt sich dies nach der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs nicht auf die zurückliegenden Wahlen aus. Die Klausel ist erst bei den nächsten landesweiten Kommunalwahlen nicht mehr anzuwenden. Dem Gesetzgeber ist eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen, um zu überdenken, ob und gegebenenfalls wie er auf den Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel reagieren will. Außerdem haben sich die Wähler bei der letzten Kommunalwahl auf die Fünf- Prozent-Sperrklausel eingestellt und in der Regel ihr Wahlverhalten danach ausgerichtet. Eine mögliche schlichte Neuberechnung des Wahlergebnisses träfe den wahren Wählerwillen nicht notwendig besser als das Ergebnis unter Anwendung der Fünf-Prozent-Sperrklausel.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.04.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Thüringen vom 11.04.2008