Der Staatsgerichtshof hat den Anträgen der Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und SPD stattgegeben. Sowohl der Finanzminister als auch die Landesregierung haben mit der Zustimmung zu der im Aktienkaufvertrag zwischen der EDF und der Neckarpri GmbH vom 6. Dezember 2010 enthaltenen Garantieübernahme durch das Land das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags verletzt.
Durch Kaufvertrag vom 6. Dezember 2010 erwarb die vom Land als Alleingesellschafter gehaltene Neckarpri GmbH das von der Electricité de France International S.A. (EDF) gehaltene Paket von 45,01 % der Aktien der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Der Verkauf erfolgte zum Preis von 41,50 Euro je Aktie, so dass sich für das Gesamtpaket der 112.517.569 Aktien ein Gesamtpreis von 4.669.479.113,50 Euro ergab. Für die Verbindlichkeiten der Neckarpri GmbH übernahm das Land in dem Kaufvertrag ein selbstschuldnerisches Garantieversprechen im Sinne des § 311 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Eine vorherige Parlamentsbefassung hierzu fand nicht statt. Die mit dem Garantieversprechen verbundenen außerplanmäßigen Ausgaben wurden stattdessen vom Finanzminister unter Inanspruchnahme des Notbewilligungsrechts aus Art. 81 der Landesverfassung (LV) bewilligt. Zu diesem Kaufvertrag war es nach Mitteilung des Ministerpräsidenten kurzfristig gekommen. Nachdem die EDF Verkaufsbereitschaft signalisiert habe, habe sich die Landesregierung für einen schnellen Erwerb der von der EDF gehaltenen Anteile entschieden, um das Entstehen von Unsicherheiten über die zukünftige Eigentümerstruktur der EnBW und schädliche Spekulationen verhindern sowie sicherstellen zu können, dass die EnBW dauerhaft ein baden-württembergisches Unternehmen bleibe. Da die Verkäuferseite einen Parlamentsvorbehalt strikt abgelehnt und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein unter Bedingungen abgegebenes Übernahmegebot aus wertpapierrechtlichen Gründen für unzulässig erklärt habe, sei der Rückgriff auf das Notbewilligungsrecht des Finanzministers unvermeidlich gewesen. Nur so habe u.a. die erforderliche Geheimhaltung gewährleistet werden können.
Am 15. Dezember 2010 hat der Landtag das Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2010 und 2011 verabschiedet, mit dem das Finanzministerium rückwirkend ermächtigt wurde, Garantien zu Gunsten der Neckarpri GmbH bis zu insgesamt 5,9 Milliarden EUR abzugeben.
Der Staatsgerichtshof hat dieses Vorgehen beanstandet. Die Landesregierung habe gegen die Verfassung dadurch verstoßen, dass sie den Finanzminister um seine Zustimmung nach Art. 81 LV ersucht und der im Aktienkaufvertrag enthaltenen Garantieübernahme ohne Beteiligung des Landtags zugestimmt habe. Er hat festgestellt, dass damit das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags nach Art. 79 LV verletzt worden sei. Der Finanzminister habe die Grenzen des ihm nach Art. 81 LV zustehenden Notbewilligungsrechts überschritten, weil dieses nur in Fällen großer zeitlicher Eile Anwendung finden könne.
Das dem Parlament vorbehaltene Budgetrecht ziele als Kernelement der demokratischen Legitimierung und Gewaltenteilung darauf ab, das vollständige staatliche Finanzvolumen der letztgültigen Budgetentscheidung des Landtags zu unterstellen und so das Haushaltsbewilligungsrecht als ein wirksames Instrument der parlamentarischen Regierungskontrolle auszugestalten. Da dieses parlamentarische Budgetrecht mit dem Gebrauch des Notbewilligungsrechts durchbrochen werde, seien an das Vorliegen der hierfür in Art. 81 Satz 2 LV statuierten Voraussetzungen strenge Maßstäbe anzulegen. Eine zeitliche Eile, die ein Notbewilligungsrecht rechtfertigen könnte, sei aber weder vorgetragen worden noch habe dies der Staatsgerichtshof feststellen können.
Die Inanspruchnahme des dem Finanzminister eingeräumten Notbewilligungsrechts in Fallkonstellationen, in denen eine Beschlussfassung des für Budgetfragen zuständigen Parlaments zeitlich noch möglich wäre, finde in der Landesverfassung aber keine Stütze. Auch Kursschwankungen am Kapitalmarkt könnten keine Rechtfertigung dafür sein, auf eine vorrangige Entscheidung des für Budgetfragen zuständigen Parlaments zu verzichten. Die geltende Verfassung lasse es auch weder aus Gründen der Geheimhaltung noch im Hinblick auf Bedingungen eines Verhandlungspartners zu, dass die Landesregierung über das Bedürfnis für die Inanspruchnahme des Notbewilligungsrechts eigenständig befinde und damit Budgetmaßnahmen, die dem Parlament vorbehalten sind, - vorübergehend - selbst treffe.
Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie Vorsorge dafür zu treffen wäre, dass ein im Landesinteresse stehendes Handeln in solchen Fällen künftig möglich würde, stehe als Gesetzes- oder Verfassungsänderung ausschließlich dem Parlament selbst zu. Demgegenüber komme eine erweiternde Auslegung des Art. 81 LV, der lediglich Fälle zeitlicher Dringlichkeit regeln wolle, durch den Staatsgerichtshof nicht in Betracht.
„Über- und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die Genehmigung des Landtags ist nachträglich einzuholen.“
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.10.2011
Quelle: Staatsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online