24.11.2024
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Dokument-Nr. 12378

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Urteil07.10.2011Staatsgerichtshof Baden-WürttembergGR 2/11
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Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil07.10.2011

EnBW-Aktienkauf durch das Land Baden-Württemberg war verfas­sungs­widrigStaats­ge­richtshof Baden-Württemberg gibt Feststel­lungs­an­trägen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD statt

Die ehemalige baden-württem­ber­gische Landesregierung hat gegen die Verfassung verstoßen, indem sie im großen Stil EnBW-Aktien erwarb. Dies entschied der Staats­ge­richtshof Baden-Württemberg. Ex-Minis­ter­prä­sident Stefan Mappus (CDU) und sein Finanzminister Willi Stächele hätten den Landtag beim Erwerb von 45 Prozent der Aktien der Energie Baden-Württemberg (EnBW) nicht umgehen dürfen.

Der Staats­ge­richtshof hat den Anträgen der Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und SPD stattgegeben. Sowohl der Finanzminister als auch die Landesregierung haben mit der Zustimmung zu der im Aktien­kauf­vertrag zwischen der EDF und der Neckarpri GmbH vom 6. Dezember 2010 enthaltenen Garan­tie­übernahme durch das Land das Haushalts­be­wil­li­gungsrecht des Landtags verletzt.

Sachverhalt

Durch Kaufvertrag vom 6. Dezember 2010 erwarb die vom Land als Allein­ge­sell­schafter gehaltene Neckarpri GmbH das von der Electricité de France International S.A. (EDF) gehaltene Paket von 45,01 % der Aktien der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Der Verkauf erfolgte zum Preis von 41,50 Euro je Aktie, so dass sich für das Gesamtpaket der 112.517.569 Aktien ein Gesamtpreis von 4.669.479.113,50 Euro ergab. Für die Verbind­lich­keiten der Neckarpri GmbH übernahm das Land in dem Kaufvertrag ein selbst­schuld­ne­risches Garan­tie­ver­sprechen im Sinne des § 311 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Eine vorherige Parla­ments­be­fassung hierzu fand nicht statt. Die mit dem Garan­tie­ver­sprechen verbundenen außer­plan­mäßigen Ausgaben wurden stattdessen vom Finanzminister unter Inanspruchnahme des Notbe­wil­li­gungs­rechts aus Art. 81 der Landes­ver­fassung (LV) bewilligt. Zu diesem Kaufvertrag war es nach Mitteilung des Minis­ter­prä­si­denten kurzfristig gekommen. Nachdem die EDF Verkaufs­be­reit­schaft signalisiert habe, habe sich die Landesregierung für einen schnellen Erwerb der von der EDF gehaltenen Anteile entschieden, um das Entstehen von Unsicherheiten über die zukünftige Eigen­tü­mer­struktur der EnBW und schädliche Spekulationen verhindern sowie sicherstellen zu können, dass die EnBW dauerhaft ein baden-württem­ber­gisches Unternehmen bleibe. Da die Verkäuferseite einen Parla­ments­vor­behalt strikt abgelehnt und die Bundesanstalt für Finanz­dienst­leis­tungs­aufsicht (BaFin) ein unter Bedingungen abgegebenes Übernahmegebot aus wertpa­pi­er­recht­lichen Gründen für unzulässig erklärt habe, sei der Rückgriff auf das Notbe­wil­li­gungsrecht des Finanzministers unvermeidlich gewesen. Nur so habe u.a. die erforderliche Geheimhaltung gewährleistet werden können.

Finanz­mi­nis­terium wird rückwirkend ermächtigt, Garantien zu Gunsten der Neckarpri GmbH abzugeben

Am 15. Dezember 2010 hat der Landtag das Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Staats­haus­haltsplan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2010 und 2011 verabschiedet, mit dem das Finanz­mi­nis­terium rückwirkend ermächtigt wurde, Garantien zu Gunsten der Neckarpri GmbH bis zu insgesamt 5,9 Milliarden EUR abzugeben.

Staats­ge­richtshof rügt Verletzung des Haushalts­be­wil­li­gungsrecht des Landtags

Der Staats­ge­richtshof hat dieses Vorgehen beanstandet. Die Landesregierung habe gegen die Verfassung dadurch verstoßen, dass sie den Finanzminister um seine Zustimmung nach Art. 81 LV ersucht und der im Aktien­kauf­vertrag enthaltenen Garan­tie­übernahme ohne Beteiligung des Landtags zugestimmt habe. Er hat festgestellt, dass damit das Haushalts­be­wil­li­gungsrecht des Landtags nach Art. 79 LV verletzt worden sei. Der Finanzminister habe die Grenzen des ihm nach Art. 81 LV zustehenden Notbe­wil­li­gungs­rechts überschritten, weil dieses nur in Fällen großer zeitlicher Eile Anwendung finden könne.

Zeitliche Eile für gerecht­fer­tigtes Notbe­wil­li­gungsrecht nicht ersichtlich

Das dem Parlament vorbehaltene Budgetrecht ziele als Kernelement der demokratischen Legitimierung und Gewaltenteilung darauf ab, das vollständige staatliche Finanzvolumen der letztgültigen Budge­tent­scheidung des Landtags zu unterstellen und so das Haushalts­be­wil­li­gungsrecht als ein wirksames Instrument der parla­men­ta­rischen Regie­rungs­kon­trolle auszugestalten. Da dieses parla­men­ta­rische Budgetrecht mit dem Gebrauch des Notbe­wil­li­gungs­rechts durchbrochen werde, seien an das Vorliegen der hierfür in Art. 81 Satz 2 LV statuierten Voraussetzungen strenge Maßstäbe anzulegen. Eine zeitliche Eile, die ein Notbe­wil­li­gungsrecht rechtfertigen könnte, sei aber weder vorgetragen worden noch habe dies der Staats­ge­richtshof feststellen können.

Landesregierung darf über Bedürfnis für Inanspruchnahme des Notbe­wil­li­gungs­rechts nicht eigenständig befinden

Die Inanspruchnahme des dem Finanzminister eingeräumten Notbe­wil­li­gungs­rechts in Fallkon­stel­la­tionen, in denen eine Beschluss­fassung des für Budgetfragen zuständigen Parlaments zeitlich noch möglich wäre, finde in der Landes­ver­fassung aber keine Stütze. Auch Kursschwan­kungen am Kapitalmarkt könnten keine Rechtfertigung dafür sein, auf eine vorrangige Entscheidung des für Budgetfragen zuständigen Parlaments zu verzichten. Die geltende Verfassung lasse es auch weder aus Gründen der Geheimhaltung noch im Hinblick auf Bedingungen eines Verhand­lungs­partners zu, dass die Landesregierung über das Bedürfnis für die Inanspruchnahme des Notbe­wil­li­gungs­rechts eigenständig befinde und damit Budgetmaßnahmen, die dem Parlament vorbehalten sind, - vorübergehend - selbst treffe.

Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie Vorsorge dafür zu treffen wäre, dass ein im Landesinteresse stehendes Handeln in solchen Fällen künftig möglich würde, stehe als Gesetzes- oder Verfas­sung­s­än­derung ausschließlich dem Parlament selbst zu. Demgegenüber komme eine erweiternde Auslegung des Art. 81 LV, der lediglich Fälle zeitlicher Dringlichkeit regeln wolle, durch den Staats­ge­richtshof nicht in Betracht.

Art. 81 der Landes­ver­fassung lautet:

„Über- und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvor­her­ge­sehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die Genehmigung des Landtags ist nachträglich einzuholen.“

Quelle: Staatsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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