21.11.2024
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Sozialgericht Leipzig Urteil16.06.2015

Kürzung des "Hartz IV"-Regelbedarfs um 100 % wegen Pflicht­ver­letzung eines noch nicht 25 Jahre alten Leistungs­em­fängers rechtmäßigSchärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen soll Lang­zeit­arbeits­losig­keit in dieser Personengruppe frühzeitig verhindern

Der im Sozial­ge­setzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehene vollständige Wegfall des Regelbedarfs beim erstmaligen Pflichtverstoß eines Leistungs­emp­fängers, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, begegnet keinen verfassungs­recht­lichen Bedenken. Dies entschied das Sozialgericht Leipzig.

Der damals 23-jährige Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls bezog bis Juli 2014 Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV"). Das Jobcenter wies ihn einer Arbeits­ge­le­genheit zu, bei der er gegen eine Mehrauf­wand­s­ent­schä­digung von 1,50 Euro pro Stunde an 20 Wochenstunden gebrauchte Möbel aufbereiten sollte. Nachdem der Kläger diese Arbeits­ge­le­genheit nicht wahrgenommen hatte, senkte das Jobcenter den Regelbedarf zunächst in den Monaten März bis Mai 2014 um 100 % ab und erbrachte lediglich Leistungen für Unterkunft und Heizung. Der Sankti­o­ns­zeitraum wurde sodann im Wider­spruchs­ver­fahren durch das Jobcenter im Ermessenswege auf sechs Wochen vom 1. März bis 11. April 2014 verkürzt. Auf entsprechende Anträge hin wurden dem Kläger für den Sankti­o­ns­zeitraum Gutscheine für Sachleistungen im Wert von insgesamt 300 Euro gewährt.

Kläger hält Sankti­o­ns­re­gelung für verfas­sungs­widrig

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass die Sankti­o­ns­re­gelung für Unter-25-Jährige* verfas­sungs­widrig sei; sie stelle insbesondere einen Verstoß gegen den Gleich­be­hand­lungs­grundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) dar, da eine Ungleich­be­handlung zwischen Über-25-Jährigen und Unter-25-Jährigen nicht gerechtfertigt sei.

Minderung des Regelbedarfs bei erster Pflicht­ver­letzung verstößt nicht gegen Grundrecht auf menschen­würdiges Existenzminimum

Das Sozialgericht Leipzig ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die im Gesetz für Unter-25-Jährige vorgesehene Minderung in Höhe von 100 % des maßgebenden Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung verstoße nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozial­staats­prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete Grundrecht auf ein menschen­würdiges Existenzminimum. Auch dieses Grundrecht gewährleiste nämlich keinen von Mitwir­kungs­ob­lie­gen­heiten und Eigen­ak­ti­vitäten unabhängigen Anspruch auf Erbringung von voraus­set­zungslosen Sozia­l­leis­tungen. Der Schutz des Grundrechts sei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere dadurch gewährleistet, dass der Sankti­o­ns­zeitraum auf sechs Wochen beschränkt werden könne und eine Unterdeckung der physisch existentiellen Bedarfe aufgrund der Gewährung von Gutscheinen fast auszuschließen sei. Auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestünden keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Die schärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen sei geeignet, das gesetzgeberisch verfolgte Ziel zu fördern, Langzeit­a­r­beits­lo­sigkeit in dieser Personengruppe frühzeitig zu verhindern. Dabei habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Effektivität des von der Sanktion ausgehenden Abschre­ck­ef­fektes eine Einschätzungs-prärogative. Deshalb und mangels einschlägiger wissen­schaft­licher Analysen zur Wirkung von Sanktionen auf Unter-25-Jährige könne im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine mildere Sanktion die gleiche Wirkung erziele.

Erläuterungen

* Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungs­be­rechtigte u. a. dann ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeits­ge­le­genheit aufzunehmen. Bei erwerbsfähigen Leistungs­be­rech­tigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mindert sich das Arbeits­lo­sengeld II bei einer Pflicht­ver­letzung nicht nur wie bei den Über-25-Jährigen um 30 %, sondern um 100 % der Regelleistung (§ 31 a Abs. 2 Satz1 SGB II). Die regelmäßig dreimonatige Dauer der Sanktion kann bei Unter-25-Jährigen nach § 31 b Absatz 1 Satz 4 SGB II unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzt werden. Bei einer Minderung des Arbeits­lo­sen­geldes II um mehr als 30 % des Regelbedarfs können auf Antrag ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (Gutscheine) erbracht werden (§ 31 a Abs. 3 Satz 1 SGB II).

Quelle: Sozialgericht Leipzig/ra-online

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