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Sozialgericht Leipzig Urteil16.06.2015
Kürzung des "Hartz IV"-Regelbedarfs um 100 % wegen Pflichtverletzung eines noch nicht 25 Jahre alten Leistungsemfängers rechtmäßigSchärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen soll Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Personengruppe frühzeitig verhindern
Der im Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehene vollständige Wegfall des Regelbedarfs beim erstmaligen Pflichtverstoß eines Leistungsempfängers, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies entschied das Sozialgericht Leipzig.
Der damals 23-jährige Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls bezog bis Juli 2014 Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV"). Das Jobcenter wies ihn einer Arbeitsgelegenheit zu, bei der er gegen eine Mehraufwandsentschädigung von 1,50 Euro pro Stunde an 20 Wochenstunden gebrauchte Möbel aufbereiten sollte. Nachdem der Kläger diese Arbeitsgelegenheit nicht wahrgenommen hatte, senkte das Jobcenter den Regelbedarf zunächst in den Monaten März bis Mai 2014 um 100 % ab und erbrachte lediglich Leistungen für Unterkunft und Heizung. Der Sanktionszeitraum wurde sodann im Widerspruchsverfahren durch das Jobcenter im Ermessenswege auf sechs Wochen vom 1. März bis 11. April 2014 verkürzt. Auf entsprechende Anträge hin wurden dem Kläger für den Sanktionszeitraum Gutscheine für Sachleistungen im Wert von insgesamt 300 Euro gewährt.
Kläger hält Sanktionsregelung für verfassungswidrig
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass die Sanktionsregelung für Unter-25-Jährige* verfassungswidrig sei; sie stelle insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) dar, da eine Ungleichbehandlung zwischen Über-25-Jährigen und Unter-25-Jährigen nicht gerechtfertigt sei.
Minderung des Regelbedarfs bei erster Pflichtverletzung verstößt nicht gegen Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum
Das Sozialgericht Leipzig ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die im Gesetz für Unter-25-Jährige vorgesehene Minderung in Höhe von 100 % des maßgebenden Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung verstoße nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Auch dieses Grundrecht gewährleiste nämlich keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Erbringung von voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Schutz des Grundrechts sei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere dadurch gewährleistet, dass der Sanktionszeitraum auf sechs Wochen beschränkt werden könne und eine Unterdeckung der physisch existentiellen Bedarfe aufgrund der Gewährung von Gutscheinen fast auszuschließen sei. Auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die schärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen sei geeignet, das gesetzgeberisch verfolgte Ziel zu fördern, Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Personengruppe frühzeitig zu verhindern. Dabei habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Effektivität des von der Sanktion ausgehenden Abschreckeffektes eine Einschätzungs-prärogative. Deshalb und mangels einschlägiger wissenschaftlicher Analysen zur Wirkung von Sanktionen auf Unter-25-Jährige könne im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine mildere Sanktion die gleiche Wirkung erziele.
Erläuterungen
* Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte u. a. dann ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit aufzunehmen. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mindert sich das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nicht nur wie bei den Über-25-Jährigen um 30 %, sondern um 100 % der Regelleistung (§ 31 a Abs. 2 Satz1 SGB II). Die regelmäßig dreimonatige Dauer der Sanktion kann bei Unter-25-Jährigen nach § 31 b Absatz 1 Satz 4 SGB II unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzt werden. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des Regelbedarfs können auf Antrag ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (Gutscheine) erbracht werden (§ 31 a Abs. 3 Satz 1 SGB II).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.07.2015
Quelle: Sozialgericht Leipzig/ra-online
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