21.11.2024
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Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil22.11.2019

Abgasskandal: Gebraucht­wagen­käuferin hat Anspruch auf SchadensersatzOLG bejaht Haftung der Volkswagen AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

Das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht hat entschieden, dass die Käuferin eines Gebrauchtwagens, in dem der Dieselmotor der Baureihe EA 189 verbaut ist, von der Volkswagen AG die Zahlung von Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verlangen kann.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls kaufte im August 2009 von einem Fahrzeughändler einen gebrauchten Pkw VW Golf 6 Trendline 2, TDI zu einem Preis von 24.100 Euro. Das Fahrzeug wies zum Kaufzeitpunkt einen Kilometerstand von 7.000 km auf. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 verbaut, deren Hersteller die Beklagte ist. Im November 2017 forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen auf. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Fahrzeugs und die Erstattung des Kaufpreises ab. Im Juli 2018 ließ die Klägerin das von der Beklagten angebotene Software-Update aufspielen, da sonst die Stilllegung des Fahrzeugs drohte.

LG weist Klage ab, OLG gibt ihr überwiegend statt

Vor dem Landgericht Lübeck verlangte die Klägerin sodann u. a. die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg. Das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungs­ent­schä­digung.

Erwar­tungs­haltung der Käufer wurde durch Inver­kehr­bringen der mangelhaften Fahrzeuge in besonders krassem Maße enttäuscht

Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des von ihr gezahlten Kaufpreises ergibt sich aus §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte hat durch das Inver­kehr­bringen des Fahrzeugs gegen die guten Sitten verstoßen. In dem Fahrzeug ist eine gesetzlich unzulässige Abschalt­ein­richtung im Sinne von Art. 5 Abs. II VO (EG) Nr. 715/2007 verbaut. Der Einbau dieser Abschalt­vor­richtung stellt unter mehreren Gesichtspunkten ein verwerfliches Verhalten dar. So hat die Beklagte zielgerichtet die Entwicklung einer gesetzlich unzulässigen Abschalt­ein­richtung vorangetrieben, damit die Baureihe die gesetzlich vorge­schriebenen Grenzwerte für Stickoxid im Prüfstand einhalten und so eine Typgenehmigung erhalten konnte. Diese Software war darüber hinaus für den Käufer nicht erkennbar, sodass die Beklagte von einem geringen Entde­ckungs­risiko ausgehen konnte, was wiederum zu einem erhöhten Schaden­s­po­tenzial führt. Überdies hat die Beklagte noch nach der Aufdeckung der vorsätzlichen Geset­zes­verstöße in der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 nur von "Unregel­mä­ßig­keiten" der Software gesprochen, ohne offen zuzugeben, dass sie bewusst eine gesetzlich unzulässige Abschalt­ein­richtung eingebaut hat. Haftungs­be­gründend ist es aber insbesondere, dass die Beklagte durch das Inver­kehr­bringen derartiger Fahrzeuge in besonders krassem Maße eine Erwar­tungs­haltung der Käufer enttäuscht hat, die sie selbst zuvor maßgeblich mit hervorgerufen hatte. So hat der Käufer eines Kraftfahrzeugs, dessen Hersteller bereits Jahrzehnte erfolgreich am Markt tätig ist, die erkennbare Erwar­tungs­haltung, ein sowohl den gesetzlichen Vorschriften entsprechendes als auch technisch ausgereiftes und daher langlebiges Fahrzeug zu kaufen.

Fehlende Kenntnis des Vorstands vom Einsatz der Umschalts­oftware nicht dargelegt

Auch wenn nicht feststeht, welcher Mitarbeiter der Beklagten für die Entwicklung und den Einsatz der unzulässigen Abschal­tungs­vor­richtung verantwortlich ist, muss sich die Beklagte den Einbau in entsprechender Anwendung des § 31 BGB zuzurechnen lassen. Der Behauptung der Klägerin, dass der damalige Vorstands­vor­sitzende Dr. Martin Winterkorn bereits im Jahre 2008 Kenntnis von der streit­ge­gen­ständ­lichen Software gehabt habe, ist die Beklagte nicht ausreichend entge­gen­ge­treten. Es ist naheliegend und ergibt sich aus der gesetzlichen Grundkonzeption der Verant­wort­lich­keiten innerhalb einer Aktien­ge­sell­schaft, dass der Vorstand an der Entscheidung über den Einsatz der Software beteiligt war. Die Beklagte hätte deshalb durch eine detaillierte und nachvoll­ziehbare Darstellung der Gesche­hens­a­bläufe darlegen müssen, aus welchen Gründen die Verant­wort­lichen und insbesondere der Vorstand der Beklagten keine Kenntnis vom Einsatz der Umschalts­oftware hatten. Daran fehlt es.

Verhalten der Beklagten ist ursächlich für Entstehung des Schadens

Der Klägerin ist ein Schaden schon dadurch entstanden, dass sie ein Fahrzeug erworben hat, das sie in Kenntnis der wahren Tatsachen nicht erworben hätte. Insoweit ist ungewiss, welche Auswirkungen der dauerhafte Betrieb des Motors in einem ursprünglich nur für den Prüfstandlauf entwickelten Betriebsmodus auf die Haltbarkeit des Motors und des Fahrzeugs insgesamt haben wird. Gerade weil die Beklagte in verwerflicher Weise unter vorsätzlicher Begehung von Geset­zes­ver­stößen die Ursache für die nachvoll­ziehbaren Befürchtungen der Klägerin gesetzt hat, ist es gerechtfertigt, bereits den Abschluss eines solchen Vertrags als Schaden einzuordnen. Das Verhalten der Beklagten ist auch ursächlich für die Entstehung dieses Schadens. Beim Erwerb eines noch "jungen" Gebrauchtwagens von einem VW-Vertragshändler spricht bereits die Lebens­wahr­schein­lichkeit dafür, dass die von der Beklagten hervorgerufene Erwar­tungs­haltung eines Käufers zumindest mitursächlich für die Kaufent­scheidung war.

Kunde auf größtmögliche Sorgfalt und Einhaltung gesetzlicher Normen durch Hersteller vertrauen dürfen

Der Schaden, der sich daraus ergibt, dass sich die Klägerin an einem Vertrag festhalten lassen muss, den sie in Kenntnis des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten so nicht abgeschlossen hätte, ist durch das Aufspielen des Software-Updates im Juli 2018 nicht entfallen. Der Schaden in Form der Eingehung einer Vertrags­be­ziehung steht im Übrigen auch offenkundig in einem inneren Zusammenhang mit dem sittenwidrigen Verhalten selbst. Gerade bei technischen Geräten, die ein Endkunde nicht ohne weiteres selbst auf Funktionalität und Einhaltung gesetzlicher Vorschriften überprüfen kann, muss der Kunde darauf vertrauen dürfen, dass der Hersteller bei Entwicklung und Herstellung die größtmögliche Sorgfalt walten lässt und insbesondere nicht vorsätzlich gesetzliche Normen verletzt.

Nutzungsvorteil ist anzurechnen

Steht der Klägerin somit ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu, so muss sich die Klägerin nach den Grundsätzen der Vorteils­aus­gleichung die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Bei der Berechnung dieser Nutzungen geht das Oberlan­des­gericht von einer durch­schnitt­lichen Fahrleistung des streit­ge­gen­ständ­lichen Dieselfahrzeugs von 300.000 km aus.

Zahlungs­an­spruch ist ab Zeitpunkt der Rechts­hän­gigkeit der Klage zu verzinsen

Der Zahlungs­an­spruch der Klägerin ist auch zu verzinsen, jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Rechts­hän­gigkeit der Klage und nicht schon ab dem Zeitpunkt der Kaufpreis­zahlung. Zwar wurde der Klägerin aufgrund der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte der Kaufpreis im Sinne von § 849 BGB entzogen. Allerdings erhielt sie dafür eine andere Sache zur Nutzung überlassen, nämlich das fahrbereite und im Übrigen voll funktionsfähige Fahrzeug, sodass die fehlende Nutzbarkeit der Kaufsumme in der Folgezeit ausreichend kompensiert worden ist.

Quelle: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht/ra-online (pm/kg)

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