21.11.2024
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Sozialgericht Gießen Urteil01.02.2019

"Fume-Event": Auftreten eines Geruchs bei Verkehrsflügen allein erfüllt nicht ohne weiteres Tatbestandes eines ArbeitsunfallsFür Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist mit dem Geruch verbundene chemisch-toxische Belastung im Vollbeweis zu sichern

Das Auftreten eines Geruchs (sogenannter "Fume-Event") bei Verkehrsflügen der zivilen Luftfahrt stellt für sich allein keine Einwirkung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar. Vielmehr ist zur Erfüllung des Tatbestandes eines Arbeitsunfalls eine mit diesem Geruch verbundene chemisch-toxische Belastung im Vollbeweis zu sichern. Als anspruchs­begründende Tatsache trägt hierfür im Zweifelsfall der bzw. die Versicherte die Beweislast. Eine Bewei­ser­leich­terung oder Beweis­la­st­umkehr kommt bei Flügen mit vielen Besatzungs­mit­gliedern und mehreren hundert Passagieren höchstens dann in Betracht, wenn eine Vielzahl von Versicherten oder Passagieren in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Flug erkrankt. Dies geht aus einer Entscheidung des Sozialgerichts Gießen hervor.

Seit einigen Jahren berichten Piloten, Stewardessen und Flugbegleiter vermehrt über Erkrankungen aufgrund Kabinenluft. In Flugzeugen treten immer wieder und aus unter­schied­lichen Ursachen Gerüche auf, die die Betroffenen als unangenehm empfinden und denen sie im Flugzeug auch nicht ausweichen können. Bei den meisten Verkehrs­flug­zeugen wird die Frischluft für Kabine und Cockpit an den Triebwerken als sogenannte Zapfluft abgegriffen. Hierbei kann es zum Eintrag von geringen Mengen von Ölen oder deren Zerset­zungs­pro­dukten in die Luftströmung kommen. Besondere Vorkommnisse, bei denen in der Kabine plötzlich ein beißender, miefiger Geruch wahrgenommen wird, bezeichnet die Wissenschaft dabei als "Fume-Event". Umstritten ist, ob aus diesem Vorgang oder aus Gerüchen anderer Ursache Gefährdungen für die Gesundheit von Crewmitgliedern und Passagieren erwachsen können. Als Ursache wird Trikre­syl­phosphat (TCP), ein Organophosphat und chemischer Zusatzstoff des Turbinenöls, der im Verdacht steht, gesundheitliche Beschwerden auszulösen, genannt.

Berufs­ge­nos­sen­schaft lehnt Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab

Die 1979 geborene, in Gießen lebende Klägerin des zugrunde liegenden Falls war bei der Lufthansa AG als Flugbegleiterin tätig. Im Oktober 2011 begab sie sich in ärztliche Behandlung. Ihren Angaben zufolge war es am 9. Oktober 2011 bei einem Langstre­ckenflug zu einem Fume-Event an Bord ihres Flugzeugs gekommen. Im Juni 2012 beantragte die Klägerin bei der zuständigen Unfall­ver­si­cherung, der Berufsgenossenschaft Verkehrs­wirt­schaft Post-Logistik Telekom­mu­ni­kation, die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Mit Bescheiden vom 28. Mai 2013 und 14. November 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil nicht feststehe, dass gesund­heits­ge­fährdende Gefahrstoffe in das Flugzeug eingetreten seien. Mit ihrer im Dezember 2012 erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass bei ihr ein Arbeitsunfall vorliege.

Chemisch-toxische Belastung während des Fluges nicht nachweisbar

Nach weiteren umfassenden medizinischen Ermittlungen wies das Sozialgericht Gießen die Klage ab. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine toxische Einwirkung auf dem Flug stattgefunden habe. Voraussetzung für die Feststellung eines Arbeitsunfalles sei, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschä­di­gungs­leis­tungen beansprucht werden, nachgewiesen seien. Dagegen genüge für die Anerkennung einer Gesund­heits­s­törung als Folge schädigender Einwirkungen die Wahrschein­lichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Der Vollbeweis sei dann geführt, wenn die beweis­be­dürftige Tatsache mit Gewissheit nachgewiesen sei. Hieran fehle es. Das Gericht übersehe nicht, dass zahlreiche Aspekte dieses Themenkomplexes wie etwa die Möglichkeit, dass das Auftreten von sogenannten Fume-Events mit im Verfahren zur Gewinnung der Kabinenluft in Zusammenhang stehe, bisher ungeklärt oder umstritten seien. Dies führe aber nicht dazu, dass bei sämtlichen subjektiv oder objektiv wahrgenommenen Geruchs­ver­än­de­rungen während eines Fluges eine Bewei­ser­leich­terung oder sogar eine Beweis­la­st­umkehr eintrete. Dies sei lediglich dann denkbar, wenn auf einem solchen Flug Passagiere und Versicherte in größerer Zahl nachweislich erkranken würden, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei. Fest stehe lediglich, dass ein unangenehmer Geruch von der Klägerin und anderen Crewmitgliedern wahrgenommen worden sei. Eine chemisch-toxische Belastung sei weder während des Fluges noch danach gesichert worden.

Quelle: Sozialgericht Gie0en/ra-online (pm/kg)

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