Dokument-Nr. 3714
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Sozialgericht Detmold Urteil29.03.2006
SG Detmold verurteilt Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für "Lorenzos Öl"Öl hat spürbar positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf und darf daher nicht aus dem Leistungskatalog ausgenommen werden
Eine Krankenkasse muss die Kosten für das Spezialöl - bekannt unter dem Namen Lorenzos Öl - zu übernehmen. Das entschied das Sozialgericht auf die Klage einer 42-jährigen Frau, die unter einer seltenen genetisch bedingten Fettstoffwechselstörung (Adrenoleukodystrophie – ALD) leidet. Als Folge der Erkrankung treten neurologische Schädigungen der Nerven und des Rückenmarks auf. Nach Ausbruch der Krankheit können die Patienten erblinden, werden taub und können nicht mehr laufen. Bei der Klägerin besteht eine Gangunsicherheit mit deutlicher Verschlechterung seit Mitte 2002.
Das durch das Schicksal von Lorenzo Odone bekannt gewordene Öl, das von seinen Eltern Augusto und Michaela Odone entwickelt wurde, um damit die Krankheit ALD bei ihrem Sohn zu behandeln, ist - so das Gericht - als Arzneimittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann ein Erzeugnis nicht gleichzeitig Arznei und Lebensmittel sein. Die Einordnung eines Produktes als Arzneimittel oder Lebensmittel orientiert sich an objektiven Merkmalen der überwiegenden Zweckbestimmung, wie diese sich für eine durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verwender dieser Mittel darstellt und wie sie der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft entspricht. In diesem Sinne sind die in Lorenzos Öl enthaltenen ungesättigten Fettsäuren als Lebensmittel zu qualifizieren. Sie sind nämlich nicht dazu bestimmt, durch ihre Anwendung körperliche Funktionen zu beeinflussen. Die Arzneimittelrichtlinien, in denen geregelt ist, in welchen Fällen lebensmittelähnliche oder diätetische Produkte von der Krankenkasse zur Behandlung bestimmter Erkrankungen zu finanzieren sind, eröffnen keine Möglichkeit, Lorenzos Öl als Arzneimittel zu qualifizieren.
Ein Leistungsausschluss kann hiermit – so das Sozialgericht – jedoch nicht begründet werden. Die verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Rechtsnorm gebietet es vielmehr, therapeutische Mittel, die nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung des ärztlichen Anwenders einen wenigstens spürbar positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf haben, nicht aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen. Dies gilt unter Berücksichtigung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 wenn Versicherte, die an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leiden, bekannte Behandlungsmethoden noch nicht vorliegen und Indizien gegeben sind, die für einen positiven Einfluss auf die Erkrankung sprechen. Die langjährige praktische Erfahrung des die Klägerin behandelnden Arztes mit ebenfalls an ALD erkrankten Patienten belegt – so das Gericht – seine Kompetenz, eine Aussage über den medizinischen Nutzen von Lorenzos Öl zu treffen. Insbesondere die Anwendung über mehr als 10 Jahre, ohne dass schwerwiegende Nebenwirkungen aufgetreten sind, begründet die Wahrscheinlichkeit, dass die Behandlung mit dem Spezialöl die Krankheitsprogression verzögert.
siehe auch
Hessisches Landessozialgericht verurteilt Krankenkasse zur Kostenübernahme für "Lorenzos Öl"
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.01.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des SG Detmold vom 12.12.2006
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