Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt Urteil15.06.2017
Keine Pflicht des Unfallgeschädigten zur Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung zwecks Reduzierung von MietwagenkostenKein Verstoß gegen Schadensminderungspflicht bei unterlassener Inanspruchnahme
Ein Unfallgeschädigter ist nicht verpflichtet, zwecks Reduzierung der unfallbedingten Mietwagenkosten seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Bei unterlassener Inanspruchnahme liegt kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor. Dies hat das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt entschieden.
In dem zugrunde liegenden Fall nahm die Geschädigte eines Verkehrsunfalls vom November 2015 die gegnerische Haftpflichtversicherung wegen der Erstattung von Mietwagenkosten in Anspruch. Die Unfallgeschädigte hatte für die 65 Tage, die es dauerte bis ihr beschädigtes Fahrzeug repariert wurde, einen Mietwagen genutzt. Sie hatte frühzeitig nach dem Unfall engmaschig und wiederholt Anfragen bzw. Aufforderungen an die gegnerische Haftpflichtversicherung gesandt, mit der Bitte um Übernahme der Reparaturkosten. Die Unfallgeschädigte war finanziell nicht in der Lage, die Reparaturkosten aus eigener Tasche oder mit Hilfe eines Kredits zu zahlen. Die Anfragen hat die Versicherung abgesehen von dem Hinweis, die Haftungsfrage sei unklar, weil keine Schadensanzeige ihres Versicherungsnehmers vorliege, unbeantwortet gelassen. Die Haftpflichtversicherung warf der Unfallgeschädigten nunmehr einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor. Sie hätte ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen müssen, um das Fahrzeug schneller reparieren zu können. Die Unfallgeschädigte sah dies anders und erhob Klage.
Landgericht wies Klage ab
Das Landgericht Halle wies die Klage ab. Seiner Auffassung nach habe die Klägerin zwecks Ermöglichung eines sofortigen Reparaturbeginns ihre Vollkaskoversicherung beanspruchen müssen. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Berufung ein.
Oberlandesgericht verneint Verstoß gegen Schadensminderungspflicht
Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt entschied zu Gunsten der Klägerin und hob daher die Entscheidung des Landgerichts auf. Der Klägerin stehe der Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten in voller Höhe zu. Sie habe nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, indem sie es unterließ, ihre Vollkaskoversicherung zwecks Reparatur ihres Fahrzeugs in Anspruch zu nehmen. Sinn und Zweck einer Vollkaskoversicherung sei nicht die Entlastung des Schädigers. Vielmehr biete sie für die Fälle Versicherungsschutz, in denen dem Versicherungsnehmer ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibe.
Verzögerung der Schadensregulierung durch Haftpflichtversicherung
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht sei insbesondere im vorliegenden Fall zu verneinen, so das Oberlandesgericht, weil die Beklagte völlig passiv geblieben sei und die Klägerin mit der Situation der fortdauernden Schadensvergrößerung allein gelassen habe. Es sei in erster Linie Aufgaben des Schädigers bzw. der Beklagten als seine Haftpflichtversicherung gewesen, den Zeitraum, in dem das beschädigte Fahrzeuge unfallbedingt nicht zur Verfügung stand, zu begrenzen und damit eine Vergrößerung des Schadens durch Mietwagenkosten zu verhindern.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.11.2018
Quelle: Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, ra-online (vt/rb)