Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat viele Jahre das Fehlen eines besonderen Rechtsschutzes bei unangemessen langen Verfahren in Deutschland beanstandet. Mit seinem Urteil vom 6. Juli 2010 (Beschwerde-Nr. 46344/06) betonte der EGMR erneut, dass bei überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren neben dem in Artikel 6 Absatz 1 EMRK garantierten Recht auf ein faires und zügiges Verfahren auch das in Artikel 13 EMRK verbürgte Recht auf wirksame Beschwerde verletzt sein kann. Der Gerichtshof befand einstimmig, dass Deutschland unverzüglich, spätestens aber innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft dieses Urteils, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einführen muss.
Diesem Anliegen ist die Bundesrepublik Deutschland mit dem am 3. Dezember 2011 in Kraft getretenen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nachgekommen. Das Gesetz führt für überlange Gerichtsverfahren einen Entschädigungsanspruch ein, der materielle sowie immaterielle Nachteile umfasst (§ 198 Abs. 1 GVG). Der Anspruch setzt voraus, dass der Betroffene vor dem mit der Hauptsache befassten Gericht die Verfahrensdauer gerügt hat (sog. Verzögerungsrüge, § 198 Abs. 3 GVG).
*§ 198 Abs. 1 GVG: Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
§ 198 Abs. 2 GVG: Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.