21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.02.2019

BVerfG zur Darlegungslast bei Urheber­rechts­verletzungen durch FilesharingSchweigen aus taktischen Erwägungen zum Schutz der Familie darf nicht Umgehung der Haftung für Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums dienen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG einer zivil­pro­zes­sualen Obliegenheit der Inhaber eines Inter­ne­t­an­schlusses nicht entgegensteht, zu offenbaren, welches Famili­en­mitglied den Anschluss genutzt hat, wenn über den Anschluss eine Ur­heber­rechts­verletzung begangen wurde. Das Gericht nahm damit die Verfassungs­beschwerde eines Elternpaares gegen eine Verurteilung zu Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten nicht zur Entscheidung an. Das Elternpaar wusste zwar, welches seiner Kinder Musikinhalte urheber­rechts­widrig öffentlich zugänglich gemacht hatte, hatte dies aber im Zivilprozess nicht offengelegt. Aus Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich danach zwar ein Recht, Famili­en­mit­glieder nicht zu belasten, nicht aber ein Schutz vor negativen prozessualen Folgen dieses Schweigens.

Die Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens sind als Ehepaar gemeinsame Inhaber eines Inter­ne­t­an­schlusses. Über den Anschluss wurde ein Musikalbum mittels einer sogenannten Filesharing-Software in einer Internet-"Tauschbörse" zum Herunterladen angeboten. Der Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens (im Folgenden: Klägerin) stehen die Verwer­tungs­rechte an den betroffenen Musiktiteln zu. Die Beschwer­de­führer gaben auf die Abmahnung der Klägerin eine Unter­las­sungs­ver­pflich­tungs­er­klärung ab, verweigerten aber die Zahlung von Schadensersatz und Rechts­an­walts­kosten. Sie selbst hätten ihren Anschluss während der maßgeblichen Zeit nicht genutzt; sie wüssten zwar, dass eines ihrer Kinder den Anschluss genutzt hätte, wollten aber nicht offenbaren, welches. Das Landgericht verurteilte sie zur Zahlung von Schadensersatz und Erstattung außer­ge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten wegen Urheber­rechts­ver­letzung. Berufung und Revision blieben in der Sache erfolglos.

BVerfG verneint Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Geset­zes­aus­legung in den angegriffenen Entscheidungen die Beschwer­de­führer nicht in ihrem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Zwar liegt ein Eingriff in dessen Schutzbereich vor, der die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt und auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern umfasst. Famili­en­mit­glieder sind danach berechtigt, ihre Gemeinschaft in familiärer Verant­wort­lichkeit und Rücksicht frei zu gestalten.

Beein­träch­tigung des familiären Schutzbereichs gerechtfertigt

Allerdings ist diese Beein­träch­tigung gerechtfertigt. Die Auslegung der entschei­dungs­er­heb­lichen Normen - § 97 Abs. 2 Satz 1, § 85 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 138 ZPO - durch den Bundes­ge­richtshof und durch die Instanzgerichte verletzt nicht das Grundrecht der Beschwer­de­führer aus Art. 6 Abs. 1 GG. Dem Schutz des Art. 14 GG, auf den sich die Klägerin als Rechteinhaberin berufen kann, kommt in Abwägung der wider­strei­tenden Grund­rechtsgüter im Streitfall ebenfalls ein erhebliches Gewicht zu.

Abwägung der Belange des Eigen­tums­schutzes mit Belangen des Famili­en­schutzes korrekt erfolgt

Die Fachgerichte sind bei Abwägung der Belange des Eigen­tums­schutzes mit den Belangen des Famili­en­schutzes den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen gerecht geworden. Nach der Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs müssen die Beschwer­de­führer zur Entkräftung der Vermutung für ihre Täterschaft als Anschluss­inhaber ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verlet­zungs­handlung mitteilen und auch aufdecken, welches ihrer Kinder die Verlet­zungs­handlung begangen hat, sofern sie davon Kenntnis erlangt haben. Diese Abwägung trägt dem Erfordernis praktischer Konkordanz ausreichend Rechnung und hält sich jedenfalls im Rahmen des fachge­richt­lichen Wertungsrahmens. Die Ausstrah­lungs­wirkung der von den Entscheidungen berührten Grundrechte ist bei der Auslegung von § 138 ZPO hinreichend beachtet.

Gerichtlicher Durchsetzung von Grund­rechts­po­si­tionen muss angemessen Rechnung getragen werden

Zwar kennt das Zivil­pro­zessrecht einen Schutz vor Selbst­be­zich­ti­gungen und findet die Wahrheits­pflicht einer Partei dort ihre Grenzen, wo sie gezwungen wäre, etwa eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren. Entsprechendes dürfte gelten, wenn es um Belastungen von nahen Angehörigen geht. Den grundrechtlich gegen einen Zwang zur Selbst­be­zich­tigung geschützten Prozessparteien und Verfah­rens­be­tei­ligten kann dann aber das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsa­chen­wür­digung auferlegt werden. Ein weitergehender Schutz ist verfas­sungs­rechtlich nicht geboten. Vielmehr ist auch der gerichtlichen Durchsetzung von Grund­rechts­po­si­tionen - hier dem nach Art. 14 GG geschützten Leistungs­schutzrecht des Rechteinhabers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG - angemessen Rechnung zu tragen.

Familiäres Schweigen muss Haftung nicht generell ausschließen

Der Bundes­ge­richtshof berücksichtigt, dass Rechteinhaber zur Durchsetzung ihrer Rechte in Filesharing-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit haben, zu Umständen aus dem ihrem Einblick vollständig entzogenen Bereich der Internetnutzung durch den Anschluss­inhaber vorzutragen oder Beweis zu führen. Zugunsten der Klägerin als Inhaberin des Art. 14 GG unterfallenden Leistungs­schutz­rechts berücksichtigt er damit deren Interesse an einer effektiven Durchsetzung ihrer urheber­recht­lichen Position gegenüber unberechtigten Verwer­tungs­hand­lungen. Die Beein­träch­tigung der familiären Beziehungen der Beschwer­de­führer hält er dabei in Grenzen. Denn Familien­an­ge­hörige müssen sich nicht gegenseitig belasten, wenn der konkret Handelnde nicht ermittelbar ist. Vielmehr tragen sie nur das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsa­chen­wür­digung, wenn sie die Darlegungs- und Bewei­san­for­de­rungen nicht erfüllen. Die Möglichkeit, innerfamiliäre Spannungen und Verhältnisse durch Schweigen im Prozess zu verhindern oder jedenfalls nicht nach außen tragen zu müssen, führt umgekehrt nicht dazu, dass dieses Schweigen eine Haftung generell - also ohne prozessuale Folgen - ausschließen müsste. Die zur Wahrung von Art. 6 GG gewährte faktische "Wahlmöglichkeit" im Zivilprozess, innerfamiliäres Wissen zu offenbaren oder aber zu schweigen, kann bei der Tatsa­chen­wür­digung keinen Vorrang vor der Durchsetzung des Art. 14 GG unterfallenden Leistungs­schutz­rechts beanspruchen. Der Schutz der Familie dient nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Der bloße Umstand, mit anderen Famili­en­mit­gliedern zusammenzuleben, führt nicht automatisch zum Haftungs­aus­schluss für den Anschluss­inhaber. Soweit die Beschwer­de­führer geltend machen, es gebe bessere und im Verhältnis zu der Zivil­recht­sprechung in ähnlich gelagerten Fällen konsistentere Lösungen für den Ausgleich zwischen den Rechts­po­si­tionen der Inhaber geistiger Eigentumsrechte und deren Nutzern, fällt dies verfas­sungs­rechtlich nicht ins Gewicht. Ob es darüber hinaus gerechtfertigt wäre, dem Anschluss­inhaber auch Nachforschungs- oder Nachfra­ge­pflichten aufzuerlegen, bedurfte keiner Entscheidung.

Fachgerichte sind im Anwen­dungs­bereich der Urheber­rechts­richtlinie und der Durch­set­zungs­richtlinie an Grundrechte des Grundgesetzes gebunden

Aus den europäischen Grundrechten ergibt sich nichts anderes. Insbesondere steht das Recht der Europäischen Union nicht schon der Anwendbarkeit der Grundrechte des Grundgesetzes entgegen. Denn soweit das Unionsrecht nicht abschließend zwingende Vorgaben macht, bleiben die Grundrechte des Grundgesetzes anwendbar. In dem Rahmen, in dem den Mitgliedstaaten Umset­zungs­spielräume belassen sind, sind die Fachgerichte folglich auch im Anwen­dungs­bereich der Urheber­rechts­richtlinie und der Durch­set­zungs­richtlinie an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Dies ist für die Durchsetzung der urheber­recht­lichen Ansprüche nach Maßgabe des nicht harmonisierten Zivil­ver­fah­rens­rechts der Fall. Die Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs bildet die unions­recht­lichen Anforderungen zutreffend ab.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm)

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