Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Urteil20.09.2018
Auskunftsklage hinsichtlich Aktenvernichtung im NSU-Verfahren gegen Bundesamt für Verfassungsschutz teilweise erfolgreichBundesamt muss Auskunft über Dauer des Ermittlungsverfahrens, Umfang der Ermittlungsakte, Zahl befragter Personen und zum möglichen eigenmächtig Handeln des Beamten erteilen
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz einem Journalisten bestimmte Auskünfte erteilen muss, die dieser über das Disziplinarverfahren begehrt, das gegen einen seiner Beamten wegen der Vernichtung von Akten geführt wurde.
Kurz nach Bekanntwerden der Terrorismusorganisation NSU im November 2011 vernichtete ein Beamter des Bundesamtes für Verfassungsschutz einige der dort geführten Akten zu V-Leuten in der rechten Szene. Aus diesem Grund wurde gegen den Beamten mit dem Tarnnamen "Lothar Lingen" ein Disziplinarverfahren geführt. Der Kläger des zugrunde liegenden Falls, ein Journalist, begehrte vom Bundesamt Auskunft über das Disziplinarverfahren. Vor allem wollte er wissen, wie das Verfahren ausgegangen ist und mit welchem Aufwand das Bundesamt die disziplinarischen Ermittlungen geführt hatte.
Das Verwaltungsgericht Köln hatte der darauf gerichteten Klage des Journalisten weitgehend entsprochen.
Bundesamt muss keine Auskunft über Vermutungen der Kollegen über Tatmotive erteilen
Das Oberverwaltungsgericht änderte auf die Berufung des Bundesamtes das Urteil teilweise ab. Über den konkreten Ausgang des Verfahrens und die von Kollegen des Beamten möglicherweise angestellten Vermutungen über dessen Motive müsse das Bundesamt keine Auskunft geben. Demgegenüber seien insbesondere Informationen zur Dauer des Ermittlungsverfahrens, zum Umfang der Ermittlungsakte, zur Zahl der befragten Personen und zur Frage, ob der Beamte eigenmächtig gehandelt habe, zu erteilen.
Öffentliches Interesse überwiegt Persönlichkeitsinteresse des Beamten und Vertraulichkeitsinteresse des Dienstherrn
Dabei ist ging das Gericht in seinen Erwägungen davon aus, dass dem durch das Grundrecht der Pressefreiheit geschützten Berichterstattungsinteresse des Klägers und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorliegend ein überragendes Gewicht zukomme. In der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung zu den von den Mitgliedern des NSU verübten Morden und weiteren Straftaten habe von Anfang an auch die Frage eines Versagens der Sicherheitsbehörden breiten Raum eingenommen. Insbesondere der Vorgang der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz habe Mutmaßungen begründet, dass es auch auf Seiten des Bundesamtes Fehleinschätzungen, Nachlässigkeiten und Pflichtwidrigkeiten gegeben habe, ohne die der NSU-Terror möglicherweise ein früheres Ende gefunden hätte. Das hieraus resultierende öffentliche Interesse überwiege mit Blick auf einen Teil der Fragen das Persönlichkeitsinteresse des Beamten und das Vertraulichkeitsinteresse seines Dienstherrn, der Bundesrepublik Deutschland. Dass die Disziplinarvorgänge inzwischen gegen den Beamten nicht mehr verwertet werden dürften, stehe der Auskunftserteilung im vorliegenden Einzelfall nicht entgegen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.09.2018
Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen/ra-online