21.11.2024
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Dokument-Nr. 29173

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Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss08.09.2020

OVG Nordrhein-Westfalen kippt Verbot sexueller Dienst­leis­tungenVollständige Untersagung aller sexuellen Dienst­leis­tungen derzeit nicht mehr verhältnismäßig

Mit Eilbeschluss hat das Ober­verwaltungsg­ericht Münster die Untersagung des Angebots von sexuellen Dienst­leis­tungen in und außerhalb von Prostitutions­stätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in der Corona­schutz­verordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt.

Im vorliegenden Fall war der Antragsteller ein Unternehmen, das in Köln ein Erotik-Massagestudio betreibt.

Vollständige Untersagung sexuellen Dienst­leis­tungen unver­hält­nismäßig

Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienst­leis­tungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit, weil es sich in der gegenwärtigen Situation nicht mehr um eine notwendige Schutzmaßnahme handele, die die damit verbundenen Grund­recht­s­ein­griffe rechtfertige. Zwar sei das Infek­ti­o­ns­ge­schehen weiterhin dynamisch und der Erlass von Schutzmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung daher grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings habe der Verord­nungsgeber mittlerweile weitgehende Lockerungen in nahezu allen gesell­schaft­lichen, sozialen und wirtschaft­lichen Bereichen zugelassen und begegne dem daraus resultierenden Infek­ti­o­ns­risiko im Grundsatz durch die Anordnung bestimmter Hygiene- und Infek­ti­o­ns­schutz­regeln. Angesichts dessen sei nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu bei der Erbringung sexueller Dienst­leis­tungen - gleich welcher Art sie seien und unter welchen Umständen sie erfolgten - nach wie vor ein vollständiger Ausschluss von Infek­ti­o­ns­ge­fahren erforderlich sei.

Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen nicht größer als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen

Bei den regelmäßig auf zwei Personen beschränkten sexuellen Kontakten dürfte die Gefahr zahlloser Infek­ti­o­ns­ketten, auf deren Vermeidung es dem Verord­nungsgeber offenbar ankomme, wohl nicht in gleichem Maße bestehen wie bei einigen der von ihm zugelassenen Veranstaltungen. Zu einer vom Land NRW angesprochenen erhöhten Atemaktivität und dem damit verbundenen vermehrten Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Aerosolen komme es gleichermaßen in Sportstätten, wo die Ausübung nicht-kontaktfreier Sportarten gestattet sei, und in Fitnessstudios. Es sei auch nicht ersichtlich, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen, die zum Teil durch eine ausgelassene Atmosphäre mit Musik, Tanz und dem Konsum alkoholischer Getränke geprägt seien und nach Angaben des Robert Koch-Instituts landesweit als Ursache größerer und kleinerer Ausbruchs­ge­schehen gelten würden.

Verbot aller sexuellen Dienst­leis­tungen mit Blick auf die Entwicklung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens nicht mehr gerechtfertigt.

Den Infek­ti­o­ns­ge­fahren bei der Erbringung sexueller Dienst­leis­tungen könne durch begleitende Hygiene- und Infek­ti­o­ns­schutz­maß­nahmen begegnet werden. Dass Infek­ti­o­ns­schutz­konzepte regelmäßig nicht umgesetzt werden könnten, sei nicht feststellbar. Die Untersagung sexueller Dienst­leis­tungen in der Coronaschutzverordnung sei in vollem Umfang vorläufig außer Vollzug zu setzen. Der festgestellte Mangel erfasse das Regelungs­konzept des Verord­nungs­gebers in Gänze, weil er sexuelle Dienst­leis­tungen, allein an die Tätigkeit anknüpfend, umfassend verbiete. Zuvor hatte der Senat mit Beschluss vom 25. Juni 2020 - 13 B 800/20.NE - entschieden, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn der Verord­nungsgeber die Erbringung von sexuellen Dienst­leis­tungen, wie sie üblicherweise in Bordellen angeboten würden, untersage, um die Weiter­ver­breitung des Coronavirus einzudämmen (vgl. Presse­mit­teilung vom 25. Juni 2020). Mit Blick auf die Entwicklung des Infek­ti­o­ns­ge­schehens und das nunmehr bestehende Gesamtkonzept des Verord­nungs­gebers ist die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienst­leis­tungen nach Auffassung des Gerichts aktuell nicht mehr gerechtfertigt.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, ra-online (pm/ab)

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