21.11.2024
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Dokument-Nr. 32748

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Urteil17.03.2023Oberverwaltungsgericht Münster4 A 1986/22, 4 A 1987/22 und 4 A 1988/22
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Oberverwaltungsgericht Münster Urteil17.03.2023

Rückforderung von Corona-Soforthilfen war rechtswidrigNicht benötigte Hilfen dürfen aber noch zurückgefordert werden

Die erfolgten (Teil-)Rückforderungen von Corona-Soforthilfen sind rechtswidrig und die Rückforderungs­bescheide deshalb aufzuheben. Das Land hat sich bei der Rückforderung nicht an die bindenden Vorgaben aus den Bewilligungs­bescheiden gehalten, wonach die Mittel ausschließlich dazu dienten, eine finanzielle Notlage abzumildern, insbesondere Finanzierungs­engpässe zu überbrücken. Wenn Zuwen­dungs­emp­fänger die Corona-Soforthilfen in dem dreimonatigen Bewilligungs­zeitraum im Frühjahr 2020 nicht oder nur teilweise zu diesen Zwecken benötigt haben, darf das Land allerdings neue Schluss­be­scheide erlassen und überzahlte Mittel zurückfordern. Das hat das Ober­verwaltungs­gericht entschieden und damit drei Urteile des Verwal­tungs­ge­richts Düsseldorf im Ergebnis bestätigt.

Die Kläger sind Selbstständige (ein freiberuflicher Steuerberater und Dozent für Steuerrecht, eine Inhaberin eines Kosmetikstudios sowie ein Betreiber eines Schnell­re­staurants), die von den infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen waren. Sie stellten im ersten Lockdown am 30. März bzw. 1. April 2020 beim Land NRW einen Antrag auf Gewährung einer Soforthilfe. Mit Bewil­li­gungs­be­scheiden vom jeweils gleichen Tag wurden ihnen Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000 Euro als einmalige Pauschale bewilligt und wenig später ausgezahlt. Nachdem die Kläger bezogen auf den dreimonatigen Bewil­li­gungs­zeitraum (März bis Mai 2020 bzw. April bis Juni 2020, je nach Zeitpunkt der Antragstellung) Einnahmen und Ausgaben rückgemeldet hatten, ergingen automatisiert Schluss­be­scheide. Darin wurde ein aus dem elektronischen Rückmel­de­formular errechneter „Liqui­di­täts­engpass“ festgestellt und die Differenz zwischen diesem und dem ausgezahlten Pauschalbetrag zurückgefordert. Das Verwal­tungs­gericht Düsseldorf hat diese Schluss­be­scheide aufgehoben.

OVG: Vorgaben der Bewil­li­gungs­be­scheide nicht beachtet

Das Oberver­wal­tungs­gericht ist dem nur im Ergebnis gefolgt und hat die Berufungen des Landes zurückgewiesen. Die Schluss­be­scheide sind rechtswidrig und aufzuheben, weil das Land die Vorgaben der Bewil­li­gungs­be­scheide nicht beachtet hat, die für die endgültige Festsetzung bindend sind. Danach diente die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung pande­mie­be­dingter finanzieller Notlagen, insbesondere zur Überbrückung von Liqui­di­täts­eng­pässen. Das später vom Land geforderte Rückmel­de­ver­fahren findet in den Bewil­li­gungs­be­scheiden keine Grundlage. Die darin von den Zuwen­dungs­emp­fängern verlangten Angaben waren ungeeignet, um die letztlich jeweils zu belassende Fördersumme unter Berück­sich­tigung der bindenden Festsetzungen der Bewil­li­gungs­be­scheide zu bestimmen. In welchem Umfang Fördermittel während des Bewil­li­gungs­zeitraums tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung der Förderung verwendet worden sind, konnte dort nicht angegeben werden. Denn darauf kam es nach dem Rechts­s­tandpunkt des Landes, das insoweit den Vorgaben des Bundes folgte, schon nicht an. Zudem sind die Schluss­be­scheide rechtswidrig, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden sind.

Überzahlte Beträge können aber zurückgefordert werden

Das Land bleibt allerdings berechtigt, die den Empfängern letztlich zustehende Soforthilfe in Form von neu zu erlassenden „Schluss­be­scheiden“ endgültig festzusetzen und die überzahlten Beträge zurückzufordern. Die Corona-Soforthilfe wurde als Billig­keits­zu­schuss in Gestalt einer einmaligen Pauschale bewilligt. Trotz missver­ständ­licher Formulierungen in den Bewil­li­gungs­be­scheiden stand die Bewilligung angesichts der noch unbekannten Entwicklung und Dauer der pande­mie­be­dingten Beschränkungen der Wirtschaft von Anfang an noch klar erkennbar zumindest unter dem Vorbehalt, ob und in welchem Umfang die bewilligten Finanzmittel für den ausschließ­lichen Zuwendungszweck benötigt würden. Jeder Empfänger einer Sofort­hil­fe­zu­wendung konnte in Nordrhein-Westfalen zwar darauf vertrauen, dass er keine Mittel zurückzahlen muss, die er während des Bewil­li­gungs­zeitraums berech­tig­terweise „zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ oder „zur Überbrückung von Liqui­di­täts­eng­pässen, die seit dem 1. März 2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind“, verwendet hatte.

Kompensation coronabedingter wirtschaft­licher Engpässe, nicht von Umsatzeinbußen

Objektiven Empfängern der Bewil­li­gungs­be­scheide musste sich aber auch aufdrängen, dass die Soforthilfe vollumfänglich nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaft­lichen Engpässe genutzt werden durfte, entsprechende Mittel­ver­wen­dungen nachzuweisen und bei Einzel­fa­ll­prü­fungen zu belegen sowie nicht zweck­ent­sprechend benötigte Mittel nachträglich zu ermitteln und zurückzuzahlen waren. Den Bewil­li­gungs­be­scheiden lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass sie auch bezogen auf die Berech­nungs­grundlagen für die Rückzahlung unter dem Vorbehalt einer noch zu entwickelnden Verwal­tung­s­praxis stehen sollten. Auch wenn in Nordrhein-Westfalen stets die Höchst­för­dersumme bewilligt worden war, finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückzahlung - abweichend vom Bundesprogramm - nur erfolgen musste, wenn dieser Betrag höher war als eine wie auch immer zu bestimmende Umsatzeinbuße. Insoweit tritt der offensichtlich nicht gemeinte Wortlaut hinter dem klar erkennbaren Förderzweck zurück.

Zweifel über Umfang der Rückzah­lungs­pflicht gehen zu Lasten des Landes

Allerdings ist unklar geblieben, ob das Land die Rückzah­lungs­pflicht ebenso wie der Bund nur davon abhängig machen wollte, dass die gewährten Mittel (vollständig) zum Ausgleich des eingetretenen Liqui­di­täts­eng­passes benötigt worden sind. Nahe liegt, dass eine Rückzahlung auch solcher Mittel nicht erfolgen sollte, die „zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen“ benötigt worden sind. Denn die Überbrückung von Liqui­di­täts­eng­pässen wurde in den Bewil­li­gungs­be­scheiden und der Erläuterung des Landes im Internet nur beispielhaft erwähnt. Soweit durch eine erkennbar irrtümlich verwendete und offensichtlich nicht wörtlich so gemeinte Formulierung des Landes über den Umfang der Rückzah­lungs­pflicht Zweifel verblieben, müssen diese zu Lasten des Landes gehen.

Corona-Soforthilfen durften vorübergehend Existenzminimum sichern

Von einem Liqui­di­täts­engpass in Gestalt vorübergehender Zahlungs­schwie­rig­keiten konnten Zuwen­dungs­emp­fänger ausgehen, sobald sie bis zum Ablauf bestehender Zahlungsfristen neben den verbliebenen laufenden Überschüssen keine ausreichenden eigenen Einnahmen - auch nicht aus weiterhin möglichen und tatsächlich abgeschlossenen Kompen­sa­ti­o­ns­ge­schäften - erzielen konnten, um Zahlungs­ver­pflich­tungen ohne Rückgriff auf Rücklagen im Rahmen des „Cashflow“ auch ohne staatliche Fördermittel noch des Selbstständigen nicht durch Sozia­l­leis­tungen abgedeckt worden war, durften bis zum 1.4.2020, 13.30 Uhr, bewilligte Mittel auch dann eingesetzt werden, wenn die Umsätze des geförderten Betriebs nicht einmal mehr ausreichten, um dieses Existenzminimum finanzieren zu können. Entge­gen­stehende Klarstellungen des Bundes waren bereits vor ihrer Veröf­fent­lichung am 30.3.2020 für Nordrhein-Westfalen vom 29.3.2020 bis zum 1.4.2020, 13.30 Uhr, außer Kraft gesetzt worden. Für spätere Bewilligungen war sowohl in den Kurzfakten des Bundes als auch in den Informationen des Landes bis zum 12.5.2020 übereinstimmend klargestellt, dass der Lebensunterhalt einschließlich der Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Hausrat etc. sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht durch die Soforthilfe, sondern durch Grund­si­che­rungs­leis­tungen nach dem SGB II abgesichert werden sollte. Der Senat hat die Revision jeweils nicht zugelassen. Dagegen kann Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde erhoben werden, über die das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entscheidet.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Münster, ra-online (pm/ab)

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