14.11.2024
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Sie sehen einen Vertrag, der gerade unterzeichnet wird und davor die ilhouetten von zwei Personen.

Dokument-Nr. 11602

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Vergleich05.05.2011Oberlandesgericht Stuttgart7 U 35/11
Vorinstanzen:
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Stuttgart Vergleich05.05.2011

Streit um Vergütung für Lebensberatung durch Kartenlegen gütlich beigelegtUnwirksamkeit des Vertrages wegen Sitten­wid­rigkeit naheliegend

Der Bundes­ge­richtshof hatte in Zusammenhang mit der Klärung des Anspruchs einer Kartenlegerin auf Vergütung bei Einsatz übernatürlicher, magischer Kräfte entschieden, dass es im Rahmen der Vertrags­freiheit zulässig sein kann, wirksam zu vereinbaren, dass eine Partei sich gegen Entgelt verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind. Nachdem das Gericht den Fall zur Klärung einer dennoch möglichen Sitten­wid­rigkeit des Vertrages an das Oberlan­des­gericht Stuttgart zurückgewiesen hatte, haben die Parteien den Streit gütlich durch Vergleich beigelegt.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls ist als Selbständige mit Gewer­be­an­meldung tätig und bietet Lebensberatung „Lifecoaching“ insbesondere durch Kartenlegen an. In einer durch Bezie­hungs­probleme ausgelösten Lebenskrise stieß der Beklagte im September 2007 im Internet auf die Klägerin. In der Folgezeit legte die Klägerin den Beklagten am Telefon in vielen Fällen zu verschiedenen - privaten und beruflichen - Lebensfragen die Karten und erteilte Ratschläge. Hierfür zahlte der Beklagte im Jahr 2008 mehr als 35.000 Euro. Für im Januar 2009 erbrachte Leistungen (insgesamt 217 telefonische Beratungs­ge­spräche, teilweise bis zu 15 Gespräche täglich) verlangte die Klägerin mit ihrer Klage weitere ca. 7.000 Euro. Darüber hinaus forderte sie für weitere Tätigkeiten im Jahr 2009 nochmals ca. 25.000 Euro vom Kläger.

Lebensberatung auf Basis gelegter Karten ist als objektiv unmöglich im Rechtssinn zu betrachten

Das Landgericht und das Oberlan­des­gericht hatten die Klage zunächst abgewiesen unter dem Hinweis, dass für eine unmögliche Leistung kein Honorar gefordert werden kann (§ 326 BGB). Auf Revision der Klägerin hatte der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart vom April 2010 aufgehoben. Der Bundes­ge­richtshof hat zwar die Annahme der Vorinstanzen bestätigt, dass eine Lebensberatung auf der Basis gelegter Karten als objektiv unmöglich im Rechtssinn zu betrachten sei, weil sie nach den Naturgesetzen und dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik schlechthin nicht erbracht werden könne. Dies sei beim Versprechen des Einsatzes übernatürlicher, „magischer“ oder parapsy­cho­lo­gischer Kräfte und Fähigkeiten grundsätzlich der Fall. Die Existenz magischer oder parapsy­cho­lo­gischer Kräfte und Fähigkeiten sei nicht beweisbar, sondern lediglich vom Glauben oder Aberglauben der Beteiligten abhängig.

Erbringung von – nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich – Leistungen gegen Entgelt im Rahmen der Vertrags­freiheit zulässig

Der Bundes­ge­richtshof hat aber weiter die Auffassung vertreten, dass es im Rahmen der Vertrags­freiheit zulässig sei, wirksam zu vereinbaren, dass eine Partei sich gegen Entgelt verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, vielmehr nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvoll­ziehbaren Haltung entsprechen.

Mögliche Sitten­wid­rigkeit ist nach den Umständen des Einzelfalls festzustellen

Darüber hinaus sei zu prüfen, ob je nach den Umständen des Einzelfalls die Sittenwidrigkeit einer solchen Beratung festzustellen ist (§ 138 BGB). In diesem Zusammenhang dürfe nicht verkannt werden, dass sich viele Ratsuchende bei Abschluss eines solchen Vertrages in einer schwierigen Lebenssituation befinden oder dass es sich bei ihnen um leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Personen handelt. In solchen Fällen dürften keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten gestellt werden.

Nach Rückweisung der Sache an das Oberlan­des­gericht einigen Parteien sich gütlich

Der Rechtsstreit war an das Oberlan­des­gericht Stuttgart zurückverwiesen worden zur Prüfung, ob die Parteien sich in Kenntnis der Unmöglichkeit der vereinbarten Leistung verpflichten wollten, sowie zur weiteren Prüfung, ob sich aus der besonderen Situation des Klägers Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des Vertrags­ver­hält­nisses wegen Sitten­wid­rigkeit ergäben. In der erneuten mündlichen Berufungs­ver­handlung haben die Parteien den Rechtstreit gütlich im Wege eines Vergleichs beigelegt, indem sich der Beklagte verpflichtete, die Klageforderung zur Hälfte zu bezahlen, im übrigen aber keine Partei von der anderen mehr etwas verlangen könne. Die Gerichtskosten tragen die Parteien zu gleichen Teilen; ihre Prozess­be­voll­mäch­tigten bezahlen sie jeweils selbst.

Sittenwidrige Ausnutzung der psychischen Notlage nicht fernliegend

Der Senat hatte zuvor darauf hingewiesen, dass der Beklagte sich nach dem Vorbringen beider Parteien erkennbar über einen langen Zeitraum in einer psychischen Ausnah­me­si­tuation befunden habe, die ihn zur Inanspruchnahme der klägerischen Dienste in einem solchen Umfang veranlasst habe, der nicht nur Honora­r­for­de­rungen in außer­ge­wöhn­licher Höhe zur Folge hatte, sondern auch auf einen erheblichen Verlust des Vertrauens in die eigene Urteils­fä­higkeit schließen lässt, so dass eine sittenwidrige Ausnutzung dieser psychischen Notlage nicht fern liege.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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