15.11.2024
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Sie sehen einen Vertrag, der gerade unterzeichnet wird und davor die ilhouetten von zwei Personen.

Dokument-Nr. 10864

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Urteil13.01.2011BundesgerichtshofIII ZR 87/10
Vorinstanzen:
  • Landgericht Stuttgart, Urteil09.10.2010, 19 O 101/09
  • Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil08.04.2010, 7 U 191/09
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil13.01.2011

Bundes­ge­richtshof zum Anspruch einer Kartenlegerin auf Vergütung bei Einsatz übernatürlicher, magischer KräfteBei Vertrags­ab­schluss im Bewusstsein über rational nicht erklärbaren möglichen Erfolg der Leistung, kann Vergü­tungs­an­spruch bestehen

Der Bundes­ge­richtshof hatte über die Frage zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Vergütung für eine Leistung, die unter Einsatz übernatürlicher, magischer Kräfte und Fähigkeiten erbracht werden soll (hier: Lebensberatung in Verbindung mit Kartenlegen), besteht.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist als Selbständige mit Gewer­be­an­meldung tätig und bietet Lebensberatung ("life coaching"), wobei sie ihre Ratschläge anhand der durch Kartenlegen gewonnenen Erkenntnisse erteilt. In einer durch Bezie­hungs­probleme ausgelösten Lebenskrise stieß der Beklagte im September 2007 auf die Klägerin. In der Folgezeit legte sie ihm am Telefon in vielen Fällen zu verschiedenen - privaten und beruflichen - Lebensfragen die Karten und gab Ratschläge. Hierfür zahlte der Beklagte im Jahr 2008 mehr als 35.000 Euro. Für im Januar 2009 erbrachte Leistungen verlangt die Klägerin mit ihrer Klage 6.723,50 Euro.

LG und OLG verneinen Anspruch auf Vergütung für Leistungen, die auf Gebrauch übernatürlicher, magischer Kräfte und Fähigkeiten basieren

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Landgericht und Oberlan­des­gericht haben den geltend gemachten Vergü­tungs­an­spruch mit der Begründung verneint, dass die von der Klägerin versprochene Leistung auf den Gebrauch übernatürlicher, magischer Kräfte und Fähigkeiten gerichtet und damit objektiv unmöglich sei, so dass der Anspruch die Gegenleistung (Entgelt) gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB*, § 275 Abs. 1 BGB** entfalle.

BGH: Von Klägerin versprochene Leistungen objektiv unmöglich

Der Bundes­ge­richtshof hat zunächst die Annahme der Vorinstanzen gebilligt, dass die von der Klägerin versprochene Leistung objektiv unmöglich ist. Eine Leistung ist objektiv unmöglich, wenn sie nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik schlechthin nicht erbracht werden kann. So liegt es beim Versprechen des Einsatzes übernatürlicher, "magischer" oder parapsy­cho­lo­gischer Kräfte und Fähigkeiten.

Klägerin kann ungeachtet des Umstands, dass "Tauglichkeit" der erbrachten Leistung rational nicht nachweisbar ist, Vergütung beanspruchen

Allerdings folgt aus der objektiven Unmöglichkeit der versprochenen Leistung nicht zwingend, dass der Vergü­tungs­an­spruch der Klägerin nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB* entfällt. Die Vertrags­parteien können im Rahmen der Vertrags­freiheit und in Anerkennung ihrer Selbst­ver­ant­wortung wirksam vereinbaren, dass eine Seite sich - gegen Entgelt - dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind, sondern nur einer inneren Überzeugung, einem dahingehenden Glauben oder einer irrationalen, für Dritte nicht nachvoll­ziehbaren Haltung entsprechen. "Erkauft" sich jemand derartige Leistungen im Bewusstsein darüber, dass die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist, so würde es Inhalt und Zweck des Vertrags sowie den Motiven und Vorstellungen der Parteien widersprechen, den Vergü­tungs­an­spruch des Dienst­ver­pflichteten zu verneinen. Nach den Umständen des Falles liegt die Annahme nicht fern, dass die Klägerin nach dem Willen der Parteien die vereinbarte Vergütung ungeachtet des Umstands beanspruchen konnte, dass die "Tauglichkeit" der erbrachten Leistung rational nicht nachweisbar ist.

Berufungs­gericht muss mögliche Nichtigkeit des Vertrages wegen Sitten­wid­rigkeit klären

Der Bundes­ge­richtshof hat die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, um zu klären, ob ein solcher Willen der Parteien bestand, aber auch, um die bislang offen gelassene Frage zu beantworten, ob die Vereinbarung der Parteien nach § 138 BGB*** wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. In diesem Zusammenhang darf nicht verkannt werden, dass sich viele Personen, die derartige Verträge schließen, in einer schwierigen Lebenssituation befinden oder es sich bei ihnen um leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Menschen handelt. Daher dürfen in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB gestellt werden.

* § 326 Abs. 1 Satz 1 (Halbsatz 1) BGB:

Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung; (…).

** § 275 Abs. 1 BGB:

Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

*** § 138 BGB:

Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für die Leistung Vermö­gens­vorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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