18.10.2024
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Dokument-Nr. 23969

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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil08.03.2017

OLG Stuttgart erklärt Pressebericht zu "Panama Papers" in Süddeutscher Zeitung für überwiegend zulässigAntrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eines ehemaligen Privatdetektivs und "Geheimagent" größtenteils erfolglos

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, dass Äußerungen in dem Beitrag "Das Phantom", der im April 2016 in der gedruckten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und auf der Webseite der Zeitung erschien, überwiegend zulässig sind.

Der Kläger des zugrunde liegenden Rechtsstreits ist ein ehemaliger Privatdetektiv und "Geheimagent", über den in dem Artikel "Das Phantom", der am 5. April 2016 in der Süddeutschen Zeitung und unter www.sueddeutsche.de erschienen ist, berichtet wird. Die Beklagten sind der Zeitungsverlag sowie die drei Verfasser des Artikels. Anlass der Berichterstattung waren die "Panama Papers". Hierbei handelt es sich um Dateien zu Brief­kas­ten­firmen, die eine panamaische Rechts­an­walts­kanzlei für eine Vielzahl prominenter Kunden geführt haben soll. Ein anonymer Informant soll die Dateien an einen der Beklagten übermittelt haben.

In dem angegriffenen Urteil vom 11. August 2016 hatte das Landgericht Stuttgart einige der Äußerungen untersagt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat diese Entscheidung teilweise bestätigt und teilweise abgeändert.

Mindestens einer der Beklagten an etwaigem Rechtsbruch des Informanten beteiligt

Insbesondere hatte sich das Oberlan­des­gericht - in Anwendung der Maßstäbe aus der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung - mit der Frage ausein­an­der­gesetzt, ob die möglicherweise rechtswidrige Erlangung der Dateien der Veröf­fent­lichung insgesamt entgegensteht. In tatsächlicher Hinsicht hat der Gericht hierfür die zwischen den Parteien unstreitige Darstellung in dem Buch "Panama Papers - Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung" zugrunde gelegt. Danach ist davon auszugehen, dass die Beklagten nicht lediglich ihnen zugespielte Informationen veröffentlicht haben. Vielmehr hat sich zumindest einer der Beklagten an einem etwaigen Rechtsbruch des Informanten beteiligt, indem er sich auf dessen Angebot eingelassen hat, nicht nur bereits vorhandene, sondern auch neu entstehende Informationen zu übermitteln, sofern diese veröffentlicht werden.

Kläger kann sich nicht auf möglicherweise rechtswidrige Beschaffung berufen

Auf die möglicherweise rechtswidrige Beschaffung kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil diese keine Straftat zu seinem Nachteil darstellt und ihn im Ergebnis auch nicht in eigenen Rechten verletzt. Insbesondere klagt vorliegend nicht die Kanzlei, bei der das "Leak" bestand. Der Kläger dieses Verfahrens kann durch die Infor­ma­ti­o­ns­wei­tergabe allenfalls in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht verletzt sein. Dieses hat in der erforderlichen Abwägung mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs­freiheit zurückzutreten. Ein überragendes öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse ergibt sich insbesondere aus der fehlenden Transparenz über den hinter der Brief­kas­tenfirma stehenden wirtschaft­lichen Eigentümer, der für die Behörden seines Heimatstaats nicht identifizierbar und mithin auch nicht kontrollierbar ist, und aus dem daraus folgenden Missbrauch­s­po­tenzial, etwa für Steuer­hin­ter­ziehung und Geldwäsche. Bedient sich eine sehr prominente Person wie der Kläger dieses Geschäfts­modells, das in den Augen jedenfalls eines erheblichen Teils der Allgemeinheit per se einen Missstand darstellt, rechtfertigt dies eine identi­fi­zierende Berich­t­er­stattung.

Detaillierte Beschreibung des bewohnten Anwesens verletzt allgemeines Persön­lich­keitsrecht des Klägers in rechtswidriger Weise

Hinsichtlich der angegriffenen Äußerungen hat das Oberlan­des­gericht aufgrund einer Abwägung zwischen dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht des Klägers (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) mit dem Recht der Beklagten auf freie Meinung­s­äu­ßerung (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) entschieden, dass die detaillierte Beschreibung des vom Kläger bewohnten Anwesens unter gleichzeitiger Nennung des Ortes, in dem dieses liegt, und die Veröf­fent­lichung des diesbezüglichen Grund­buch­auszugs in rechtswidriger Weise das allgemeine Persön­lich­keitsrecht des Klägers verletzen. Denn der Leser kann auch ohne Angabe des Wohnortes darüber informiert werden, dass sich der Kläger insoweit einer seiner Brief­kas­ten­firmen bedient, die als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Auch für die öffentliche Meinungsbildung zur Frage, welchen Lebenszuschnitt sich der Kläger aufgrund seiner jahrzehn­te­langen Tätigkeit als "Geheimagent" leisten kann und ob dieser in angemessenem Verhältnis zu seinen Leistungen steht, genügt die Beschreibung des Anwesens ohne Angabe des Wohnorts.

Tarnidentität wurde bereits vor Publikation des streit­ge­gen­ständ­lichen Beitrags öffentlich enttarnt

Die Ablichtung eines Reisepasses des Klägers, der auf eine seiner Tarnidentitäten ausgestellt ist, verletzt ihn hingegen weder in seinem Recht am eigenen Bild noch in seinem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung. Das Gericht ist dem Argument einer Gefährdung des Klägers bereits deswegen nicht gefolgt, weil dieser ohne Weiteres durch Bilder aus allgemein zugänglichen Quellen identifizierbar ist, was eine zusätzliche Gefährdung gerade durch die Veröf­fent­lichung des Passbildes ausschließt. Auch die Tarnidentität selbst ist schon vor der Publikation des streit­ge­gen­ständ­lichen Beitrags öffentlich enttarnt worden und über eine Inter­net­re­cherche, beispielsweise im Wikipedia-Artikel über den Kläger, zu finden.

Gerüchte über Beste­chungs­versuche verletzten Kläger rechtswidrig in allgemeinem Persön­lich­keitsrecht

Die Äußerung, über den Kläger gebe es das Gerücht, er solle Polizisten bestochen haben, verletzt den Kläger rechtswidrig in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht. Es handelt sich um eine ehrenrührige Tatsa­chen­be­hauptung, deren Wahrheit von den Beklagten glaubhaft zu machen wäre, was ihnen jedoch nicht gelungen ist. Nach den Grundsätzen der Verdachts­be­rich­t­er­stattung, die auch auf die Wiedergabe eines Gerüchts anwendbar sind, ist die Äußerung unzulässig. Ein von den Beklagten angeführtes Strafverfahren in Belgien, in dem der Kläger rechtskräftig freigesprochen worden ist, sowie die Bezugnahme auf nahezu 20 Jahre alte und überwiegend noch ältere Presseberichte genügt den Anforderungen an eine sorgfältige Recherche über den Wahrheitsgehalt des Verdachts nicht.

Einige weitere angegriffene Äußerungen, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden, hielt das Gericht für zulässig.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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