Oberlandesgericht Nürnberg Urteil02.12.2004
Erhobener Mittelfinger: Unfallverursachung nach Zur-Rede-Stellen-Wollen wegen Zeigen eines MittelfingersVerkehrsunfall aufgrund Abbremsens eines Fahrzeugs im fließenden Verkehr begründet vorsätzliches Handeln / Kfz-Haftpflichtversicherung bei vorsätzlicher Unfallverursachung leistungsfrei
Wer sein Fahrzeug unerwartet im fließenden Verkehr abbremst und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht, führt diesen vorsätzlich herbei. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers muss daher nicht für die Unfallfolgen einstehen. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im November 2003 kam es zu einem Verkehrsunfall, weil der Fahrer eines PKW während des Befahrens der linken Spur sein Fahrzeug plötzlich stark abbremste. Der hinter ihm fahrende Fahrer eines Sharan konnte zwar noch anhalten, der darauf folgende Autofahrer konnte hingegen nicht mehr rechtzeitig abbremsen und fuhr daher auf den Sharan auf. Zudem fuhr ihm das nachfolgende Fahrzeug auf. Der Unfallverursacher hatte sein PKW scharf abgebremst, weil der Sharanfahrer ihm den Mittelfinger gezeigt hatte und er ihn deswegen zur Rede stellen wollte. Nachfolgend bestand Streit darüber, ob die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers gemäß § 152 VVG (Leistungsfreiheit bei vorsätzlichem Handeln des Versicherten, neu: § 103 VVG) von ihrer Leistungspflicht befreit war.
Leistungsfreiheit bei vorsätzlichem Handeln des Versicherten
Das Oberlandesgericht Nürnberg führte zunächst aus, dass nach § 152 VVG (neu: § 103 VVG) ein Versicherungsnehmer dann keinen Anspruch gegen seine Versicherung habe, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Dies gelte ebenso im Verhältnis zum Geschädigten. Denn nach § 3 PflVG (neu: § 115 VVG) setze der Anspruch des Geschädigten gegen die Versicherung des Unfallverursacher voraus, dass dieser seinerseits einen Anspruch auf Versicherungsleistung hat. Ist dies nicht der Fall, so habe auch der Geschädigte keinen Anspruch gegen die Versicherung.
Vorliegen einer vorsätzlichen Herbeiführung eines Unfalls
Davon ausgehend verneinte das Oberlandesgericht eine Leistungspflicht der Haftpflichtversicherung. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe festgestanden, dass der Versicherte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hatte. Der Versicherte habe durch sein Bremsmanöver im fließenden Verkehr in dramatischer, für die anderen Verkehrsteilnehmer unkalkulierbarer Weise den Verkehrsfluss unterbrochen und ein unübersehbares Gefahrenpotenzial aufgebaut. Ihm sei daher angesichts des Hintergrund- und Alltagswissen eines jeden Autofahrers die naheliegende Möglichkeit eines Auffahrunfalls und der daraus resultierende Schaden bekannt gewesen. Er habe diese Folgen billigend in Kauf genommen.
Keine Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises
Das Oberlandesgericht wendete nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns an. Denn diese Grundsätze kommen nur zur Anwendung, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und in solchem Maße das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls dahinter zurücktreten. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen. Vielmehr habe eine extreme und gänzlich unangemessene Reaktion vorgelegen. Diese habe eine atypische, also ungewöhnliche Verhaltensweise dargestellt, die in der konkreten Situation nicht zwangsläufig zu erwarten war.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.11.2013
Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg, ra-online (zt/NJW-RR 2005, 466/rb)