18.10.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.
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Oberlandesgericht München Urteil14.12.2011

OLG München: Ehemaliger Stasi-IM muss Berich­t­er­stattung im Internet mit Namensnennung und Foto hinnehmenGrundgesetzlich geschützte Meinungs-, Informations- und Wissen­schafts­freiheit überwiegt Persön­lich­keits­rechte des ehemaligen IM

Ein ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staats­si­cherheit muss es sich gefallen lassen, dass im Zusammenhang mit einem historischen Ereignis durch entsprechendes Bildmaterial und auch unter Namensnennung über ihn berichtet wird. Dies entschied das Oberlan­des­gericht München.

Im zugrunde liegenden Fall war der 1981 Kläger vom Ministerium für Staats­si­cherheit der ehemaligen DDR im Wege einer so genannten „Druckwerbung“ unter Drohungen als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) angeworben worden. In der Folge war der Kläger bis 1989 als so genannter „IMB“ tätig und hatte hierfür nicht unerhebliche Geldzahlungen erhalten. Ein IMB (1989 waren nur 3 % der IM der DDR auch IMB) zeichnete sich dadurch aus, dass er über die Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung hinaus gemäß dem damaligen Sprachjargon zur Zersetzung, Zerschlagung oder Zurückdrängung von „Feinden“ eingesetzt wurde.

Der Beklagte

Bild im Internet zeigt Kläger mit Angabe des Namens und seiner Funktion

Der Beklagte berichtet auf seiner Internetseite über die Aktivitäten der Staats­si­cherheit in und um Erfurt. Darin ist auch ein Foto zu sehen, das eine im Dezember 1989 aufgenommene Szene zeigt, bei der ein Militär­staats­anwalt Räumlichkeiten des Ministeriums für Staats­si­cherheit versiegelt. Auf diesem Foto kann man den Kläger schräg hinter einem Militär­staats­anwalt stehend erkennen, wobei neben dem Bild sowohl der Name als auch die Funktion des Klägers als IMB genannt werden.

Klage vor Langgericht und Oberlan­des­gericht erfolglos

Dies wollte der Kläger dem Beklagten insbesondere deshalb verbieten lassen, da seine berechtigten Interessen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegen würden. Mit diesem Begehren ist der Kläger, nachdem bereits das Landgericht seine Klage abgewiesen hatte, auch vor dem Oberlan­des­gericht gescheitert.

Gericht erachtet Bezeichnung des Klägers als IMB mit Nennung des Decknamens und des Klarnamens auf der Internetseite für zulässig

Sowohl die Bildver­öf­fent­lichung als auch die Bezeichnung des Klägers als IMB, die Nennung seines Decknamens und seines so genannten Klarnamens auf der fraglichen Internetseite hat das Gericht für zulässig erachtet. Die erforderliche Güterabwägung ergebe, dass die Rechte des Beklagten, der sich auf die grundgesetzlich geschützte Meinungs-, Informations- sowie die Wissen­schafts­freiheit berufen kann, die Persön­lich­keits­rechte des Klägers einschließlich seines Rechts am eigenen Bild überwiegen.

Objektive Umstände im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit entscheidend

Zur Begründung führte das Gericht aus, dass das Landgericht zu Recht festgestellt habe, dass es sich bei dem Kläger - trotz dessen dagegen gerichteter Berufungs­an­griffe - um einen früheren IMB handle. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Veröf­fent­lichung komme es entscheidend auf die objektiven Umstände, also darauf an, dass der Kläger als IMB - was zutrifft - eingestuft worden war und Tätigkeiten ausgeübt hatte, die dem Aufgabenbereich eines IMB entsprachen.

Kläger hatte exponierte Stellung im IM-Gefüge des MfS

Der Kläger habe auch eine exponierte Stellung im IM-Gefüge des MfS innegehabt. Der Begriff „exponiert“ bedeute nicht, dass eine öffentlich hervorgehobene Stelle bekleidet oder eine Amtsbezeichnung geführt worden sein müsste. IMB würden unter den verschiedenen IM die höchste und proble­ma­tischste Kategorie darstellen. Ihrer Funktion nach seien sie auf die inneren und äußeren Feinde der DDR angesetzt gewesen, was anderen IM normativ nicht gestattet gewesen sei. Aus diesem Grund sei deren Anzahl unter den IM auch sehr gering ausgefallen. Angesichts ihrer Bedeutung seien auf Basis der von IMB erbrachten Informationen Verfol­gungsziele und Vorgehen des MfS gegen kritische Milieus, vornehmlich in den Kirchen, definiert worden. Es habe per se Konsequenzen für die Betroffenen (bis hin zur Haft) gehabt.

Bildver­öf­fent­lichung im Rahmen des Kunst­ur­he­ber­ge­setzes zulässig

Die Bildver­öf­fent­lichung sei nach §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 Kunst­ur­he­ber­gesetz (KUG) zulässig. Bildnisse einer Person dürften zwar grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden. Hiervon bestehe jedoch bei Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte eine Ausnahme. Ohne die erforderliche Einwilligung dürften überdies Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben, verbreitet und zur Schau gestellt werden. Dies gelte lediglich nicht für eine Verbreitung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt werde.

Foto hält historisch bedeutsamen Moment fest

Der Beklagte habe die Fotografie, die auch den Kläger zeigt, zwar ohne dessen Einwilligung verwendet und dadurch in dessen allgemeines Persön­lich­keitsrecht eingegriffen. Der Beklagte könne sich hier aber grundsätzlich auf die Ausnah­me­be­stimmung für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte berufen. Ohne Erfolg mache der Kläger geltend, dass der Fokus der Aufnahme ursprünglich auf den Militär­staats­anwalt gerichtet gewesen sei, während die fragliche Veröf­fent­lichung durch einen anderen Bildzuschnitt nunmehr ihn in den Mittelpunkt des Geschehens rücke. Es verbleibe dabei, dass die Fotografie beide Personen zeige und einen historisch bedeutsamen Moment festhalte. Hinzu komme, dass der Begriff der Zeitgeschichte, um der Bedeutung und Tragweite der Infor­ma­ti­o­ns­freiheit Rechnung zu tragen, nicht allein auf Vorgänge von historischer und politischer Bedeutung zu beziehen, sondern vom Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit her zu bestimmen sei.

Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung kann nicht schrankenlos gewährleistet werden

Bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit und dem vom Beklagten wahrgenommenen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit überwiege das Interesse des Beklagten an einer Information der Allgemeinheit über den dargestellten historischen Moment. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass der die Abbildung erläuternde Text den Betrachter des Bildes darüber informiert, dass es sich bei dem abgebildeten Kläger um einen ehemaligen IMB handelt, und seinen Decknamen sowie seinen bürgerlichen Namen (Klarnamen) nennt. Zwar greife die Veröf­fent­lichung insoweit auch in das geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers insbesondere in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein. Dieses Recht sei jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen im Einzelfall seien hinzunehmen, wenn sie von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls bzw. überwiegenden Infor­ma­ti­o­ns­in­teressen der Öffentlichkeit getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie recht­fer­ti­genden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist. Dies sei hier der Fall. Wahre Aussagen müssten in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.

Nachhaltiges öffentliches Interesse an Rolle des Inoffiziellen Mitarbeiters bei der Staats­si­cherheit bis heute noch existent

Der Beklagte könne sich außerdem auf das Grundrecht der Wissen­schafts­freiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) berufen. Die Veröf­fent­lichung habe einen historischen Bezug und verfolge das ernsthafte und planmäßige Anliegen, am Beispiel der Stadt Erfurt die Strukturen und die Arbeitsweise des MfS in Erfurt differenziert darzustellen. Ziel sei es, aufzuarbeiten, welche Orte und welche Personen maßgeblich an das Wirken des MfS erinnern können. Die Abwägung der wider­strei­tenden Interessen ergebe, dass die Bildver­öf­fent­lichung auch einschließlich des neben der Fotografie befindlichen Textes rechtmäßig sei. Der Zeitabstand zwischen der Veröf­fent­lichung und ihrem Gegenstand schränke die Freiheit des Beklagten, frei zu entscheiden, zu welchem Gegenstand er sich öffentlich äußert, grundsätzlich nicht ein Es sei nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären. An der Beantwortung der Frage, wie die Inoffiziellen Mitarbeiter in das MfS eingebunden waren und welche Rolle ihnen dabei von der Staats­si­cherheit zugedacht war, bestehe auch heute noch ein nachhaltiges öffentliches Interesse.

Schutz des Grundrechts der Meinungs- und Infor­ma­ti­o­ns­freiheit bezieht sich nicht nur auf Inhalt, sondern auch auf Form der Äußerung

Die Veröf­fent­lichung trage zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit auch in ihrer konkreten Gestaltung wesentlich bei. Dabei beziehe sich der Schutz des Grundrechts der Meinungs- und Infor­ma­ti­o­ns­freiheit nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form einer Äußerung. Der Beklagte trage nachvollziehbar vor, dass das Foto den Schlusspunkt und das Ende der Bespitzelung der Bevölkerung der DDR durch die Staatsicherheit in Szene setze und den Kläger zeige, wie er sich anschicke, vom Stasispitzel zum Helden zu werden. Das Foto personalisiere den abstrakten Sachverhalt und gebe dem Unrecht quasi ein Gesicht; es mache anschaulich, dass nicht Ideologien allein Träger des Unrechts waren, sondern Menschen, die sich zu Handlangern und Tätern gemacht hätten. Das Landgericht habe zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger, seinerzeit IMB und damit im Gefüge des MfS exponiert, noch in dem Moment, in dem der Militär­staats­anwalt unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer die Räumlichkeiten des MfS versiegele, diesem über die Schulter blicke. Der Beklagte könne somit zu Recht für sich in Anspruch nehmen, dass die Abbildung mit dem erläuternden Text ein geeignetes und besonders anschauliches Mittel sei, dem Betrachter die Realität des Infor­man­ten­systems vor Augen zu führen. Entsprechendes gelte hinsichtlich des dem Beklagten zur Seite stehenden Grundrechts der Wissen­schafts­freiheit.

Kläger wird durch Abbildung nicht an der Basis seiner Persönlichkeit getroffen

Eine schwere nachhaltige Beein­träch­tigung durch die Bildver­öf­fent­lichung einschließlich des Textes habe der Kläger, so das Oberlan­des­gericht, nicht hinreichend belegen können. Dem Kläger werde nicht unterstellt, er sei aus besonders niederen Beweggründen IMB gewesen. Das Portal des Beklagten sei überdies eine authentische und sachlich gehaltene Infor­ma­ti­o­ns­quelle. Der Kläger sei durch die Abbildung auch nicht an der Basis seiner Persönlichkeit getroffen. Eine Berich­t­er­stattung über die Intim-, Privat- oder Vertrau­lich­keitssphäre liege nicht vor. Vielmehr sei der Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen. Auch von einer ausgrenzenden Stigmatisierung lasse sich nicht sprechen. Die Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS sei ein Massenphänomen gewesen, womit die Behauptung, eine bestimmte Person sei IM gewesen, für sich genommen nicht zu einer nachhaltig ausgrenzenden Isolierung führe. Es sei im Zuge der Forschung auch bekannt geworden, dass die Inoffiziellen Mitarbeiter im Unterdrückungs- und Repres­si­ons­system des MfS über keine eigene Macht verfügten, sondern weitgehend von ihren Führungs­of­fi­zieren abhängig waren. Der Kläger habe nicht dargetan und es sei auch nicht ersichtlich, dass sich an dieser Beurteilung bis heute etwas geändert hätte.

Quelle: Oberlandesgericht München/ra-online

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