18.10.2024
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Dokument-Nr. 10846

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Oberlandesgericht Koblenz Beschluss30.11.2010

Polnisches Strafurteil gegen polnischen Staatsbürger kann in Deutschland vollstreckt werdenMindest­vor­aus­set­zungen für Zulässigkeit der Vollstre­ckungs­übernahme gemäß § 49 IRG erfüllt

Eine Freiheitsstrafe, die ein Gericht der Republik Polen gegen einen mittlerweile in Deutschland lebenden polnischen Staatsbürger verhängt hat, kann in Deutschland vollstreckt werden. Dies hat das Oberlan­des­gericht Koblenz entschieden.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls, ein polnischer Staatsbürger, wurde im Jahr 2000 von dem Bezirksgericht Kielce in Polen in einem Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Berufung der Staats­an­walt­schaft änderte das Berufungs­gericht in Krakow/Polen die verhängte Strafe ab und erhöhte sie auf drei Jahre. Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung entfiel. Das Urteil wurde im Dezember 2000 rechtskräftig. Im Jahr 2005 siedelte der Verurteilte nach Deutschland über; er lebt mit seiner Familie in Rheinland-Pfalz.

General­staats­an­walt­schaft Koblenz erklärte Auslieferung des Beschwer­de­führers für nicht zulässig

Ein von der Republik Polen im Jahr 2009 betriebenes Verfahren, den Verurteilten nach Polen auszuliefern, um die gegen ihn verhängte Strafe dort zu vollstrecken, blieb ohne Erfolg. Die General­staats­an­walt­schaft Koblenz erklärte die Auslieferung des Beschwer­de­führers nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) für nicht zulässig, da dessen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer angelegt sei und er hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Das schutzwürdige Interesse des Beschwer­de­führers an einer Straf­voll­streckung in Deutschland überwiege daher gegenüber dem Interesse an der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe in seinem Heimatland Polen.

Landgericht erklärt die Vollstreckung der in Polen verhängten Strafe in der Bundesrepublik Deutschland für zulässig

Daraufhin hat das Bezirksgericht in Kielce die Übernahme der Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland beantragt. Diesem Antrag hat die Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Mainz entsprochen und die in Polen gegen den Beschwer­de­führer verhängte Strafe in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt. Die gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde des Beschwer­de­führers hat das Oberlan­des­gericht Koblenz als unbegründet verworfen.

Eklatante Verstöße der Vollstre­ckungshilfe liegen nicht vor

Das Gericht führte aus, dass in dem vorliegenden Verfahren die in § 49 IRG festgelegten Mindest­vor­aus­set­zungen für die Zulässigkeit der Vollstre­ckungs­übernahme erfüllt sind. Das Verfahren, das zu dem Urteil geführt habe, müsse dem unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung („ordre public”) ebenso entsprechen wie dem völker­recht­lichen Mindeststandard. Dies bedeute nicht, dass das ausländische Verfahren den Grundgedanken oder gar Details der deutschen Straf­pro­zess­ordnung zu entsprechen habe. Vielmehr stünden nur eklatante Verstöße der Vollstre­ckungshilfe entgegen. Solche Verstöße lägen hier nicht vor.

Einwände des Beschwer­de­führers widerlegt

Der Beschwer­de­führer hatte vor allem eingewandt, von der Durchführung einer Berufungs­ver­handlung vor dem Gericht in Krakow keine Kenntnis gehabt zu haben und daher in dieser Verhandlung auch nicht anwesend gewesen zu sein. Dieses Vorbringen hat der Senat auf der Grundlage des Protokolls über die Berufungs­haupt­ver­handlung in Polen als widerlegt angesehen. Es stehe fest, dass der Beschwer­de­führer persönlich an der Verhandlung des Berufungs­ge­richts in Krakow teilgenommen habe.

Vollstreckung des Strafurteils in Deutschland mangels Anwesenheit eines Verteidigers in der Haupt­ver­handlung nicht unzulässig

Auch der Umstand, dass der Verurteilte in der Berufungs­haupt­ver­handlung nicht durch einen Verteidiger vertreten worden sei, stehe der Zulässigkeit der Vollstre­ckungs­übernahme nicht entgegen. Zwar hätte der Beschwer­de­führer nach deutschem Straf­pro­zessrecht angesichts des gewichtigen Tatvorwurfs zwingend durch einen Verteidiger vertreten sein müssen. Die Vollstreckung des Strafurteils in Deutschland sei deshalb jedoch nicht unzulässig. Es stehe fest, dass der Verurteilte sich in der Haupt­ver­handlung in Polen gegen den erhobenen Vorwurf verteidigt habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte nicht in der Lage gewesen wäre, sich selbst zu verteidigen, bestünden nicht. Zu beachten sei auch, dass die §§ 48 ff. IRG in erster Linie auf humanitären und Fürsor­ge­er­wä­gungen beruhten, so dass bei der Bejahung der Ausnah­me­tat­be­stände, die der Zulässigkeit der Vollstre­ckungs­übernahme entgegenstünden und zu denen es auch gehöre, dass dem Angeklagten eine angemessene Verteidigung ermöglicht werde, größte Zurückhaltung geboten sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass dem Beschwer­de­führer im Fall seines Wunsches, von einem Verteidiger vertreten zu werden, der Beistand durch einen Rechtsanwalt verweigert worden wäre.

Freiheitsstrafe ist in Deutschland in gleicher Dauer zu vollstrecken

Da die Vollstreckung des in Polen ergangenen Urteils in Deutschland zulässig sei, sei dieses gemäß § 54 IRG für vollstreckbar zu erklären und die in Polen erkannte Freiheitsstrafe in Deutschland in gleicher Dauer als Freiheitsstrafe zu vollstrecken.

Zusat­z­in­for­mation:

Erläuterungen
Das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) lautet auszugsweise wie folgt:

§ 48 Grundsatz

Rechtshilfe kann für ein Verfahren in einer straf­recht­lichen Angelegenheit durch Vollstreckung einer im Ausland rechtskräftig verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion geleistet werden.

[…]

§ 49 Weitere Voraussetzungen der Zulässigkeit

(1) Die Vollstreckung ist nur zulässig, wenn

1. eine zuständige Stelle des ausländischen Staates unter Vorlage des vollständigen rechtskräftigen und vollstreckbaren Erkenntnisses darum ersucht hat,

2. in dem Verfahren, das dem ausländischen Erkenntnis zugrunde liegt, dem Verurteilten rechtliches Gehör gewährt, eine angemessene Verteidigung ermöglicht und die Sanktion von einem unabhängigen Gericht oder, soweit es sich um eine Geldbuße handelt, von einer Stelle verhängt worden ist, gegen deren Entscheidung ein unabhängiges Gericht angerufen werden kann,

3. auch nach deutschem Recht, ungeachtet etwaiger Verfah­rens­hin­dernisse und gegebenenfalls nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts, wegen der Tat, wie sie dem ausländischen Erkenntnis zugrunde liegt, eine Strafe, Maßregel der Besserung und Sicherung oder Geldbuße hätte verhängt [..] werden können,

4. keine Entscheidung der in § 9 Nummer 1 (IRG) genannten Art ergangen ist [..] und

5. die Vollstreckung nicht nach deutschem Recht verjährt ist oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts verjährt wäre [...].

§ 54 Umwandlung der ausländischen Sanktion

(1) Soweit die Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses zulässig ist, wird es für vollstreckbar erklärt. Zugleich ist die insoweit verhängte Sanktion in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion umzuwandeln. Für die Höhe der festzusetzenden Sanktion ist das ausländische Erkenntnis maßgebend; sie darf jedoch das Höchstmaß der im Geltungsbereich dieses Gesetzes für die Tat angedrohten Sanktion nicht überschreiten.

[…]

Quelle: Oberlandesgericht Koblenz/ra-online

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