23.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 31285

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Urteil05.11.2021Oberlandesgericht Karlsruhe10 U 6/20
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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil05.11.2021

Schadenersatz bei Stalking - Terrornachbar muss Umzugskosten bezahlenAnspruch auf Ersatz der durch Nachstellungen kausal verursachte Schäden

Ein Stalker, der seine Nachbarn durch Nachstellungen und Bedrohungen zum Umzug veranlasst, ist zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. Der Schadenersatz umfasst die Schäden, die den Nachbarn durch Maßnahmen zur Wieder­her­stellung ihres persönlichen Sicher­heits­gefühls entstehen. Dies können Umzugskosten, Notarkosten und Grund­e­r­wer­b­steuer für den Erwerb eines neuen Wohnhauses sein. Dies hat das Oberlan­des­gericht Karlsruhe entschieden.

Das Gericht stärkt mit dem Urteil den Opferschutz. Neben der Strafanzeige und dem entsprechenden straf­recht­lichen Vorgehen der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden haben von Stalking betroffene Personen somit auch die Möglichkeit, ihnen entstandene finanzielle Schäden und Schmerzensgeld gegen ihren Stalker geltend zu machen. Denn § 238 StGB (Stalking) und § 241 StGB (Bedrohung), so das OLG Karlsruhe, sind Schutzgesetze im Sinne von § 823 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), aufgrund derer Schadenersatz und Schmerzensgeld vom Täter verlangt werden können.

Was ist Stalking?

Gesetzlich definiert ist Stalking als unbefugtes Nachstellen einer anderen Person in einer Weise, "die geeignet ist, deren Lebens­ge­staltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem etwa die räumliche Nähe der Person aufgesucht oder Kontakt über Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel wie Telefon oder Inter­n­et­nach­rich­ten­dienste herzustellen versucht wird. § 238 StGB zählt eine Reihe weiterer Tathandlungen auf, die den Straftatbestand erfüllen. Stalking ("Nachstellen) wurde erst 2007 als Strafnorm in das Strafgesetzbuch aufgenommen und ergänzt die damals bereits bestehenden Straf­tat­be­stände wie Beleidigung, Nötigung und Bedrohung in Fällen, in denen Opfer unter beharrlichen Nachstellungen, die erheblich in ihr Leben eingreifen, leiden.

Wenn der Nachbar mit dem Tode droht

In dem dem Urteil des OLG Karlsruhe zu Grunde liegenden Fall ging es um einen Nachbarn, der sich gegenüber den Klägern und ihrer Familie gemäß § 238 StGB und § 241 StGB strafbar gemacht hatte. Er hatte ihnen in einer Weise unbefugt nachgestellt, die geeignet war, ihre Lebens­ge­staltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, und sie bedroht. Er hatte sie "beharrlich mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit bedroht". So hatte er den Klägern einmal angekündigt, dass er "nun in sein Haus gehen und seine Pistole holen" werde. Ein andermal lief er seinem Nachbarn mit erhobenem Beil hinterher und bedrohte ihn mit dem Tod.

Beharrlichkeit des Nachstellens bereits bei nur zwei Vorfällen gegeben

Obwohl eine solche Bedro­hungs­handlung nur in zwei Fällen nachgewiesen werden konnte, sah das Gericht das Tatbe­stands­merkmal der Beharrlichkeit als erfüllt an. Laut Bundes­ge­richtshof genüge bereits die "wiederholte Begehung" der Nachstellung, "wenn aus Missachtung des entge­gen­ste­henden Willens oder aus Gleich­gül­tigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht gehandelt wird, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten".

Gestalkte Nachbarn zogen aufgrund der Nachstellungen um

Die Bedrohungen, so das Gericht in dem zugrunde zu entscheidenden Fall, seien Ausdruck eines feindseligen, übergriffigen und sich zuspitzenden Verhaltens, das der stalkende Täter bei fortbestehender Nachbarschaft zu den Klägern auch weiter fortgesetzt hätte. Dem entzogen sich diese, indem sie aus dem Haus auszogen und das Grundstück veräußertem - nicht ohne ihrem Käufer zu verschweigen, dass ein "zur Gewalttätigkeit neigender, seit vielen Jahren alkohol- und medika­men­te­n­ab­hängiger, sozial völlig isolierter" Nachbar vorhanden sei.

Anspruch auf Ersatz der durch Nachstellungen kausal verursachte Schäden

Ihren nachbarlichen Stalker verklagten sie sodann auf Ersatz der Schäden, die ihnen aufgrund der Nachstellungen entstanden waren. Das Gericht sprach ihnen die Kosten zu, die ihnen durch den zwischen­zeit­lichen Umzug in eine Mitwohnung entstanden waren, sowie die Nettomietkosten für ihre Zwischenwohnung während des Leerstands des Hauses bis zu dessen Verkauf. Ferner sprach das Gericht die Nebenkosten zu, die den Klägern durch den Kauf des neuen Eigenheims entstanden waren. Dies sind die durch den Neukauf entstandene Grund­e­r­wer­b­steuer und die Notarkosten. Auch diese Kosten, so das Gericht, seien adäquat kausal durch die Nachstellung herbeigeführt worden. Mit dem Umzug in ein neues Eigenheim erlangten die Kläger ihr persönliches Sicher­heits­gefühl wieder. Auch hatten sie Anspruch auf Umzug in ein dem früheren Eigenheim vergleichbares Anwesen. Unter dem Gesichtspunkt der Totalreparation gemäß § 249 BGB stand es den Klägern frei, nach der vorübergehenden Nutzung einer Mietwohnung in ein neues Eigenheim umzuziehen, da die Stellung als Eigentümer eines Wohnobjekts im Vergleich zu derjenigen eines Mieters höherwertig sei. Insgesamt verurteilte das Gericht den Stalker zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von über 44.000 Euro nebst Zinsen.

Kein Anspruch auf reine Vermö­gens­fol­ge­schäden wie Mindererlös und Maklerprovision

Hinsichtlich weiterer Schaden­s­po­si­tionen wies das Gericht die Klage ab. So verneinte das Gericht den geltend gemachten Anspruch auf die Zahlung der für den Hausverkauf aufgewendeten Maklerprovision sowie den geltend gemachten Mindererlös von über 35.000 Euro, der dadurch entstanden sei, dass die Kläger den Käufer über den Person des Nachbarn in Kenntnis setzten. Diese Kosten, so das Gericht, stellen einen reinen Vermö­gens­fol­ge­schaden dar, der nicht mehr vom Schutzzweck der §§ 238, 241 StGB umfasst sei. Dieser nämlich umfasst nicht die bloß fernere Beein­träch­ti­gungen des Vermögens der Tatopfer, die nicht unmittelbar aus deren zur Wieder­her­stellung ihres Sicher­heits­gefühls erforderlichen Verhal­tens­weisen resultieren. Solche bloßen Vermö­gens­fol­ge­schäden stellen die Kosten und der etwaige Mindererlös, den die Kläger in Folge ihrer Entscheidung, ihr Hausgrundstück nicht nur zu verlassen, sondern auch zu veräußern, erlitten haben, dar.

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, ra-online (vt/we)

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