Oberlandesgericht Jena Beschluss18.01.2022
Zulässige Weitergabe der mit Entwurf eines Haftbefehles enthaltenen Strafakte an Beschuldigten durch StrafverteidigerKeine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung
Gibt ein Strafverteidiger eine im Rahmen der Akteneinsicht erhaltenen Strafakte an den Beschuldigten weiter, so liegt darin keine Strafvereitelung gemäß § 258 StGB , wenn in der Akte der Entwurf des Haftbefehls war und der Beschuldigter sich aufgrund dessen der Haft entziehen kann. Dies hat das Oberlandesgericht Jena entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Rahmen eines in Jena geführten Ermittlungsverfahrens wegen Betäubungsmitteldelikten erhielt die Strafverteidigerin des Beschuldigten im Jahr 2021 Akteneinsicht. In der Akte befand sich dabei versehentlich der Entwurf für den Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Tatsächlich konnte sich der Beschuldigte zunächst der Haft entziehen. Er wurde aber einige Monate später dennoch gefasst. Der Strafverteidigerin wurde nun vorgeworfen, den Beschuldigten gewarnt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Jena sah darin eine versuchte Strafvereitelung und beantragte den Ausschluss der Strafverteidigerin von der Mitwirkung im Verfahren.
Keine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung
Das Oberlandesgericht Jena sah keine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung. Die Strafverteidigerin sei daher nicht gemäß § 138 a Abs. 1 StPO von der Mitwirkung im Strafverfahren auszuschließen. Denn sie habe in zulässiger Weise Kenntnis von dem Haftbefehlsentwurf erhalten. Es sei einem Verteidiger nicht grundsätzlich verboten, seinen Mandanten über drohende Zwangsmaßnahmen zu informieren und ihm etwa darauf gerichtete, aus den Akten ersichtliche Schritte mitzuteilen. Der Verteidiger sei nicht verpflichtet, Fehler der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts durch eine Geheimhaltung gegenüber seinem Mandanten auszugleichen. Es sei zu beachten, dass einem Verteidiger die Akteneinsicht verwehrt werden dürfe.
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Keine Geheimhaltungspflicht aus Solidarität mit Strafverfolgungsbehörden
Für einen Verteidiger bestehe nach Ansicht des Oberlandesgerichts keine Geheimhaltungspflicht aus Solidarität mit den Strafverfolgungsbehörden. Die Möglichkeit der Verweigerung der Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO bestehe nur deshalb, weil es selbstverständlich ist, dass der Verteidiger seinen Mandanten über den Akteninhalt informieren wird.
Keine Strafvereitelungsabsicht bei bloßer Weitergabe der Strafakte an Beschuldigten
Das Oberlandesgericht konnte schließlich keine Vereitelungsabsicht bei der Strafverteidigerin erkennen. Denn es stehe nicht fest, dass sie bei Weiterleitung der Akte Kenntnis vom Haftbefehlsentwurf hatte. Sie sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Akte vor der Weitergabe an den Mandanten auf eventuelle Haftbefehlsentwürfe durchzusehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.03.2025
Quelle: Oberlandesgericht Jena, ra-online (vt/rb)