21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil04.08.2017

Fahren entgegen der Fahrtrichtung: Radfahrerin ist bei Unfall Mitverschulden von 1/3 anzulastenNicht getragener Schutzhelm erhöht Eigen­haf­tungs­anteil nicht

Eine Radfahrerin, die beim Befahren eines Radweges entgegen der Fahrtrichtung mit einem warte­pflichtigen Pkw kollidiert, kann 1/3 ihres Schadens selbst zu tragen haben. Dass sie keinen Schutzhelm getragen hat, erhöht - bei dem Unfallereignis aus dem Jahre 2013 - ihren Eigen­haf­tungs­anteil nicht. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Grundurteil des Landgerichts Essen teilweise ab.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1965 geborene Klägerin aus Marl befuhr im November 2013 mit ihrem Fahrrad die in Marl auf einem linksseitigen Geh- und Radweg. Diesem folgte sie auch, als er nur noch für Radfahrer aus der entge­gen­ge­setzten Fahrtrichtung freigegeben war. Die Klägerin beabsichtigte, die Einmündung der kommenden untergeordneten Straße zu queren, um dann nach links in diese Straße einzubiegen. Der im Jahre 1936 geborene Beklagte aus Gelsenkirchen befuhr mit seinem Pkw Mercedes diese untergeordnete Straße und beabsichtigte, an der Straßen­ein­mündung nach rechts in die Hauptstraße abzubiegen. Beim Abbiegen kollidierte sein Fahrzeug mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Klägerin stürzte auf die Motorhaube, rutsche mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf der Fahrbahn auf. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen.

Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld

Von dem Beklagten und seinem Haftpflicht­ver­si­cherer verlangt die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Schadensersatz, unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro, eine monatliche Schmer­zens­geldrente von 300 Euro, materiellen Schadensersatz von ca. 16.000 Euro sowie einen vierteljährlich mit 252 Euro auszu­glei­chenden Haushalts­füh­rungs­schaden.

Radfahrer behält auch bei verbotswidriger Nutzung des Radwegs Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen

Das Landgericht Essen hatte zunächst den Grund der Haftung aufgeklärt und der Klägerin - unter Berück­sich­tigung eines Mitverschuldens - 80 % ihres Schadens zugesprochen. Bei der Überprüfung dieser Entscheidung in der Berufungs­instanz bewertete das Oberlan­des­gericht Hamm das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3. Der Beklagte habe den Unfall in erheblichem Umfang verschuldet, auch wenn er zunächst im Einmün­dungs­bereich angehalten habe und dann langsam abgebogen sei, so das Gericht. Gegenüber der Klägerin sei er wartepflichtig gewesen. Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren habe, obwohl dieser für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung nicht mehr freigegeben gewesen sei. Ein Radfahrer behalte sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen auch dann, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutze.

Klägerin hätte Weg nur noch das Fahrrad schiebend als Fußgängerin benutzen dürfen

Die Klägerin ihrerseits habe den Unfall mitverschuldet, weil sie mit ihrem Fahrrad den an der Unfallstelle vorhandenen Geh- und Radweg entgegen der freigegebenen Fahrtrichtung befahren habe. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst wenige Meter zurückgelegt habe, entlaste sie nicht. Sie habe sich verbotswidrig auf dem Radweg befunden, den sie richtigerweise nur noch - ihr Fahrrad schiebend - als Fußgängerin hätte benutzen dürfen.

Tragen von Fahrradhelmen entsprach zum Unfallzeitpunkt nicht dem allgemeinen Verkehrs­be­wusstsein

Demgegenüber rechtfertige das Nichttragen eines Schutzhelms keine Anspruchs­kürzung zulasten der Klägerin. Zur Unfallzeit im Jahre 2013 habe keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer bestanden. Das Tragen von Fahrradhelmen habe zudem nicht dem allgemeinen Verkehrs­be­wusstsein entsprochen, was der Bundes­ge­richtshof noch im Jahre 2014, bezogen auf einen Unfall aus dem Jahre 2011, festgestellt habe. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verkehrs­be­wusstsein insoweit in den Jahren danach verändert habe, habe das Oberlan­des­gericht nicht.

Klägerin trifft Mitverschulden

Der Mitver­schul­den­santeil der Klägerin sei mit 1/3 zu bewerten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das der Klägerin nach wie vor zustehende Vorfahrtsrecht kein Vertrauen ihrerseits in ein verkehrs­ge­rechtes Verhalten des Beklagten habe begründen können. Auch wenn der Beklagte mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem querenden Geh- und Radweg angehalten habe, habe die verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte sie wahrgenommen habe und ihr den Vorgang einräumen würde.

Hinweis

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat auf das Urteil des Bundes­ge­richtshofes vom 17. Juni 2014 Bezug genommen. Nach der Entscheidung des Bundes­ge­richtshofes ist der Schaden­s­er­satz­an­spruch eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfver­let­zungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfal­le­r­eig­nissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemindert.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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